Internetabhängigkeit

Internetabhängigkeit

Mit Internetabhängigkeit, auch Internet- oder Onlinesucht wird das Phänomen bezeichnet, das Internet übermäßig, das heißt gesundheits- und persönlichkeitsgefährdend zu nutzen. Im englischen Sprachraum finden sich die Begriffe „internet addiction (disorder)“, „pathological internet use“ und „compulsive internet use“, also pathologische bzw. zwanghafte Verwendung des Internet, die damit das Problemfeld auch besser beschreiben.

Inhaltsverzeichnis

Erscheinungsformen

Internetabhängigkeit verursacht wie andere Verhaltensstörungen die Vernachlässigung üblicher Lebensgewohnheiten, sozialer Kontakte, der persönlichen Versorgung und Körperhygiene, da ein Großteil der zur Verfügung stehenden Zeit im Internet verbracht wird. Im Extremfall kann die virtuelle Welt zu einem vermeintlich vollständigen Ersatz für sonstige reale soziale Kontakte werden und damit zu sozialer Isolation führen.

Nach außen wird die Sucht verheimlicht oder man will sie nicht wahrhaben, verharmlost sein Verhalten. Häufige Entzugserscheinungen sind schlechte Laune, Nervosität, Reizbarkeit, Schlafstörungen oder Schweißausbrüchen. Unter Umständen schlägt sich die Abhängigkeit auch in Faulheit nieder und in der „Erkenntnis“, dass das Leben ohne Computer sinnlos sei.

Als besonders gefährdet gelten depressive und einzelgängerisch veranlagte Menschen. Wenn der Druck des Alltags sehr groß wird, kann die virtuelle Welt eine Fluchtmöglichkeit bieten, wobei alltägliche Aufgaben und gesellschaftliche Anforderungen vernachlässigt werden.

Als Triebfeder gelten die Verfolgung bestimmter Aufgaben, Realitätsflucht und das Experimentieren mit der Identität, sowie die Kombination von – Befriedigung des so genannten Spieltriebs und des – Kommunikationsbedürfnisses. Die Simulation gesellschaftlichen Aufstieges kann ebenso eine Rolle spielen wie das Gefühl von Omnipräsenz.

Depressive Menschen finden virtuelle Entlastung, narzisstische Persönlichkeiten befriedigen ihren Machtanspruch, Jugendliche haben neue Möglichkeiten ihre Grenzen auszuloten und die vermeintliche Möglichkeit, ihre Persönlichkeit zu entwickeln.

Bei Teilnehmern an Vielspieler-Rollenspielen (sogenannte „MMORPGs“) und "Browsergames" kann es dazu kommen, dass sie ihre Spielerfolge in die Realität mitnehmen, um sich gegen andere Spieler/Freunde zu behaupten. Oft sind Spielerfolge der Ersatz für Erfolge im echten Leben und werden wichtiger, als sich der eigenen Realität zu widmen.

Die Internetsucht beinhaltet drei Spielformen: Online-Spielsucht, Internetsexsucht und Chatten.[1]

Begrifflichkeit

Umgangssprachlich wird zwar von einer „Sucht“ gesprochen. Da es sich allerdings hier nicht um eine stoffgebundene Abhängigkeit handelt, welche in der Klassifikation der ICD-10 erfasst sind, behilft man sich in der Wissenschaft mit der Klassifikation als Störung der Impulskontrolle.[2] Diese Einordnung ist allerdings auch nicht korrekt, da dadurch weder die vorhandene Toleranzentwicklung, noch die entstehenden Entzugssymptome erfasst werden.

Einige Wissenschaftler (zum Beispiel der Psychiater Bert te Wildt) sehen die Internetabhängigkeit nicht als eigenständige Krankheit an, sondern als Syndrom im Rahmen einer bereits bestehenden psychischen Störung an, zum Beispiel einer Depression. Die Diskussionen zwischen den unterschiedlichen wissenschaftlichen Positionen dauern an.

Problematisch ist außerdem, dass Internetabhängigkeit zum Teil als Überbegriff für weitere Störungen wie zum Beispiel Online-Kaufsucht, Computersucht, Online-Sexsucht, Computerspielsucht und Online-Glücksspielsucht verwendet wird. Bereits etablierte psychische Störungen werden so auf Onlineaktivitäten übertragen, was ebenfalls zu konträren Positionen innerhalb der wissenschaftlichen Diskussionen führt.

