Kemençe

Kemençe
Karadeniz kemençesi

Kemençe heißen zwei türkische gestrichene Kastenhalslauten, die sich in ihrer Bauform und musikalischen Verwendung unterscheiden. Karadeniz kemençesi ist eine schlanke bootsförmige Laute mit einem charakteristischen tropfenförmigen Wirbelkasten, die in der Volksmusik der östlichen türkischen Schwarzmeerküste gespielt wird. In Griechenland ist dasselbe dreisaitige Instrument als Pontische Lyra bekannt. Die in der klassischen türkischen Musik eingesetzte fasıl kemençesi, auch armudi kemençe, besitzt einen birnenförmigen Korpus und ist mit mehreren europäischen Lauten wie der Kretischen Lyra und der bulgarischen gadulka verwandt.

Das Wort leitet sich von keman („Bogen“) her, womit heute im Türkischen die europäische Violine bezeichnet wird. Keman oder Persisch kamān ist auch im Namen der persischen klassischen Stachelfiedel kamānča und der kabak-kemane enthalten, die in der türkischen Volksmusik gespielt wird. Beide sind nicht mit der kemençe formverwandt.

Inhaltsverzeichnis

Etymologie

Das Wort Kemençe kommt vom altpersischen kamānča. Der Wortstamm kemen (persisch kamān) heißt „Bogen“. -çe nimmt die Stelle des persischen Diminutivsuffixes -ča ein und ist in den Turksprachen wie -ce, -ca und ça (je nach Lautangleichung) ein Wortbildungssuffix. Es bezeichnet die Eigenschaft Kemençe, aus dem Türkischen wörtlich zu übersetzen als „bogenartig“ oder „mit einem Bogen“ (man denke sich dazu „gespielt“). Die Eigenschaft wurde zum Substantiv Kemençe, sinngemäß übersetzt „die mit dem Bogen Gespielte“.

Varianten

Ähnliche, teilweise historische Sprech- und Schreibweisen aus verschiedenen Sprachen

Name kamace kamānča kemanča kjamanča kamānğa kemānge
Sprache kurdisch persisch aserbaidschanisch armenisch arabisch ägyptisch
kemayche kémentsès kjamaní cemāne kemane kemān Kementzes (griechisch κεμεντζές)
hindi pontogriechisch armenisch jugoslawisch türkisch algerisch griechisch

Herkunft und Verbreitung

Die Namen der Tabelle bezeichnen hauptsächlich Instrumente aus drei Gruppen von Streichinstrumenten:

  • mit dem Bogen gestrichene Langhalsgefäßspießlauten:

Der älteste, persische Name, kamānča, und die meisten anderen Namen stehen für Instrumente, die lange Hälse und einen kleinen Korpus aus Bronze, Holz, Kokosnuss oder Kürbis besitzen. Dazu gehört auch die türkische kabak kemane. Diese Instrumente entsprechen den ersten, bei arabisch schreibenden, oft aus Zentralasien stammenden Schriftstellern ab dem 11. Jahrhundert erwähnten, mit einem Bogen gestrichenen Saiteninstumenten. Der Ausgangspunkt für die Entwicklung dieser Streichinstrumente des kamānča-Typs, insbesondere für das Spiel mit dem Bogen, ist in Ḫwarizm, im sogdischen Transoxanien und Ḫorasân, also etwa im Gebiet des heutigen Ostiran, Nordafghanistan, Turkmenistan und Usbekistan, zu suchen.

  • mit dem Bogen gestrichene Kurzhalslauten:

Zu ihnen gehören die unten beschriebene türkische karadeniz kemençesi und die armudi kemençe oder fasıl kemençe. Ähnliche Instrumente sind die pontische lyra in Griechenland und die bulgarische gadulka.

