Kitzeln

Kitzeln
Beispiel Kitzeln

Kitzeln beschreibt den Versuch, durch leichtes Berühren des Körpers einen Reflex in Form von unfreiwilligem Lachen, Schreien oder Zuckungen zu erzeugen. Auf den sogenannten Kitzel reagieren die meisten Menschen auf die beschriebene Weise; manche Tiere durch Zucken oder Laute. Unterschieden werden Knismesis, ein sanftes Kitzeln, etwa durch eine Feder oder durch Streicheln, und Gargalesis, eine massive, oft beinahe schmerzhafte Kitzelattacke, bei der ein punktueller Druck auf empfindliche Körperpartien ausgeübt wird. [1]

In einer übertragenen Bedeutung spricht man von Kitzel, wenn man von einer Sache ganz besonders erregt wird, z. B. von Nervenkitzel bei einem spannenden Krimi.

Inhaltsverzeichnis

Gesellschaft

Lachen und ein gequälter Blick - eine typische Reaktion auf das Kitzeln.

Kitzeln ist fast immer eine Form der gesellschaftlichen Interaktion. Eine Besonderheit des Kitzelns ist, dass wir nicht lachen, wenn wir uns selbst kitzeln; nur andere Personen können uns kitzeln. Bereits Aristoteles kam zu der Erkenntnis, dass alles, was von uns selbst kommt, und sei es eine Kitzelbewegung, keine Gefahr bedeute und daher ignoriert werde. Charles Darwin stellte die Theorie der Verbindung des Kitzelns mit sozialen Beziehungen auf; demnach provoziere Kitzeln das Lachen durch die Erwartung von Genuss. Wenn ein Fremder ein Kind ohne Vorwarnung kitzelt und es dabei überrascht, so bestehe die Reaktion wahrscheinlich aus Rückzug oder Missvergnügen statt Lachen und Jauchzen. Darwin vermutete ebenfalls, dass Kitzeln nur dann wirksam sei, wenn der genaue Punkt der Stimulation nicht im Voraus bekannt ist, und begründete dies damit, dass Selbstkitzeln nicht möglich sei. Das allerdings ist umstritten.

Wissenschaft

In der Wissenschaft gibt es viele Theorien. So bezeichnet der Psychologe James Leuba das Kitzeln als reinen Schutzreflex. Andere Thesen sprechen von einer Erleichterungsfunktion nach einem Schreck, da das Gehirn merke, dass es sich bei der Berührung nicht um eine Bedrohung handelt. Sarah Blakemore bestätigte Darwins Annahme, indem sie die Hirnaktivität von Personen, die gekitzelt wurden oder sich selbst kitzelten, mit Hilfe eines Magnetresonanztomografen maß und so feststellte, dass das Kleinhirn beim Selbstkitzeln weniger aktiv als beim Fremdkitzeln ist.

Blakemore benutzte einen Roboterarm, um Personen zu kitzeln, welcher genauso effektiv war wie reale Personen. Wenn die Versuchspersonen einen Joystick zur Kontrolle des Kitzelroboters steuerte, konnten sie sich selbst nicht zum Lachen bringen. Dieses legt nahe, dass das Kleinhirn dem somatosensorischen Cortex genaue Informationen zu der Position des Kitzelortes übergibt und somit zu der Empfindung, die zu erwarten ist. Anscheinend sorge ein kortikaler Mechanismus für die Reduktion oder Unterdrückung des Kitzelreizes.

Der Kitzelreflex ist auch bei Tieren bekannt. So soll Washoe, eine Schimpansin, die die amerikanische Gebärdensprache gelernt hat, wiederholt den Forschern das Zeichen für „kitzle mich“ gegeben haben.

Folter

Lange andauerndes Kitzeln kann für Menschen so unerträglich sein, dass es als Foltermethode zu bezeichnen ist. Zum Kitzelreiz selbst kommen nach längerer Zeit durch das Lachen und Bewegungsreflexe verursachte Lungen- und Muskelschmerzen. Kitzeln als Folter überlebte bis ins Mittelalter und die Zeit des kolonialen Amerika, allerdings im Wesentlichen zur öffentlichen Demütigung. Der „Stock“ war eine spezielle Form des Prangers, die entworfen wurde, um die nackten Füße des Opfers zu fixieren, damit Passanten die Fußsohlen kitzeln konnten. Im Dreißigjährigen Krieg wurde von Söldnern und Marodeuren in der Absicht, Nahrungsmittel, Geld oder andere Sachwerte von der Zivilbevölkerung zu erpressen, angeblich Kitzelfolter in Form von Ziegenlecken eingesetzt. Dabei wurden die Fußsohlen des Opfers mit Salz eingerieben, das eine Ziege dann begann abzulecken. Bei langer Fortdauer dieser Folterung kam es vor, dass durch die raue Zunge der Ziege und das Salz die Haut allmählich abgetragen und in der Folge das Salz auf die Wunde gestreut wurde. Die Folter konnte also nach Belieben verstärkt werden.

