Innere Kampfkünste

Innere Kampfkünste

Mit dem Begriff innere Kampfkünste (chinesisch 內家拳 Nèijiāquán, kurz neijia) werden einige Stile der chinesischen Kampfkünste bezeichnet, die der Legende nach aus den Wudang-Bergen stammen und auf einen gemeinsamen Ursprungsstil zurückgehen sollen. Der Begriff wird verwendet, um diese Stile von den äußeren Stilen (chinesisch 外家拳 Wàijiāquán, kurz waijia) abzugrenzen, die vom Shaolin Kung Fu abstammen sollen. Die Einteilung ist in Kampfkunstkreisen umstritten.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Legende nach wurde der ursprüngliche Stil des Neijiaquan vom daoistischen Unsterblichen Zhang Sanfeng in den Wudang-Bergen (Wudang Shan),entwickelt, als er den Kampf zwischen einer Schlange und einem Kranich beobachtete. Die Schlange wich dem Kranich dabei immer wieder aus, bis der Kranich erschöpft aufgeben musste.

Obwohl die Aussage historisch umstritten ist, berufen sich die heute lebenden daoistischen Mönche und Kampfkünstler der Wudang-Berge darauf, dass die inneren Kampfkünste seit Zhang Sanfeng in den daoistischen Klöstern der Wudang-Berge weitergegeben, entwickelt und tradiert wurden.

Historisch sind der Begriff Neijiaquan und seine Verbindung zu Zhang Sanfeng zum ersten Mal nachweisbar in der 1669 veröffentlichten „Grabrede auf Wang Zhengnan“ von Huang Zongxi (1610–95). Dort wird „der daoistische Unsterbliche Zhang Sanfeng vom Berg Wudang Shan, Begründer der Inneren Schule des Kampfes“ erwähnt. Dabei muss man die Grabrede auch vor dem Hintergrund der Zeit sehen. 1641 unternahmen die Mandschu einen großen Einfall in Ming-China, bei dem sie 88 Städte eroberten, sechs weitere übernahmen und bis nach Shandong vordrangen. 1644 endete die Ming-Dynastie und wurde von der mandschurischen Qing-Dynastie abgelöst. Die Mandschuren waren von außen in China eingedrungen und zwangen den Chinesen zunächst ihren Lebensstil auf. Da sich die Mandschuren zum (von außen eingeführten) lamaistischen Buddhismus bekannten, wurde ihnen die von innen, aus China, stammende Philosophie des Daoismus in Person des Zhang Sanfeng entgegengesetzt.

Da der Daoismus und damit auch die inneren Kampfkünste zur Kultur der Gegner der Qing-Dynastie zählten, wurden sie von den herrschenden Mandschuren unterdrückt, so dass die inneren Kampfkünste nicht offen verbreitet werden konnten. Daher seien sie bis in jüngster Zeit in der Regel als Geheimtradition innerhalb der Klöster weitergereicht und nur selten an Aussenstehende weitergegeben worden. Dennoch gaben Kampfkünstler aus den Wudang-Bergen immer wieder zumindest Teile ihrer Lehre weiter, so dass beispielsweise die aus dem ursprünglichen Neijiaquan abgeleiteten Stile Taijiquan, Baguazhang und Xingyiquan auch außerhalb der Wudangberge Fuß fassen konnten.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde Chinas nationales Selbstbewusstsein durch den Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg, den außer Kontrolle geratenen Boxeraufstand und das mit ihm verbundene Boxerprotokoll gedemütigt. Eine Gruppe von Kampfkünstlern um Huo Yuanjia und Sun Lutang in Peking versuchten, dem etwas entgegenzusetzen, indem sie sich mit der Geschichte der chinesischen Kampfkünste als chinesisches Kulturgut beschäftigten. Sie identifizierten die Kampfkünste Taijiquan, Baguazhang sowie Xingyiquan (die „großen Drei“) als Nachkommen des ursprünglichen Stiles von Zhang Sanfeng, und bezeichneten sie mit dem Begriff Neijiaquan (Kampfkünste der inneren Familie). Im Gegensatz dazu verwendeten sie den Begriff Wàijiāquán (Kampfkünste der äußeren Familie), um damit die Stile zu bezeichnen, die vom Shaolin Kung Fu abstammen würden. Im Laufe der 20. Jahrhunderts wurde diese Einteilung in innere und äußere Kampfkünste sehr populär und wird bis heute gerne verwendet.

