Kraftknoten

Kraftknoten

Ein Rollstuhlrückhaltesystem ist ein spezielles Rückhaltesystem für Personen im Rollstuhl, die darin sitzend in einem Kraftfahrzeug befördert werden. Es soll diese Person vor Schäden bei Unfällen schützen.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Bei Unfällen mit Fahrzeugen zur Beförderung behinderter Menschen , sogenannte Behindertentransportkraftwagen (BTW) ist das Verletzungsrisiko für Personen, die im Rollstuhl sitzend befördert werden, häufig höher als für Fahrgäste, die korrekt gesichert auf einem Fahrzeugsitz befördert werden. Daher sollten körperbehinderte Personen bei der Beförderung im Kraftfahrzeug möglichst immer auf einem serienmäßigen Fahrzeugsitz sitzen und mit dem Drei-Punkt-Sicherheitsgurt gesichert sein. Wenn es möglich ist, sollten Rollstuhlfahrer auf einen Fahrzeugsitz umgesetzt werden.

Falls das Umsetzen eines Rollstuhlbenutzers auf den Autositz nicht möglich ist, müssen sowohl der Rollstuhl als auch der Fahrgast mit einem besonderen System gesichert werden.

Systeme mit 4-Punkt-Gurt und Beckengurt

Bisher wurden häufig 4-Punkt-Gurtsysteme als Rollstuhlsicherung und ein zusätzlicher Beckengurt zur Sicherung des Fahrgastes eingesetzt. Dabei werden Gurte an Teilen des Rollstuhlrahmens befestigt und an vier Punkten auf dem Fahrzeugboden festgeschnallt. Der im Rollstuhl sitzenden Person wird ein Beckengurt umgelegt.

Dieses System bietet nur begrenzten Schutz. Ohne Schulterschräggurt ist zum Beispiel bei einem Unfall die Gefahr von Schädel-Hirn-Verletzungen sehr groß, weil bei einer Frontalkollision der im Rollstuhl sitzenden Person der Kopf auf Knie, Unterschenkel oder Fahrzeugteile prallen kann („Klappmesser- Effekt“). Sie können wie alle Sicherungssysteme ihre volle Schutzwirkung nur dann entfalten, wenn sie korrekt angelegt sind. Da sich aber Rollstühle in ihrer Größe und Konstruktion erheblich unterscheiden, müssen die Betreuer oder der Fahrer stets neu entscheiden, an welchen Stellen des Rollstuhles die Gurte des 4- Punkt-Systems angebracht werden sollen. Mangels Erfahrung oder aus Zeitmangel werden dabei oft ungünstige Punkte gewählt oder nur ein Teil der Gurte am Rollstuhl befestigt. Falsch oder nur locker angelegte Rollstuhlrückhaltesysteme können dazu führen, dass der Rollstuhl nicht optimal zurückgehalten wird und in der Folge zerbricht. Dieses kann dann zu schweren oder gar tödlichen Verletzungen des Fahrgastes führen.

Der Beckengurt lässt sich manchmal nicht über das Becken eines Fahrgastes im Rollstuhl legen, weil die Seitenteile (Armlehnen) des Rollstuhles im Wege sind. Ein falsch angelegter Beckengurt kann zudem über den Bauchbereich statt über den stabilen Beckenknochen verlaufen, die Weichteile im Bauchbereich können bei einem Unfall die auftretenden Kräfte nicht aufnehmen. Dies führt zu schweren inneren Verletzungen.

Rückhaltesystem nach DIN 75078

Ein Rückhaltesysteme nach DIN 75078 Teil 2 verbindet die Rollstuhlsicherung mit der Personensicherung. Im Gegensatz zu den bisherigen 4-Punkt-Systemen ist hierbei jedoch der Anbau besonderer Befestigungsteile am Rollstuhl notwendig. Sie werden „Kraftknoten“ genannt und die Kräfte, die bei einem Unfall auftreten, werden über diese abgeleitet.

Dieser Kraftknoten besteht aus werksseitig angebrachten Ösen an den stabilsten Punkten des Rollstuhlrahmens oder für Nachrüstungen aus einer stählernen Adapterplatte mit Gurtzungen für Abspanngurte. Das System hat dabei zwei nach hinten weisende Gurtschlosszungen für die hinteren Abspanngurte und einen Befestigungspunkt für den Beckengurt sowie zwei nach vorn weisende Gurtschlosszungen für die vordere Spannvorrichtung (Retraktor) und einen längenverstellbaren Beckengurt mit Schlosszunge zur Befestigung des Schulterschräggurtes. Am Kraftknoten bereits der Beckengurt befestigt, der somit Bestandteil des Rollstuhles ist und immer direkt auf dem Becken – mit korrektem Gurtverlauf ohne erhöhtes Risiko für den Bauchbereich – angelegt werden kann.