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen beschreibt in seinem Roman Der abenteuerliche Simplicissimus sowohl die Foltermethode des Schwedentrunks als auch die des hier so genannten Ziegenleckens. Simplicius, der Held des Romans, berichtet, wie Soldaten den elterlichen Hof überfallen und seinen Vater foltern:

(S)ie banden ihn, dass er weder Händ noch Füß regen konnte, und rieben seine Fußsohlen mit angefeuchtem Salz, welches ihm unser alte Geiß wieder ablecken und dadurch also kitzeln musste, dass er vor Lachen hätte zerbersten mögen; das kam so artlich, daß ich Gesellschaft halber, oder weil ichs nicht besser verstund, von Herzen mitlachen mußte. In solchem Gelächter bekannte er seine Schuldigkeit, und öffnet' den verborgenen Schatz, welcher von Gold, Perlen und Kleinodien viel reicher war, als man hinter Bauren hätte suchen mögen.

Außer bei Grimmelshausen ist diese Foltermethode, im Unterschied zu dem von ihm ebenfalls beschriebenen Schwedentrunk, nicht sicher bezeugt, sondern könnte auch seiner Phantasie entsprungen sein. Es gibt jedoch im Mittelalterlichen Kriminalmuseum Rothenburg ein Bild zur Darstellung von Ehrenstrafen, was in einem Detail der Geschichte ähnelt.

Sexualität

Kitzeln kann außerdem als erotisches Spiel zwischen zwei Partnern zum Sexualleben beitragen. Während dem passiven Partner die Möglichkeit gegeben wird, Hemmungen abzubauen, sich fallen zu lassen und sich dem anderen anzuvertrauen, kann der aktive Partner lernen, die Wünsche des anderen zu erspüren.

Das Kitzeln nach Fesselung des passiven Partners (engl. „bondage and tickling“) wird vielfach als besonders erregend empfunden. Gekitzelt zu werden löst im Kleinhirn Endorphin-Ausschüttungen aus und kann deshalb als erregend empfunden werden. Aktives Kitzeln des wehrlosen Partners kann in einem sadistischen Sinne als erotisch empfunden werden.

Einzelnachweise

  1. G. Stanley Hall/Arthur Allin: The Psychology of Tickling, Laughing, and the Comic. American Journal of Psychology 9 (1897), 1-41, 11f.

Andere Referenzen

  • Blakemore S-J, DM Wolpert & CD Frith (1998). Central cancellation of self-produced tickle sensation. Nature Neuroscience 1, 635–640.
  • Carlsson K, P Petrovic, S Skar, KM Petersson & M Ingvar (2000). Neural processing in anticipation of a sensory stimulus. Journal of Cognitive Neuroscience 12, 691–703.
  • Berk, L. S., Tan, S. A., Fry, W. F., Napier, B. J., Lee, J. W., Hubbard, R. W., Lewis, J. E. und Eby, W. C. Neuroendocrine and stress hormone changes during mirthful laughter. Am. J. Med. Sci., 298:390–396, 1989.
  • Boiten, F. Autonomic response patterns during voluntary facial action. Psychophysiol., 33:123-131, 1996.
  • Ekman, P., Levenson, R. W. and Friesen, W. V. Autonomic nervous system activity distinguishes among emotions. Science, 221:1208-1210, 1983.
  • Fried, I., Wilson, C. L., MacDonald, K. A. und Behnke, E. J. Electric current stimulates laughter. Nature, 391:650, 1998.
  • Fry Jr., W. F. The physiologic effects of humor, mirth, and laughter. JAMA, 267:1857–1858, 1992.
  • Leuba, C. Tickling and laughter: two genetic studies. Journal of Genetic Psychology, 58, 201-209.
  • Yoon, C. K. Don't make me laugh: scientists tackle tickling. J. NIH Research, 9:34-35, 1997.

Weblinks


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