Um die Erforschung zu fördern und bessere Präventions- und Therapiemöglichkeiten entwickeln zu können, sollen die Voraussetzungen für eine Anerkennung der „Online-/Neue Mediensucht“ bei der Weltgesundheitsorganisation geprüft werden.[3]

Epidemiologie

Die Regierung von Südkorea schätzt, dass etwa 210.000 koreanische Kinder von Internetabhängigkeit betroffen sind (2,1% der Kinder zwischen 6 und 19 Jahren). Für die USA liegen keine genauen Schätzungen vor.[4]

Der Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags veranstaltete federführend im April 2008 eine Öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema Onlinesucht. Der Drogenbericht der Bundesregierung 2009[5] widmet der Onlinesucht erstmalig ein eigenes Kapitel und kommt zu dem Resultat: „Aus gesundheitlicher Sicht hat die suchtartige Nutzung des Internets an Gewicht gewonnen. Vor allem männliche Jugendliche und junge Erwachsene zeigen häufiger ein sich verlierendes, entgleitendes und in Extremfällen psychopathologisch auffälliges Online-Nutzungsverhalten insbesondere in Bezug auf Online-Spielewelten“.[6][7]

Symptome

Die Abgrenzung zu „normalem“ Verhalten ist fließend und kann nicht klar definiert werden. Indikatoren können Mangelerscheinungen oder unkontrolliertes Surfen im Internet sein, darüber hinaus:

  • Häufiges unüberwindliches Verlangen, das Internet zu benutzen
  • Kontrollverluste (d. h. länger „online“ bleiben, als man sich vorgenommen hatte) verbunden mit diesbezüglichen Schuldgefühlen
  • sozial störende Auffälligkeit im engsten Kreis der Bezugspersonen (Freunde, Partner, Familie), häufige Rügen durch unmittelbare Bezugspersonen
  • nachlassende Arbeitsleistung
  • Verheimlichung/Verharmlosung der Netz-Aktivitäten vor der Umwelt
  • Psychische Irritabilität bei Verhinderung am Internet-Gebrauch (kann sich auswirken in Form von Nervosität, Reizbarkeit und Depression)
  • Mehrfach fehlgeschlagene Versuche der Einschränkung

Zudem finden einige soziale Interaktionsformen mittlerweile auch mittels des Internets statt, die bislang zu Bereichen gerechnet wurden, die von einer Internetabhängigkeit negativ betroffen seien - auch dieser Umstand erschwert eine Abgrenzung zu „normalem“ Verhalten, da diese angenommene Normalität stetem Wandel unterliegt.[8]

Therapie

Die bis dato deutschlandweit einzige stationäre Therapie-Einrichtung für medienabhängige Kinder, das Wichernhaus in Boltenhagen in Mecklenburg-Vorpommern ist Ende 2005 trotz positiver Resonanz und guter Ergebnisse aus finanziellen Gründen geschlossen worden.[9]

Am Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz wurde im März 2008 eine „Ambulanz für Spielsucht“ eröffnet.[10]

Seit Januar 2010 werden im Hannoveraner Kinderkrankenhaus An der Bult erstmals in Deutschland mehrere vollstationäre Rehabilitationsplätze für internetabhängige Jugendliche angeboten.[11]

Die Therapeutische Einrichtung Eppenhain (Kelkheim/Taunus) organisiert für Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren mit pathologischem Internet- und Computergebrauch ein stationäres, verhaltenstherapeutisch orientiertes Training für einen kontrollierten Umgang mit Internet und Computer sowie zum Erwerb von Kompetenzen für ein sozial integriertes Leben in der realen Welt mit dem Namen „ReWelT“ – Real-Welt-Training.

Das Problem der Therapie gegen die Internetabhängigkeit ist dabei, dass das gewöhnliche Therapieziel einer stofflichen Abhängigkeit, nämlich die möglichst vollständige Abstinenz, nicht erreichbar ist. Computer und andere elektronische Medien gehören zum alltäglichen Leben. Im Rahmen einer Therapie können die Betroffenen jedoch einen bewussteren sowie gesellschaftlich tolerierten und angepassten Umgang mit dem Medium Computer und der Internetnutzung lernen.

Dabei müssen häufig auch Folgeprobleme behandelt werden. So beinhaltet eine Therapie wie bei anderen Verhaltenstherapien, das Interesse der Betroffenen an Sport und anderen Freizeitgestaltungsmöglichkeiten zu wecken. Zudem müssen bei jugendlichen Betroffenen in der Regel die jeweiligen Eltern einbezogen werden, da gegebenenfalls das Vertrauen zwischen Kindern und Eltern gestört ist und neu aufgebaut werden muss.

Bei (Ehe-)Partnern ist unter Umständen eine Eheberatung indiziert, um gemeinsam Strategien zur Abhängigkeitsbewältigung als auch zur Rettung der Beziehung zu finden.

Deutsche Krankenkassen erkennen die "Diagnose" „Computersucht“ bisher nicht als Krankheit an. Behandlungskosten werden somit nicht übernommen.

