Jefferson-Verfahren

Jefferson-Verfahren

Das D’Hondt-Verfahren (im angelsächsischen Raum: Jefferson-Verfahren, in der Schweiz: Hagenbach-Bischoff-Verfahren) ist eine Methode der proportionalen Repräsentation (Sitzzuteilungsverfahren), wie sie z. B. bei Wahlen mit dem Verteilungsprinzip Proporz (siehe Verhältniswahl) benötigt wird, um Wählerstimmen in Abgeordnetenmandate umzurechnen. Eine nicht entwicklungshistorische, sondern mathematische Bezeichnung ist Divisorverfahren mit Abrundung. Das Verfahren kann in Form fünf mathematisch äquivalenter Algorithmen bzw. Varianten, die folglich stets dasselbe Sitzzuteilungsergebnis generieren, verwendet werden: als Zweischrittverfahren, als Höchstzahlverfahren, als Rangmaßzahlverfahren, als Paarweiser-Vergleich-Verfahren oder als Quasi-Quotenverfahren (Hagenbach-Bischoff-Verfahren), entwickelt von dem Schweizer Physiker Eduard Hagenbach-Bischoff.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Im Jahre 1792 machte der spätere US-Präsident Thomas Jefferson auf Basis des nach ihm benannten Divisorverfahrens mit Abrundung einen Vorschlag für die bevölkerungsproportionale Verteilung der Sitze im US-Repräsentantenhaus auf die Bundesstaaten. Das Verfahren wurde bis 1840 hierfür verwendet. Der belgische Rechtswissenschaftler Victor D’Hondt war ein vehementer Verfechter des Verhältniswahlrechts und propagierte in seiner 1882 hierzu erschienen Schrift das Divisorverfahren mit Abrundung.

Das D’Hondt-Verfahren wurde bis einschließlich 1983 zur Berechnung der Sitzverteilung bei Wahlen zum Deutschen Bundestag verwendet und bei der Wahl 1987 durch das Hare-Niemeyer-Verfahren ersetzt. In den ersten fünf Legislaturperioden wurde es auch zur Berechnung der Ausschussbesetzung eingesetzt und im Jahre 1970 (in der sechsten Legislaturperiode mit Beginn 1969) durch das Hare-Niemeyer-Verfahren ersetzt. Bei Wahlen zu einigen Landesparlamenten, Gemeindevertretungen, Richterwahlausschüssen oder Betriebsräten wird das Verfahren auch heute noch angewandt, allerdings – wegen seiner proporzverzerrenden Wirkung (systematische Benachteiligung kleiner Parteien) – mit abnehmender Tendenz.

In Österreich wird das D’Hondt-Verfahren bei Wahlen zum Nationalrat angewandt (siehe NRWO).

Berechnungsbeispiel

Partei Zahl der
Stimmen
Prozentanteil
der Stimmen
Sitze pro-
portional
Sitze nach
d’Hondt
Partei A 416 41,6 % 4,16 4
Partei B 338 33,8 % 3,38 4
Partei C 246 24,6 % 2,46 2
1000 100,00 % 10 10
Stimmenverteilung
bei der Wahl eines 10-köpfigen Gremiums
Divisor Partei A Partei B Partei C
1 416 (1) 338 (2) 246 (3)
2 208 (4) 169 (5) 123 (7)
3 138,7 (6) 112,7 (8) 82
4 104 (9) 84,5 (10) 61,5
5 83,2 67,6 49,2
6 69,3 56,3 41
Ermittlung der Höchstzahlen (die Werte
in Klammern entsprechen der Vergabereihenfolge)

Treten zur Wahl eines Gremiums mehrere Parteien an, ist der proportionale Sitzanteil auf Basis des Stimmenanteils (Idealanspruch) nur in seltenen Fällen ganzzahlig. Daher ist ein Verfahren zur Berechnung einer ganzzahligen Sitzzahl, die jede Partei in dem Gremium erhält, notwendig.

Bei Verwendung des d’hondtschen Höchstzahlverfahrens teilt man die Zahl der erhaltenen Stimmen einer Partei nacheinander durch eine aufsteigende Folge natürlicher Zahlen (1, 2, 3, 4, 5, …, n). Die dabei erhaltenen Bruchzahlen werden als Höchstzahlen bezeichnet. Als Basis dieser Division (Dividend) wird dabei immer die Ausgangszahl – hier also die ursprüngliche „Zahl der Stimmen“ – herangezogen. Der Dividend bleibt in jeder Spalte stets gleich und wird nur durch die sich verändernden Divisor (hier: 1, 2, 3, …) geteilt.