Zur Zeit der Kulturrevolution wurden die Klöster von Wudang geschlossen und die Mönche und Nonnen durften ihr Wissen nicht offiziell weitergeben. Erst seit Kurzem werden wieder offiziell die inneren Kampfkünste in den Klöstern und Schulen unterrichtet.

Kritik

Die Einteilung der Kampfkünste in innere und äußere Stile ist heute aus zwei Gründen umstritten:

  • Es bestehen Zweifel daran, ob die großen Drei tatsächlich auf einen gemeinsamen Ursprungsstil aus den Wudang-Bergen zurückgehen. Historisch sind solche Verbindungen nicht direkt nachweisbar, allerdings reichen die vorhandenen historischen Aufzeichnungen auch nicht weit genug zurück. Die Gegner der Einteilung nehmen an, dass der Begriff der inneren Kampfkünste und die Verbindung zu Zhang Sanfeng sowohl zu Beginn der Qing-Dynastie als auch Ende des 19. Jahrhunderts „erfunden“ wurden, um das chinesische Selbstbewusstsein zu stärken. Historisch würde es sich bei den großen Drei um unabhängig in verschiedenen Regionen entstandene Kampfkünste handeln. Als Indiz für diese These wird oft der Mangel an historischen Aufzeichnungen über die inneren Kampfkünste angeführt. Von den Anhängern der Wudang-Hypothese wird der Mangel an Aufzeichnungen durch die gezielte Unterdrückung der Wudangkünste sowohl während der Qing-Dynastie als auch während der Kulturrevolution erklärt.
  • Mit der Unterteilung der Kampfkünste in innere und äußere werden meistens auch bestimmte Eigenschaften der Kampfkünste verbunden, wie z.B. weich (gegenüber hart). Da aber praktisch alle Kampfkünste sowohl harte als auch weiche Aspekte haben, wäre eine solche Einteilung wenig sinnvoll.

Prinzipien

Während die äußeren Kampfkünste (wie z. B. die meisten Shaolin-Kampfkünste oder auch das Karate) die Entwicklung von Geschicklichkeit und Muskelkraft voraussetzen, basieren die inneren Kampfkünste auf der daoistischen Idee, dass Hartes durch Weiches besiegt werden kann, weil es diesem keinen direkten Widerstand entgegensetzt. Um diese Idee umzusetzen werden beim Üben der inneren Kampfkünste die folgenden Prinzipien beachtet:

  • die Bewegungen werden fließend und entspannt ausgeführt
  • der Körper wird bei fortschreitender Übung immer genauer wahrgenommen
  • der Geist ist in einem bewussten Einklang mit dem Körper

Damit diese Prinzipien umgesetzt werden können, werden die Bewegungen zumindest anfangs meistens auch langsam geübt.

Qi (Ch'i)

Eine zentrale Rolle bei den inneren Kampfkünsten spielt das Qi (chinesisch  /  , W.-G. Ch'i) (Energie). Durch das Üben der inneren Kampfkünste nach den beschriebenen Prinzipien soll der Übende in zunehmendem Maße in der Lage sein, das Qi wahrzunehmen und schließlich zu kontrollieren. Das Qi wird von vielen Praktizierenden als eine Art Energiefluss beschrieben, den man im Körper zirkulieren lassen kann.

Da die Wahrnehmung und Kontrolle des Qi kein rein körperlicher Prozess ist, betonen die inneren Kampfkünste stark den geistigen und meditativen Aspekt. In der Regel üben Anhänger der inneren Kampfkünste auch Formen des Qigong oder der Meditation.

Das Qi soll einerseits im Kampf anwendbar sein und andererseits der Persönlichkeitsentwicklung und Gesundheitsförderung dienen. Bei einem Meister der inneren Kampfkünste soll das Qi und seine innere Ruhe so deutlich sichtbar werden, dass er seine Kampfkunst nie anwenden muss, da niemand mit ihm kämpfen will.

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Innere Kampfkünste – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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