  • moderne Instrumente der europäischen Geigenfamilie:

Violine und Viola verdrängen sowohl in der traditionellen Kunstmusik als auch in der Volksmusik der betroffenen Länder, z. B. in Ägypten, immer mehr die ursprünglichen mit dem Bogen gestrichenen Kurzhals- und Langhalslauten und übernehmen dabei manchmal deren traditionelle Namen.

Fasıl Kemençesi

Säbeltanz mit Kemençe

Die „Klassische Kemençe“ heißt eigentlich armudi kemençe (dt. „Birnen-Kemençe“) oder fasıl kemençe (fasıl ist eine instrumentale Vortragsfolge, dt. wörtlich „Abschnitt“). Sie ist ein Instrument der osmanischen Kunstmusik und hat eine Länge von 40–42 cm und eine Breite von 14–15 cm. Ihr Resonanzkörper, der einer halben Birne ähnelt, ihr Hals sowie die ellipsenförmig gewundene Endung des Halses sind aus einem einzigen ausgehöhlten Stück Holz geschnitzt. Auf der Decke befinden sich zwei große D-förmige Schalllöcher, deren Ränder nach außen stehen. An der Rückseite des Instrumentes befindet sich eine Rille. Die „Klassische Kemençe“ hat traditionell drei Saiten, die meist auf d1, g1 und d2 gestimmt sind. Früher wurden Melodien nur auf der höchsten Seite gespielt, die beiden anderen Saiten wurden gelegentlich für Bordunklänge genutzt. Seit diesem Jahrhundert wird die „Klassische Kemençe“ auch mit vier Saiten gebaut. Ein geübter Spieler bewältigt nun einen Tonumfang von etwa zwei Oktaven.

Beim Spielen wird das schwanzförmige Endstück auf ein Knie gelegt, der Wirbelkasten wird meist an die Brust gelehnt. Die fasıl kemençe kann auch zwischen den Knien gehalten werden. Ihre Saiten befinden sich 7–10 mm über Körper und Stiel des Instrumentes. Sie werden nicht mit den Fingern auf das Griffbrett niedergedrückt, sondern mit den Fingernägeln tangiert.

Karadeniz Kemençesi

Auch die „Schwarzmeer-Kemençe“ wird durch Aushöhlen und Schnitzen aus einem einzigen Stück Holz gefertigt. Sie hat wie viele Volksinstrumente kein Standardmaß und auch keine unveränderliche Form. Heutzutage hat sich im allgemeinen eine Länge von 56 cm durchgesetzt. Der Resonanzkörper, dessen Ränder rechtwinkelig und dessen Rückenteil flach ist, wird bevorzugt aus dem Holz des Pflaumen- oder Wacholderbaumes gefertigt. Der kurze, kaum abgesetzte Hals besitzt nur eine kurze Griffläche, da das Instrument meist in der ersten Lage gespielt wird. Das ermöglicht es dem Spieler, die karadeniz kemençesi im Stehen oder beim Tanzen zu spielen, wobei das Instrument mit der linken Hand frei in der Luft gehalten wird. Sitzt der Spieler, hält er sein Instrument zwischen den Knien. Die karadeniz kemençesi wird gerne zur Begleitung von Tänzen und Liedern, aber auch zum solistischen Vortrag gespielt.

Bekannte Kemençe-Spieler sind Picoğlu Osman (1901–1946), Katip Şadi (* 1932) und Birol Topaloğlu (* 1965).

Literatur

  • Jürgen Elsner: Kamānče, in MGG, Sachteil, Bd. 5, Kassel 1996
  • Ralf Martin Jäger und Ursula Reinhard: Türkei, in MGG, Sachteil, Bd. 9, Kassel 1998
  • Kurt Reinhard, Ursula Reinhard: Musik der Türkei, Band 1: Die Kunstmusik (Taschenbücher für Musikwissenschaft; 95). Wilhelmshaven 1984
  • Kurt und Ursula Reinhard: Musik der Türkei, Band 2: Die Volksmusik (Taschenbücher für Musikwissenschaft; 96). Wilhelmshaven 1984

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