- Wahl des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein 2005
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Bei der Wahl des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein am 17. März 2005 kandidierten die amtierende Ministerpräsidentin des Landes, Heide Simonis (SPD), und der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Peter Harry Carstensen. In vier Wahlgängen erhielt keiner der beiden Kandidaten eine Mehrheit. Der Landtag musste sich vertagen, ohne einen Ministerpräsidenten zu wählen. Sechs Wochen später, am 27. April 2005, wurde Carstensen schließlich zum Ministerpräsidenten einer Großen Koalition gewählt.
Inhaltsverzeichnis
Ausgangssituation
Nach der Landtagswahl am 20. Februar 2005 erhielt die CDU 30, die SPD 29, die FDP 4, Bündnis 90/Die Grünen ebenfalls 4 und der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) 2 Sitze im Landtag Schleswig-Holstein, mithin hatten CDU und FDP 34 Stimmen und damit eine Stimme weniger als die absolute Mehrheit. Während die CDU die SPD aufforderte, in Verhandlungen über eine Große Koalition einzutreten, begannen die Sozialdemokraten Koalitionsgespräche mit den Grünen. Der Koalitionsvertrag von SPD und Grünen wurde am 15. März 2005 von Sonderparteitagen der beiden Parteien bestätigt, der SSW stimmte zu, diese rot-grüne Koalition zu tolerieren. Das Votum bei der SPD war einstimmig, bei den Grünen gab es zwei Enthaltungen.
Wortlaut der Verfassung und der Geschäftsordnung
Die einschlägigen Vorschriften des Artikel 26 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein vom 13. Dezember 1949 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Landessatzung für Schleswig-Holstein vom 13. Juni 1990 lauten wie folgt:
(2) Die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident wird vom Landtag ohne Aussprache gewählt. Sie oder er beruft und entlässt die Landesministerinnen und Landesminister und bestellt aus diesem Kreis für sich eine Vertreterin oder einen Vertreter.
(3) Zur Ministerpräsidentin oder zum Ministerpräsidenten ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Landtages auf sich vereinigt.
(4) Erhält im ersten Wahlgang niemand diese Mehrheit, so findet ein neuer Wahlgang statt. Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält.
Die Verfassung sieht geheime Wahl nicht zwangsläufig vor. Die Geschäftsordnung des Landtages enthält in ihrem § 63 Absatz 3 aber folgende Bestimmung:
Bei Wahlen muss geheime Abstimmung stattfinden. Sie erfolgt durch Abgabe von Stimmzetteln. Auf Vorschlag der Präsidentin oder des Präsidenten oder auf Antrag kann offen abgestimmt werden, es sei denn, dass achtzehn Abgeordnete widersprechen.
Wahlgänge am 17. März 2005
Auf der konstituierenden Sitzung des 16. Landtages Schleswig-Holstein stand als Punkt 6 der Tagesordnung die Wahl und Vereidigung der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten auf dem Programm. Zuvor hatte der Landtag mit den Stimmen von SPD, Grünen und SSW gegen die Stimmen von CDU und FDP eine Änderung der Geschäftsordnung beschlossen, die dem SSW je eine Stimme und damit SPD, Grünen und SSW eine Mehrheit in den Ausschüssen des Landtages einräumte.
Erster Wahlgang
Die um 13:18 Uhr begonnene Behandlung des Tagesordnungspunktes führte zur geheimen Abstimmung. Der Landtagspräsident, Martin Kayenburg, gab nach der (öffentlich am Präsidentenstuhl durchgeführten) Auszählung das Ergebnis bekannt: Für Peter Harry Carstensen hatten 33 Abgeordnete, für Heide Simonis 34 Abgeordnete gestimmt; zwei Abgeordnete (mutmaßlich je einer aus dem Lager von SPD, Grünen und SSW einerseits und CDU und FDP andererseits) hatten sich enthalten. Daraufhin ordnete der Präsident einen sich unmittelbar anschließenden zweiten Wahlgang an.
Zweiter Wahlgang
Auch der zweite Wahlgang lieferte kein eindeutiges Ergebnis: Heide Simonis erhielt wieder 34 Stimmen, während Peter Harry Carstensen in diesem Wahlgang ebenfalls 34 Stimmen erhielt; mindestens ein Abgeordneter von SPD, Grünen oder SSW stimmte nicht für Heide Simonis, es gab eine Enthaltung.
Dritter Wahlgang
Im dritten Wahlgang genügte nach Artikel 26 Absatz 4 Satz 2 der Verfassung des Landes die einfache Mehrheit der Abgeordneten. Da sich jedoch wiederum ein 34:34-Patt zwischen Carstensen und Simonis ergab, konnte auch diese Verfassungsvorschrift kein finales Wahlergebnis liefern. Um 14:15 Uhr unterbrach der Präsident des Landtages die Plenarsitzung für Sitzungen der Fraktionen und berief für 15:15 Uhr den Ältestenrat ein.
Während Heide Simonis nach dem Wahlgang jede Stellungnahme ablehnte, sagte der SPD-Fraktionschef, Lothar Hay, er sei „menschlich tief enttäuscht“ von dem oder der Abgeordneten, der „Geschichte schreiben möchte“. Hay ließ nun innerhalb der SPD-Fraktion eine geheime Probeabstimmung vornehmen, die Grünen verfuhren ebenso. Die Vorsitzende der SSW-Vertreter im Landtag, Anke Spoorendonk, sagte, sie sei „irritiert und wütend“ über die Abstimmungsergebnisse und stellte die Tolerierung der rot-grünen Koalition durch den SSW in Frage. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki sprach sich für eine Große Koalition aus, spekulierte aber unmittelbar nach der Unterbrechung der Sitzung – zutreffend –, dass die SPD noch einen Wahlversuch starten wollte. Der Bundesgeneralsekretär der CDU, Volker Kauder, forderte die zu diesem Zeitpunkt noch amtierende Ministerpräsidentin zum Rückzug auf.
Vierter Wahlgang
Der Ältestenrat beschloss in seiner Sitzung einen vierten Wahlgang. Um 16:19 Uhr wurde das Ergebnis bekanntgegeben; wieder gab es ein 34:34-Patt und das, obwohl in den vorherigen fraktionsinternen Geheimabstimmungen alle Abgeordneten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen für Heide Simonis gestimmt hatten. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Lothar Hay beantragte eine weitere Unterbrechung von einer Stunde und anschließenden Zusammentritt des Ältestenrates; diesem Antrag wurde zugestimmt.
Peter Harry Carstensen wollte sich zunächst nicht zu weiteren Schritten seiner Partei und Fraktion äußern.
Am Abend gab der Landtagspräsident eine Vereinbarung aus dem Ältestenrat bekannt. Die Fraktionen waren übereingekommen, am 17. März keinen weiteren Wahlgang durchzuführen. Die nächste Sitzung sollte am 27. April stattfinden.
Konsequenzen
Am 18. März 2005 gab Heide Simonis bekannt, dass sie für eine erneute Kandidatur nicht mehr zur Verfügung stehen werde. Sie hatte sich am Morgen bereits bei ihren Mitarbeitern für deren Arbeit bedankt. Die Suche nach dem Abweichler innerhalb der SPD blieb ergebnislos und wurde am 24. März 2005 eingestellt. Die Frage eines Abweichlers aus den anderen Gruppierungen (Grüne oder SSW) wurde öffentlich nicht weiter verfolgt. Ende September 2005 erklärte Simonis in einem Interview mit dem Politikmagazin Cicero, dass sie inzwischen wisse, wer der Abweichler sei. Sie werde diesen aber nicht nennen. Es wurde gemutmaßt, dass sie Ralf Stegner verdächtigte, was sie aber dementierte.[1]
Neue Kandidaten
Da die Verfassung nicht ausdrücklich von einem dritten oder vierten, sondern nur von einem „weiteren“ Wahlgang spricht, erschien es möglich, die Wahl des Ministerpräsidenten beliebig lange fortzusetzen, bis es kein Patt mehr gegeben hätte. Es wurde spekuliert, dass anstelle von Heide Simonis der Finanzminister des Landes, Ralf Stegner, kandidieren könnte. Der wissenschaftliche Dienst des Landtages sollte nach Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel prüfen, ob die SPD für einen neuen Wahlgang einen anderen Kandidaten vorschlagen könne. Der SSW, der von vielen Beobachtern als der größte Verlierer der gescheiterten Regierungsbildung gesehen wurde, hatte allerdings erklärt, dass die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung nicht mehr in Betracht komme.
