Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich

Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich
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Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts für die offizielle Vertretung und Verwaltung der religiösen Belange aller in Österreich lebenden Muslime. Die IGGiÖ konstituierte sich 1979 als anerkannte Religionsgemeinschaft in Österreich aufgrund des „Islamgesetzes“ von 1912[1], das auf dem „Anerkennungsgesetz“ von 1874 [2] basiert, und das von der Islam-Verordnung von 1988 [3] präzisiert wird.

Neben der IGGiÖ gibt es noch zahlreiche andere Islamische Organisationen in Österreich, die teilweise in ihrem Beirat vertreten sind.

Inhaltsverzeichnis

Organisation

Die IGGiÖ hat als Exekutivorgan den Obersten Rat, als legislatives Organ den Schura-Rat und als geschäftsführendes Organ die Gemeindeausschüsse der vier Religionsgemeinden Wien, Linz, Bregenz und Graz. Alle vier Gemeindeausschüsse bilden zusammen den Schurarat. Die mindestens 16 Mitglieder des Schurarates wählen aus ihrer Mitte die 12 Mitglieder des Obersten Rates, aus dessen Mitte wiederum der Präsident der IGGiÖ gewählt wird. Das einzelne Mitglied kann den Schurarat, den Obersten Rat, den Mufti und den Präsidenten der IGGiÖ nicht direkt wählen. Die Verfassung von 1985 (geändert 1988) wurde 1999/2000 reformiert, um einen IGGiÖ-Beirat einzuführen, dem nach Ernennung durch den Schurarat die Vertreter verschiedener islamischer Vereine und Verbände in Österreich angehören können und der lediglich beratende Funktion hat.

Präsident der IGGiÖ ist seit 2011 der gebürtiger Türke Fuat Sanac, der der Millî Görüş nahe steht.[4][5] Er löst damit den gebürtige Syrer Anas Schakfeh ab, der seit 1999 dieses Amt innehatte. Vorsitzender des Schura-Rates ist Zekirija Sejdini.[6]

Mitglieder und Wahlen

Laut Artikel 1 der Verfassung der IGGiÖ [7] gehören ihr alle Anhänger des Islams an, welche in der Republik Österreich ihren Aufenthalt haben (ca. 500.000). Wahlberechtigtes Mitglied ist jedoch nur, wer gemäß Artikel 16 und 45 älter als 14 Jahre ist, in das vom Gemeindeausschuss geführte Mitgliederverzeichnis (Registerblätter) mindestens sechs Monate eingetragen ist und den jährlichen Mitgliedsbeitrag von 43,60 Euro zahlt. Laut Artikel 20 finden alle sechs Jahre Wahlen der Gemeindeaussschüsse statt, die in Folge in indirekter Wahl das obersten Gremium – den Schura-Rat –, dieser den Obersten Rat und dieser wiederum den Präsidenten der IGGiÖ wahlen.

Die letzte Wahl fand 2011 statt, und war seit dem April 2007 überfällig. Im Rahmen der Wahlvorbereitung lief seit Juni 2010 eine Mitgliederregistrierung. Bis Anfang November 2010 haben sich mehr als 45.000 Muslime als Mitglieder registrieren lassen,[8] wobei hier die Zahlen von Wien nicht enthalten sind.

Laut der Diplomarbeit von Farid Hafez, der Vertreter aller vier Religionsgemeinden der IGGiÖ interviewt hat, haben an der Wahl 2001 insgesamt 5.500 Personen teilgenommen (in Vorarlberg/Kärnten 1.200, in Oberösterreich/Salzburg 2.500, Steiermark/Kärnten 1.000 und in Wien/Niederösterreich/Burgenland 800).[9]

Reform der IGGiÖ-Verfassung

Präsident Schakfeh erklärte im Oktober 2006, dass eine Verfassungsreform der IGGiÖ geplant sei, bereits ein Entwurf im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur liege und auf die Bewilligung durch das Kultusamt (§ 2 Abs. 2 Islam-Verordnung) warte.[10] Durch IGGiÖ-Sprecherin Carla-Amina Baghajati[11] wurde bisher folgendes über die Verfassungsreform bekannt:

  • Zahl der Religionsgemeinden soll auf acht erhöht werden
  • Stimmabgabe in jeder Moschee, die mit der IGGiÖ assoziiert ist (bisher pro Religionsgemeinde nur in einem einzigen Lokal)
  • neues Wahlrecht: Jede Moschee soll sich auf eine Wahlperson einigen, die diese in den Abstimmungen zu den beiden wichtigsten Institutionen der IGGiÖ vertritt u.A. das Budget erstellt und den Obersten Rat und den Präsidenten wählt)

Der Entwurf der neuen Verfassung wurde im März 2008 vorgestellt,[12] jedoch vom Bundesministerium an die Islamische Glaubensgemeinschaft zur Nachbesserung zurückgewiesen.[13] Die Amtszeit von Präsident Anas Schakfeh ist mittlerweile ausgelaufen, er amtiert jedoch bis zu den Neuwahlen (voraussichtlich 2011) provisorisch weiter. Im Juni 2009 wurde eine überarbeitete Verfassung vom Schurarat beschlossen.[14] Im November 2009 wurde die neue Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft vom Kultusamt im Bildungsministerium genehmigt.[15]