Internetsucht in Deutschland

Einer im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums durchgeführten, am 25. September 2011 in Berlin vorgelegten Studie [12] zufolge, gibt es in Deutschland neuen Schätzungen zufolge mehr Internetsüchtige als Glücksspielabhängige. Demnach seien in Deutschland rund 560.000 Menschen vom Internet abhängig. So sollen ein Prozent der 14- bis 64-Jährigen (4,6 Prozent) täglich mindestens 4 Stunden online gehen. Das entspricht etwa dem Anteil der Cannabis-Konsumenten in Deutschland. Der Anteil der Glückspielsüchtigen liegt bei etwa 0,3 bis 0,5 Prozent, das sind rund 250.000 Personen. Der Anteil der Internet-Süchtigen liegt bei den Jugendlichen höher als bei den Älteren. Laut Studie sollen 2,4 Prozent der 14- bis 24-Jährigen internetabhängig sein. 13 Prozent gelten als "problematisch in ihrer Internetnutzung". In der Altersgruppe der 14- bis 16-Jährigen sind 4,9 Prozent der Mädchen, doch nur 3,1 Prozent der Jungen von der Online-Nutzung abhängig. In der Gruppe der bis 24-Jährigen ist das Verhältnis in etwa gleich. Insgesamt sollen Männer in der Regel häufiger unter Internetsucht leiden als Frauen. Weibliche Nutzer konzentrieren sich dabei mit 77 Prozent stärker auf soziale Netzwerke wie Facebook oder SchülerVZ, junge Männer auf Computerspiele. [13]

Studien

Literatur

  • Gabriele Farke: Onlinesucht – wenn Mailen und Chatten zum Zwang werden, 2003, Kreuz Verlag GmbH&Co Kg, ISBN 3-7831-2291-0
  • S. Kratzer: Pathologische Internetnutzung – eine Pilotstudie zum Störungsbild, 2006, ISBN 3-89967-317-4
  • C. Möller: Internet- und Computersucht bei Kindern und Jugendlichen in: M. Backmund, Suchtmedizin, 13. Erg.Lfg. 2008 (9): S.25-45; (10): S.78-79, Landsberg, Ecomedverlag
  • Mücken, D., Teske, A., Rehbein, F., te Wildt, B. (Hrsg.): Prävention, Diagnostik und Therapie von Computerspielabhängigkeit, 2010, 228 Seiten, Pabst Science Publishers, ISBN 978-3-89967-608-2
  • Petersen, K.-U., Thomasius, R.: Beratungs- und Behandlungsangebote zum pathologischen Internetgebrauch in Deutschland, 2010, 344 Seiten, Pabst Science Publishers, ISBN 978-3-89967-663-1
  • Roman Pletter: Internet-Abhängigkeit: Krankheit oder Medienhype?, Deutsches Ärzteblatt, Ausgabe Juni 2002, Seite 269 – [1] [2]
  • Oliver Seemann: Die Internet-Süchtigen, 2001, Laufen, K M, ISBN 3-87468-181-5
  • te Wildt, B.: Medialität und Verbundenheit – Zur psychopathologischen Phänomenologie und Nosologie von Internetabhängigkeit, 2010, 384 Seiten, Pabst Science Publishers, ISBN 978-3-89967-609-9
  • Hans Zimmerl: Internetsucht in: Sucht und Suchtbehandlung, Verlag LexisNexis ARD Orac 2004; Bestellnummer: 86.17.01; ISBN 3-7007-2629-5

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Block JJ. Issues for DSM-V: internet addiction. Am J Psychiatry. 2008 Mar;165(3):306-7.
  2. Study finds computer addiction is linked to impulse control disorder The Australian News, 24. Oktober 2006
  3. Deutscher Bundestag, Drucksache 16/13382 – Antrag. 17. Juni 2009. (PDF-Datei; 48 KB)
  4. The American Journal Of Psychiatry Editorial zu epidemiologischen Kulturunterschieden der Internetabhängigkeit
  5. Bundesministerium für Gesundheit: Drogen- und Suchtbericht. Mai 2009, PDF (1,5 MB); abgerufen am 13. Juli 2010
  6. Drogen- und Suchtbericht 2009 veröffentlicht, Bundesministerium für Gesundheit, Pressemitteilung, 4. Mai 2009
  7. Internet und Computerspiele – wann beginnt die Sucht? Jahrestagung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, 3. Juli 2009
  8. "Das Web ist im Alltag angekommen." Spiegel Online, 11. August 2010
  9. Mitteilung im Magazin Stern Schließung der Einrichtung Wichernhaus für medienabhängige Kinder
  10. Ambulanz für Spielsucht, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  11. Therapie für Jugendliche mit Computersucht. Ärzte Zeitung vom 25. Januar 2010, abgerufen am 7. Mai 2010
  12. Prävalenz der Internetabhängigkeit, Bericht an das Bundesministerium für Gesundheit, 2011
  13. Internetsucht auf Niveau von Cannabis-Konsum. In: Berliner Morgenpost 26. September 2011. Vgl. auch Mehr Süchtige nach Internet als nach Glücksspielen. In: MDR 26. September 2011.
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