Die Höchstzahlen werden danach absteigend nach ihrer Größe geordnet. Die so ermittelte Reihenfolge gibt die Vergabereihenfolge der Sitze an. Es finden so viele Höchstzahlen Berücksichtigung, wie Sitze im Gremium zu vergeben sind. Im vorliegenden Beispiel werden 10 Sitze vergeben. Die 10 größten Höchstzahlen (hellgrau unterlegt) werden absteigend nach ihrer Größe an die ihnen zugeordneten Parteien verteilt. Die letzte bzw. kleinste Höchstzahl, für die eine Partei noch einen Sitz erhält, gibt den Vertretungswert (auch Vertretungsgewicht) ihrer Sitze an. Der Vertretungswert ist das Verhältnis aus Stimmen- und Sitzanzahl einer Partei. Partei A repräsentiert mit jedem Sitz 104, Partei B 84,5 und Partei C 123 Wähler. Nicht nur absolut, sondern auch im Verhältnis zu ihrem Stimmenanteil ist Partei B im Gremium deutlich stärker vertreten als Partei C.

Bei Verwendung des Zweistufenverfahrens werden die Stimmenzahlen aller Parteien durch eine geeignete (nicht notwendig ganze) Zahl (Divisor) geteilt und die Ergebnisse abgerundet. Die Zahl lässt sich durch Probieren ermitteln. Sie ist höchstens gleich jener Höchstzahl, die als letzte zu einem Mandat führt. Diese Höchstzahl ist immer geeignet. Jede Zahl, die zur richtigen Gesamtzahl von Sitzen führt, ist geeignet. Im Beispiel ergibt sich die Sitzzuteilung auch mittels Division durch 84, das heißt für je volle 84 Stimmen erhält jede Partei einen Sitz.

Eigenschaften des Verfahrens

Fehlerminimierung (Minimax-Kriterium)

D’Hondt maximiert den minimalen (niedrigsten) Vertretungswert (Stimmen pro Sitz). D. h., bei gegebenem Wahlergebnis gibt es kein anderes Sitzzuteilungsverfahren, bei dem das Stimmen-Sitz-Verhältnis der Partei mit dem niedrigsten Stimmen-Sitz-Verhältnis höher ist als das Stimmen-Sitz-Verhältnis der Partei mit dem niedrigsten Stimmen-Sitz-Verhältnis nach D’Hondt. Umgekehrt zum Vertretungswert bestimmt man den Erfolgswert als das Verhältnis von Sitzen pro Stimme für eine Partei (Reziprokwert des Vertretungswerts). Folglich minimiert D’Hondt den maximalen (höchsten) Erfolgswert (Sitze pro Stimme).

Siehe auch Optimierung, Abschnitt 4 (Zielfunktion).

Mehrheitsbedingung

D’Hondt erfüllt die Mehrheitsbedingung, nicht aber die Minderheitsbedingung. D. h., eine Partei, die mindestens 50% der Stimmen auf sich vereinigt, erhält auch mindestens 50% der Sitze. Umgekehrt kann aber eine Partei, die nicht mindestens 50% der Stimmen auf sich vereinigt, trotzdem 50% der Sitze erhalten, wenn alle anderen Parteien ein schlechteres Stimmenergebnis haben. Die Erfüllung der Mehrheitsbedingung wird durch die systematische Bevorzugung größerer Parteien „erkauft“. Soll hingegen sichergestellt werden, dass eine Partei mit absoluter Stimmenmehrheit auch die absolute Mehrheit der Sitze erhält, muss die Gesamtsitzzahl ungerade sein. Dass D’Hondt bei gerader Gesamtsitzzahl die absolute Mehrheitsbedingung nicht grundsätzlich erfüllt, zeigt folgendes Beispiel: Anzahl zu vergebender Sitze: 10, Anzahl abgegebener gültiger Stimmen: 1000. Partei A: 505 Stimmen, Partei B 495 Stimmen. Im Ergebnis erhalten beide Parteien 5 Sitze und Partei A damit nicht die absolute Mehrheit von (mindestens) 6 Sitzen. Das Problem ließe sich beseitigen, indem der Partei mit absoluter Stimmenmehrheit ohne die absolute Mehrheit der Sitze erhalten zu haben, ein zusätzlicher Sitz zugeteilt und die Gesamtsitzzahl damit ungerade gemacht wird. Soll die Gesamtsitzzahl des Gremiums unter allen Umständen geradzahlig sein, müsste eine Regelung getroffen werden, nach der die größte Partei einen Grundsitz erhält und nur die restlichen Sitze nach D’Hondt verteilt werden, was natürlich eine zusätzliche Proporzverzerrung schaffen würde.

Benachteiligung kleinerer Parteien

Die Sitzzuteilung kann stark von der Proportionalität abweichen (proporzverzerrende Wirkung in Form systematischer Benachteiligung kleinerer Parteien). Dieser Effekt wird gefördert durch große Unterschiede in den Parteistärken, eine hohe Anzahl antretender Parteien und eine niedrige Anzahl zu vergebender Sitze. Extremes Beispiel: Anzahl zu vergebender Sitze: 10, Anzahl abgegebener gültiger Stimmen: 1000. Partei A erringt 600 Stimmen, 7 weitere Parteien erringen zusammen 400 Stimmen (darunter keine mehr als 59). Im Ergebnis erhält Partei A mit einem Stimmenanteil von 60% alle 10 Sitze.