Aufgaben

Zu ihren Aufgabenfeldern zählt die IGGiÖ unter Anderem[16] die Errichtung und Verwaltung islamischer Friedhöfe, Service bei muslimischen Angelegenheiten wie Eheschließungen nach islamischem Ritus (unter Ausschluss von Mehrehen[17]), Ausstellung von Bescheinigungen (bei Namensgebung, vor Antritt des Militärdienstes, im Todesfall, usw.) oder Beaufsichtigungen von Schächtungen sowie die Organisation von Symposien und Imamekonferenzen, dem interreligiösen Dialog, Besuchs- und Sozialdienst an Spitälern und in Haftanstalten, Islamunterricht an Schulen und der Ausbildung von Islamlehrern.

Islamischer Schulunterricht

Islamischen Religionsunterricht an den Schulen gibt es seit dem Schuljahr 1982/1983.[18] Im Jahr 2007 erteilen ca. 350 Islamlehrer rund 48.000 Schülern Religionsunterricht;[19] 55 Prozent der muslimischen Schüler melden sich aber vom Unterricht ab.[20] Der Religionsunterricht[21] wird in Pflichtschulen und höheren Schulen als Pflichtfach angeboten. Es ist möglich, im Fach islamische Religion zu maturieren.

Im Januar 2009 gerieten die islamischen Religionslehrer öffentlich in die Kritik, nachdem der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide in einer Studie zum Schluss kommt, dass ein Teil der Islamlehrer Demokratie ablehnt, weil sie sich nicht mit dem Islam vereinbaren lasse.[22]

Islamische Religionspädagogische Akademie

Für die Ausbildung islamischer Religionslehrer wurde 1998 die Islamische Religionspädagogische Akademie (IRPA) gegründet, welche islamische Diplompädagogen ausbildet. Erster Leiter war Hassan Mousa, der 2003 wegen Unregelmäßigkeiten als Schulerhalter der Al-Azhar-Schule in Floridsdorf zurücktrat, die mit nicht bezahlten Lehrergehältern, nicht gemeldeten arabischem Lehrpersonal und einem eigenen islamischen Lehrplan auf sich aufmerksam machte. [23]. Nachfolgender Direktor der IRPA ist Elsayed Elshahed von der Al-Azhar-Universität in Kairo.[24] Neben Elshahed unterrichten an der IRPA unter Anderen[25] auch IGGiÖ-Präsident Schakfeh, IRPI-Direktor Zaidan, IGGiÖ Medienreferentin Carla Amina Baghajati sowie Imam Adnan Ibrahim, der durch Aufrufe zum Jihad in arabischsprachigen Predigten aufgefallen ist.[26][27] Die Unterrichtssprache ist teils deutsch, teils arabisch. Ca. 80 Prozent der Studierenden an der IRPA sind Frauen. Seit 2001 gibt es erstmals Absolventen, mittlerweile haben rund 50 Studenten die Akademie abgeschlossen.[10] Zum 30. September 2007 wurde die Islamische Religionspädagogische Akademie der Islamischen Religionsgemeinde Wien (IRPA) aufgelöst und mit 1. Oktober 2007 in einen privaten Studiengang „Islamische Religionspädagogische Ausbildung“ umgewandelt.[28] Die Absolventen haben ab Wintersemester 2007/2008 an der Universität Wien die Möglichkeit, ein Masterstudium "Islamische Religionspädagogik" zum Religionslehrer für höhere Schulen zu absolvieren.[29]

Islamisches Religionspädagogisches Institut

Das Islamische Religionspädagogische Institut (IRPI) ist in Österreich für die Fortbildung der rund 350 islamischen Religionslehrer zuständig, die jährlich zu mindestens 24 Stunden Schulung verpflichtet sind.[30] Im Frühjahr 2006 wurden vier von fünf Religionslehrern an Schulen in Wels von der zuständigen Landesschulinspektion zum Deutschlernen verpflichtet. Seit der Institutionalisierung der Islamlehrerausbildung dürften solche Fälle eigentlich nicht mehr vorkommen.[31] Seit der Gründung des IRPI im Jahr 2003 ist Amir Zaidan dessen Leiter, das IRPI befindet sich im selben Haus wie die IRPA.

Finanzierung

Die IGGiÖ wird für die Verwaltung des Religionsunterrichtes an den österreichischen Schulen mit Geldmitteln durch die öffentliche Hand finanziert.[32] Die Gehälter von Islamlehrern, Schulfachinspektoren und Dozenten an IRPA und IRPI bezahlt der Bund. Die Finanzierung des Islamischen Friedhofs Wien in Höhe von rund 1,4 Mio. Euro wird fast ausschließlich[33] von Großspendern getragen, darunter des OPEC-Fonds und die Botschaft von Katar.[34] Von der Möglichkeit zur eigenen Steuererhebung macht die IGGiÖ nicht Gebrauch. Sie erhebt jedoch einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 43,60 Euro.