Definiert wird der Kraftknoten in der DIN 75078-Teil 2 als "Punkt, in dem idealerweise die Rückhaltekräfte des Personenrückhaltesystems in das Rollstuhlrückhaltesystem eingeleitet werden". Im Kraftknoten läuft das Personenrückhaltesystem, das aus Becken- und Schulterschräggurt besteht, mit den hinteren Gurten des 4-Punkt-Rollstuhlrückhaltesystem zusammen. Die Wahl falscher Befestigungspunkte am Rollstuhl wird durch einen Kraftknoten vermieden. In Verbindung mit dem Schulterschräggurt ist das System durch die vorgegebenen und standardisierten Befestigungen einfacher und sicherer anzuwenden.

Sofern auch die Fahrzeugausstattung der DIN 75078 entspricht, lässt sich der im Fahrzeug befindliche Schulterschräggurt mit dem Beckengurt kombinieren. Der Fahrgast im Rollstuhl ist dann optimal gesichert.

Rechtslage zur Anwendung

Die DIN-Norm 75078-2 beschreibt zwar Konstruktion und Notwendigkeit des Kraftknotensystems, ist aber keine Rechtsnorm, aus der sich Rechtspflichten ableiten ließen.

Für Fahrdienste wie auch für Beförderte ergeben sich im Schadensfalle dennoch mitunter, denn Versicherer könnten die Haftung im Schadensfall ablehnen oder aufgrund einer Mitschuld reduzieren, wenn kein Kraftknotensystem nach dem Stand der Technik verwendet wird. Unabhängig von der Deckungszusage oder -absage der Versicherer sind auch Fragen des Schadensersatzanspruches und der strafrechtlichen Konsequenzen für den Fahrdienst im Falle eines schweren Körperschadens zu beachten. Die Einhaltung des aktuellen Standes der Technik (hier: der DIN 75078 Teil 1 und 2) ist bei der Klärung dieser Fragen ein wesentliches, in der Rechtsprechung angewandtes Kriterium.

Fahrdienste lehnen mitunter die Beförderung ab, wenn kein Kraftknotensystem am Rollstuhl vorhanden ist, oder versuchen die Haftung auf die Fahrgäste zu übertragen, indem sie sich von diesen schriftlich die gegebenen Sicherheitshinweise bestätigen lassen.

Vertrieben werden Kraftknotensysteme als einzelne Bauteile vom Sanitätsfachhandel. Als Kosten für ein Kraftknotensystem werden ca. 300 € und für die Montage je nach Aufwand rund 80 € angegeben. Im Einzelfall können die Kosten auch höher sein.

Normen

  • DIN 13249, Behindertengerechte Personenkraftwagen, Anforderungen, Januar 1993, Beuth Verlag, Berlin
  • DIN 75078 Teil 1, Kraftfahrzeuge zur Beförderung von Personen mit eingeschränkter Mobilität, Begriffe, Anforderungen, Prüfung, 2004, Beuth Verlag, Berlin
  • DIN 75078 Teil 2, Behindertentransportkraftwagen (BTW), Rückhaltesysteme, Begriffe, Anforderungen, Prüfung, 1999, Beuth Verlag, Berlin
  • ISO 10542-1 Norm , 2001-07, Technische Systeme und Hilfen für Behinderte - Rollstuhlbefestigungs- und Insassenrückhalte-Systeme - Teil 1: Anforderungen und Prüfmethoden für alle Systeme
  • ISO 10542-2 Norm , 2001-07, Technische Systeme und Hilfen für Behinderte - Rollstuhlbefestigungs- und Insassenrückhalte-Systeme - Teil 2: Vier-Punkt-Befestigungssysteme mit Gurten
  • ISO 10542-3 Norm , 2005-02, Technische Hilfen für behinderte Menschen - Rollstuhl- und Personenrückhaltesysteme - Teil 3: Ankopplung der Rückhaltesysteme
  • ISO 10542-4 Norm , 2004-09, Technische Systeme und Hilfen für Behinderte - Rollstuhlbefestigungs- und Insassenrückhalte-Systeme - Teil 4: Befestigungssystem mittels Klemmen
  • ISO 10542-5 Norm , 2004-04, Technische Hilfen für behinderte Menschen - Rollstuhl- und Personenrückhaltesysteme - Teil 5: System für spezielle Rollstühle
  • ISO 16840-3 Norm , 2006-07, Rollstuhlsitz - Teil 3: Bestimmung der statischen Belastbarkeit, der Belastung beim Aufprall und mit sich wiederholenden Belastungskräften für Haltungsunterstützungssysteme
  • ISO/DIS 16840-4 Norm-Entwurf , 2006-06, Rollstuhlsitz - Teil 4: Sitzeinrichtungen zur Benutzung in Kraftfahrzeugen

Siehe auch

Weblinks

Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte; Informationen zum Kraftknoten (2006)

Literatur

  • Katja Kruse, Die Krux mit dem Kraftknoten, bv-aktuell, Mai 2003, Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V., S. 5ff.
  • Matthias Wilhelm; Rollstuhlsicherung in Kraftfahrzeugen Herausgeber: BGW, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, 2006, S. 7/7.
  • