Kardinal de Retz

Kardinal de Retz
Jean-François Paul de Gondi.

Jean-François Paul de Gondi, besser bekannt als Kardinal de Retz (getauft 20. September 1613 in Montmirail, Marne; † 24. August 1679 in Paris), war ein französischer Adeliger, Geistlicher, Politiker und Kirchenfürst des 17. Jahrhunderts. Seinen Nachruhm verdankt er vor allem seinen Memoiren.

Leben

Retz (wie er in der französischen Geschichtsschreibung heißt) war Enkel eines italienischstämmigen Lyoneser Bankiers, der dank der Protektion von Katharina von Medici (ab 1533 Gattin und später lange Zeit mächtige Witwe von König Heinrich II.) zu hohen Ämtern und dem Titel eines Herzogs von Retz gelangt war und seinem Sohn, Retz’ Vater, zu einer hochadeligen Partie und einem Generalsposten verholfen hatte.

Da Retz nur zweitgeborener Sohn war und ein jüngerer Bruder seines Großvaters, Jean-François de Gondi, schon als Bischof amtierte, wurde er mit 10 tonsuriert. Als er 13 war, starb seine Mutter, und sein frommer Vater zog sich in ein Kloster zurück. Er selbst kam ins Internat des von Jesuiten geführten Pariser Collège de Clermont, wo er einem Klassenkameraden, dem späteren Literaten Tallemant des Réaux, als streitsüchtig und geltungsbedürftig in Erinnerung blieb, aber auch ein sehr begabter Schüler war, der z.B. sechs Fremdsprachen lernte (darunter, für einen Franzosen damals ungewöhnlich, auch Deutsch). Nach Beendigung des Kollegs trat er lustlos sein Theologiestudium an, das ihn nicht hinderte, zugleich im adeligen Milieu Liebesabenteuern nachzugehen oder 1638 eine Erzählung um den Genueser Grafen Fiesco zu verfassen, dessen Rolle als Kopf einer Verschwörung gegen den Dogen Andrea Doria (1547) ihn offenbar faszinierte.

1638 schloss er das Studium mit Glanz ab, wurde zum Priester geweiht und entwickelte sich in den Folgejahren zu einem erfolgreichen mondänen Prediger. Komplett ausgearbeitete Texte seiner Predigten sind jedoch nicht erhalten, wohl auch deshalb nicht, weil er offenbar weitgehend improvisierte.

Als der Hochadelige und Ehrgeizige, der er war, beschäftigte Retz sich aber nicht nur mit seinen kirchlichen Aufgaben und seinen Liebschaften, sondern vor allem mit der Politik, d.h. den Machtkämpfen vor und hinter den Kulissen am Hof. So beteiligte er sich 1638 und 1641 an den erfolglosen Intrigen der Königin Anna von Österreich und des Hochadels gegen den allmächtigen Kardinal Richelieu. Nach dem Tod Richelieus (1642) und Königs Ludwig XIII. (1643) gelang es ihm, Stellvertreter und designierter Nachfolger seines Großonkels zu werden, der inzwischen zum Erzbischof von Paris avanciert war. Anfang 1644 wurde er zusätzlich zum Titularbischof von Korinth geweiht, einer nur auf dem Papier existierenden Diözese. Er war nun in Paris ein einflussreicher Mann, als der er auch Literaten und Künstler protegierte.

Die Beförderung Mazarins zum Kardinal und Minister durch die Königinmutter und nunmehr Regentin Anna von Österreich spornte seinen Ehrgeiz an, eine ähnliche Karriere zu versuchen. So beteiligte er sich von Anbeginn an als Akteur, aber auch als gefürchteter Pamphletist am Aufstand (1648–52) des Pariser Parlements und dann des Hochadels gegen Anna und Mazarin, der sogenannten Fronde. Hierbei wechselte er, zunächst glücklich, mehrfach die Seiten und wurde 1651 mit Hilfe Annas Kardinal. 1652 geriet er jedoch zwischen die Stühle und wurde im Dezember, bald nach der Rückkehr des neuen jungen Königs Ludwig XIV. nach Paris, als Rädelsführer verhaftet und in die Festung Vincennes gebracht.

1654 starb sein Onkel, der Erzbischof, und Retz gedachte die ihm zustehende Nachfolge anzutreten. Doch der inzwischen für volljährig erklärte Ludwig war nicht gewillt, dies zuzulassen, vielmehr versuchte er, ihn zum Verzicht zu zwingen. Als Retz ablehnte, wurde er nach Nantes geschafft, in die ferne Provinz.

Dort konnte er auf abenteuerliche Weise aus der Gefangenschaft fliehen und verließ Frankreich, nicht ohne einen fulminanten Protestbrief an die französischen Bischofskollegen zu richten. Seine Klagen verhallten jedoch wirkungslos und er blieb im Exil, das er unstet in Spanien, Italien, England, der Schweiz sowie (schließlich war er Kardinal) in Rom verlebte.

1662, nachdem er endlich doch auf die Nachfolge seines Onkels verzichtet hatte, wurde er von Ludwig begnadigt. Er erhielt als Entschädigung die reiche lothringische Abtei Commercy zugewiesen, blieb jedoch vom Hof ausgeschlossen. Immerhin wurde er von Ludwig mehrfach (1662, 65, 68 und 70) in diplomatischen Missionen nach Rom geschickt bzw. bei Papstwahlen beauftragt, im Sinne Frankreichs zu agieren.

Ab 1662 zog er sich völlig zurück nach Commercy. Hier diktierte er (1671-75?) seine Memoiren, die er einer anonymen adeligen Dame widmete, vermutlich Mme de Sévigné, deren Ehevertrag er 1644 mit abgezeichnet hatte und die 1664 einige Zeit sein Gast in Commercy gewesen war. Das Manuskript ist erhalten, weist aber einige Lücken auf.

1675 wurde Retz fromm, was ihm etliche Zeitgenossen nicht abnehmen wollten. Er starb bei dem Besuch einer Nichte in Paris und wurde in der Basilika Saint-Denis beigesetzt, auf Befehl des Königs ohne Namen auf seiner Grabplatte.

Im Zentrum der Mémoires stehen die Jahre vor und während der Fronde, d.h. Retz’ hohe Zeit als politisch Aktiver. Sie gelten als ein Meisterwerk der Gattung aufgrund der psychologischen Intuition, mit der Retz beobachtet, der Präzision und Pointiertheit, mit der er formuliert, aber auch dem Geschick, mit dem er sich und seine Positionen in Szene setzt. Die Mémoires waren, als sie postum 1717 in der Umbruchstimmung nach König Ludwigs XIV. Tod erschienen, ein großer Publikumserfolg und wurden bis ins 19. Jahrhundert hinein als eine Art Lehrbuch der politischen Intrige und des Machtpokerns gelesen.

Memoiren

  • J. F. Retz: Aus den Memoiren, Übers. Walter M. Guggenheimer. Nachwort Walter Boehlich, Fischer, Frankfurt am Main 1964

Weblinks



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