Allgemein gilt: Bei n zu vergebenden Sitzen erhält die stärkste Partei alle n Sitze, wenn ihr Stimmenanteil mehr als n-mal größer ist als der der zweitstärksten Partei. Somit kann die stärkste Partei bei beliebig kleinem Stimmenanteil alle Sitze erhalten, wenn die Parteienanzahl entsprechend groß ist. Ist der Stimmenanteil der stärksten Partei genau n-mal so groß wie der der zweitstärksten, haben beide Parteien den gleichen Anspruch auf den n-ten Sitz, der folglich verlost werden muss.

Quotenbedingung

Wie bei allen anderen Divisorverfahren kann die Quotenbedingung verletzt werden (siehe obiges Extrembeispiel), nach der die Sitzzahl einer Partei nur um weniger als 1 von ihrem Idealanspruch bzw. Quote (Stimmenzahl mal Mandatszahl geteilt durch Gesamtstimmenzahl) abweichen kann. Nach dem D’Hondt-Verfahren kann eine (große) Partei nicht nur den auf die nächste ganze Zahl nach oben gerundeten Sitzanspruch, sondern einen oder mehrere Sitze darüber hinaus erhalten. Der umgekehrte Fall ist jedoch nicht möglich, da das Verfahren die Quotenbedingung zwar nicht nach oben aber nach unten erfüllt. Das heißt keine Partei kann weniger Sitze erhalten, als es ihrer abgerundeten Quote entspricht.

Vergleich mit dem Hare-Niemeyer-Verfahren

Am Beispiel der Landtagswahl Schleswig-Holstein 2005 kann illustriert werden (in Schleswig-Holstein wird bei Wahlen zum Landtag das D’Hondt-Verfahren verwendet), dass das D’Hondt-Verfahren kleinere Parteien gegenüber größeren benachteiligt. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis [1] ergibt sich die Sitzverteilung nach dem D’Hondt- und dem Hare-Niemeyer-Verfahren wie folgt:

Partei Stimmanzahl Sitzverteilung Relative Abweichung vom Idealanspruch
D’Hondt Hare-Niemeyer D’Hondt Hare-Niemeyer
CDU 576.100 30 29 +3,175 % -0,265 %
SPD 554.844 29 28 +3,556 % -0,015 %
FDP 94.920 4 5 -16,507 % +4,367 %
Grüne 89.330 4 4 -11,282 % -11,282 %
SSW 51.901 2 3 -23,651 % +14,524 %
Summe 1.367.095 69 69

Die relative Abweichung vom Idealanspruch gibt an, um welchen Prozentsatz die Vertretung einer Partei mit Abgeordneten im Parlament von ihrem bei der Wahl errungenen Stimmenanteil abweicht. Ist die relative Abweichung vom Idealanspruch positiv, erlangt die Partei durch das Sitzzuteilungsverfahren einen Vorteil, da sie im Parlament stärker vertreten ist, als es ihrem Stimmenanteil entspricht. Ist die relative Abweichung vom Idealanspruch negativ, erlangt die Partei durch das Sitzzuteilungsverfahren einen Nachteil, da sie im Parlament schwächer vertreten ist, als es ihrem Stimmenanteil entspricht.

Mehrfache Anwendung

Besonders problematisch ist die Anwendung des D’Hondt-Verfahrens, wenn das Gesamtwahlgebiet in Untergebiete gegliedert und dort jeweils eine feste Anzahl von Abgeordneten gewählt wird. Die Bundestagswahlen 1949 und 1953 wurden nach diesem Prinzip abgehalten. Jedes Bundesland bildete (abgesehen von der Sperrklauselregelung) ein in sich geschlossenes, selbständiges Wahlgebiet, in dem doppelt so viele MdB (zzgl. möglicher Überhangmandate) gewählt wurden, wie Wahlkreise auf es entfielen. Die Landeslisten der Parteien waren also anders als heute nicht verbunden. Die Anwendung des D’Hondt-Verfahrens führte entsprechend der Anzahl der Bundesländer zu einer Vervielfachung des Effekts der Benachteiligung kleinerer Parteien. Ein Vergleich der Anteile der zuteilungsberechtigten Stimmen der Parteien mit ihren Sitzanteilen im ersten und zweiten Deutschen Bundestag veranschaulicht die Proporzverzerrung. Der Sitzanteil kleiner Parteien lag deutlich unter ihren Stimmenanteilen im Gesamtwahlgebiet bzw. Bundesgebiet.

Siehe auch

Weblinks


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