Möglichkeit von Neuwahlen
Andere Spekulationen sprachen von einer Neuwahl, zu der aber nach Artikel 13 Absatz 2 der Verfassung des Landes eine Zweidrittelmehrheit im Landtag notwendig wäre. Ob die nunmehr geschäftsführende Ministerpräsidentin noch die Vertrauensfrage nach Artikel 36 der Verfassung hätte stellen können, bei deren negativer Beantwortung sie den Landtag auflösen könnte, ist unklar. Artikel 13 Absatz 2 und Artikel 36 lauten wie folgt:
Der Landtag kann mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder unter gleichzeitiger Bestimmung eines Termins zur Neuwahl die Wahlperiode vorzeitig beenden. (Artikel 13 Absatz 2)
Stellt die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident in einem Antrag die Vertrauensfrage, ohne hierfür die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Landtages zu finden, so kann die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident binnen zehn Tagen die Wahlperiode vorzeitig beenden. (Artikel 36 Absatz 1 Satz 1)
Weiterführung der Regierung
Bis zur gültigen Wahl eines Ministerpräsidenten durch den 16. Landtag führte Heide Simonis mit ihrer Regierung in Übereinstimmung mit Artikel 27 Absatz 2 der Verfassung ihr Amt weiter. Die Dauer dieser geschäftsführenden Landesregierung war formal unbegrenzt. So regierte der vormalige stellvertretende Ministerpräsident Henning Schwarz (CDU) vom 2. Oktober 1987 bis zum 31. Mai 1988 nach dem Rücktritt Uwe Barschels und einem Patt im Landtag bis zur Neuwahl des Landtages und der Wahl Björn Engholms (SPD) als geschäftsführender Ministerpräsident. Artikel 27 Absatz 2 der Verfassung lautet:
Endet das Amt der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten, so sind sie oder er und mit ihr oder ihm die anderen Mitglieder der Landesregierung verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt der Nachfolgerinnen oder der Nachfolger weiterzuführen. Auf Ersuchen der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten hat eine Landesministerin oder ein Landesminister die Geschäfte bis zur Ernennung einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers weiterzuführen.
Fünfter Wahlgang am 27. April 2005
Nach der gescheiterten Ministerpräsidentenwahl vereinbarten CDU und SPD die Aufnahme von Verhandlungen zur Bildung einer Großen Koalition, die zum Erfolg führten. Der Koalitionsvertrag wurde durch die satzungsgemäßen Organe von CDU und SPD bestätigt.
Im fünften Wahlgang zur Wahl eines Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein war Peter Harry Carstensen der nunmehr einzige Kandidat. Er erhielt 54 von 69 Stimmen des Landtages. Sieben Abgeordnete stimmten gegen ihn, acht enthielten sich. Carstensen erhielt damit fünf Stimmen weniger als CDU und SPD Sitze im Landtag hatten. Peter Harry Carstensen ist damit der 12. Ministerpräsident des Landes und der erste CDU-Ministerpräsident seit Uwe Barschel, der 1987 zurückgetreten war.
Einzelnachweise
- ↑ Ein Gerücht und seine zerstörerische Wirkung, DIE ZEIT, 23. März 2005
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