Moscheen und Gebetsräume werden nicht von der IGGiÖ finanziert, sondern durch Beiträge und Spenden der jeweiligen Vereine.[18]

Kritik

Es wird kritisiert, dass die IGGiÖ ihrem gesetzlichen Auftrag - der offiziellen Vertretung aller in Österreich lebenden Muslime - nicht ausreichend nachkomme, denn einige islamische Richtungen wie Ahmadiyya, Aleviten und Schiiten fühlen sich durch die Glaubensgemeinschaft nicht oder nur unzureichend repräsentiert. Die Aleviten haben seit Ende 2010 eine eigene staatlich anerkannte Bekenntnisgemeinschaft.[35] Im Herbst 2008 erschien in einem Handbuch des politischen Islam eine Kritik junger säkularer Muslimas an führenden Funktionsträgern der Glaubensgemeinschaft, insbesondere an Amir Zaidan, Adnan Ibrahim und El-Sayed El-Shahed, denen eine inhaltliche Nähe zu demokratiefeindlichen Positionen vorgeworfen wurde.[36]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Islamgesetz von 1912 (Deutsch, Englisch, Französisch). Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (31. Oktober 2003). Abgerufen am 28. Dezember 2010.
  2. Gesetz, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften von 1874
  3. Islam-Verordnung des BMUKS vom 2. August 1988
  4. derStandard.at: Ein neuer Präsident mit alten Troubles, 30. Juni 2011
  5. Österreich: Fuat Sanac nächster Muslim-Präsident Internetseite des Zentralrats der Muslime in Deutschland, 19. Mai. 2011
  6. derStandard.at: Fuat Sanac neuer Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, 26. Juni 2011
  7. [1]
  8. Muslime werben Mitglieder mit allen Mitteln, diepresse.com
  9. Farid Hafez: Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich. Eine Analyse der Organisationsstruktur unter Berücksichtigung muslimischer Spitzenverbände, Diplomarbeit Universität Wien, 2006.
  10. a b Peter Draxler, Solmaz Khorsand: Fast eine für alle, Datum 10/06
  11. Neue Verfassung für Muslime in Österreich. In: Die Presse. 23. November 2006
  12. orf.at: Neue Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft (13. März 2008)
  13. ots.at: Kultusamt kritisiert neue Statuten
  14. derStandard.at: Islamische Glaubensgemeinschaft segnet neue Verfassung ab, 27. Juni 2009.
  15. http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/524774/index.do
  16. Übersicht aus Broschüre zu Religionsgemeinschaften in Niederösterreich, 2004
  17. Dr. Martina Schmied: Islam in Österreich siehe erläuternde Bemerkungen zum Islamgesetz vom 15. Juli 1912
  18. a b Moslems in Österreich, Wiener Zeitung vom 16. Mai 2006
  19. Neue islamische Pädagogikkonzepte, Wiener Zeitung vom 19. Oktober 2007
  20. "Vertuschen von Problemen hilft Muslimen nicht" Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide kritisiert konservativen Religionsunterricht – 55 Prozent melden sich ab. Die Presse vom 15. November 2007
  21. Lehrplan für islamischen Religionsunterricht laut Bekanntmachung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 29. Juli 1983
  22. derstandard.at: Wirbel um Studie über muslimische Religionslehrer, 27. Jänner 2009 (aufgerufen am 31. Jänner 2009)
  23. Stefan Beig: Islam mit Integrationsproblemen. In: Wiener Zeitung. 28. Juni 2006
  24. Kurzbiographie Elsayed Elshahed, aufgerufen am 28. Juli 2011
  25. Website der IRPA, Lehrende
  26. Stefan Beig: Weitere Aufrufe zum Dschihad. In: Wiener Zeitung 23. Jänner 2007
  27. Wiener Imam: Ein „Liberaler“, der mit doppelter Zunge spricht?. In: Sicherheit-heute. 20. Jänner 2007
  28. von der IGGiÖ gegründeter privater Studiengang „Islamische Religionspädagogische Ausbildung“ zum 1. Oktober 2007 auf Grundlage des Hochschulgesetzes 2005, BGBL. I, Nr. 30/2006
  29. Masterstudium "Islamische Religionspädagogik" zum Religionslehrer für höhere Schulen an der Universität Wien
  30. Dienstvertrag der IGGiÖ Islamlehrer
  31. Peter Draxler, Solmaz Khorsand: Fast eine für alle, Datum 10/06
  32. IGGiÖ Website
  33. laut Omar Al-Rawi in "Liesing: Gräberfeld nur für Muslime" Der Standard vom 23. Mai 2007
  34. Islamischer Friedhof erst ab 2008 wien.ORF.at, 5. November 2006
  35. [2]derStandard: "Kleine Revolution" für Muslime, made in Austria], 21. Dezember 2010
  36. Larise, Dunja / Schmidinger, Thomas (Hg.): Zwischen Gottesstaat und Demokratie. Handbuch des politischen Islam. Wien 2008. ISBN 978-3552060838

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