Kirchenportal als Rechtsstätte

Kirchenportal als Rechtsstätte
Detail aus dem Portal der Kathedrale St.Trophime in Arles
Detail aus dem Portal der Kathedrale St.Trophime in Arles

Das Kirchenportal als Rechtsstätte war im Mittelalter eine verbreitete Erscheinung.

Es ist eine uralte Tradition, dass vor Kirchenportalen Gericht gehalten wurde. Die häufig an Kirchenportalen anzutreffenden Löwen wurden mit dem Thron Salomos in Beziehung gesetzt, welcher von zwei Löwen flankiert war. Da Salomo der vorbildhafteste Richter des Alten Testamentes ist, wurden die beiden Löwen im Allgemeinen mit der Gerichtshoheit in Verbindung gebracht und symbolisierten richterliche Macht. Es haben sich mehrere mittelalterliche Gerichtsakten erhalten, die „inter duos leones“, „zwischen zwei Löwen“ abgeschlossen wurden.

Wie ist diese Vorstellung entstanden, vor dem Kirchenportal Rechtsgeschäfte abzuwickeln? In erster Linie wird hier die Gleichsetzung von Stadttor und Kirchentor eine Rolle spielen. Schon im Alten Testament diente das Stadttor als Rechtsstätte der Ältesten, wie durch zahlreiche Bibelstellen zu belegen ist, beispielsweise Amos 5,15: „Hasst das Böse, liebt das Gute und bringt am Stadttor das Recht zur Geltung.“ Im Mittelalter wurde die Kirche, vor allem die Hauptkirche einer Stadt, mit dem Himmlischen Jerusalem gleichgesetzt und das Kirchenportal wurde damit symbolisch zum Stadttor.

Hier war die Schwelle, die Gut und Böse voneinander unterschied. Die Ungetauften mussten in einem gesonderten Baptisterium erst ‚gereinigt’ werden, bevor sie in das Kircheninnere eintreten durften. Die offene Tür ist ein Symbol für Christus selbst, der sagte: „Ich bin die Tür, wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden“ (Johannes 19,9). Bezeichnenderweise wurden in früheren Zeiten auch die Hochzeiten vor dem Kirchenportal geschlossen und erst nach dem Segen durfte das Brautpaar zur Messe in die Kirche. Aus dieser Tradition erklärt sich die nicht seltene Bezeichnung von bestimmten Portalen als „Brautpforte“, wie an den großen Kirchen in Bamberg, Braunschweig, Mainz oder Nürnberg.

Auch Handelsverträge wurden vor Kirchenportalen geschlossen. Daher fand auch häufig der Markt direkt vor der Kirche statt. In ihren Außenmauern waren häufig die Maße eingeritzt, die im Handel gelten sollten. Und nicht zuletzt steht das Kirchenportal für einen gesonderten Rechtsbezirk. Das Portal diente im Mittelalter auch als Asylstätte. So schildern zahlreiche zeitgenössische Berichte, wie auf der Flucht befindliche Menschen an der Kirchentür Asyl suchten, wobei das Anfassen des Türrings, des sogenannten Gnadenrings, den entscheidenden Rechtsakt darstellte. Solche mittelalterlichen Türringe haben sich hin und wieder erhalten und befinden sich noch an originaler Stelle. Und da seit alters her Rot die Farbe der Richter war, wie heute noch beim Bundesverfassungsgericht, wurden auch die betreffenden Eingangspforten der Kirchen rot gestrichen.

Quellen

  • Toman, Rolf (Hrsg.): Die Kunst der Romanik. Architektur - Skulptur - Malerei. Köln 1996

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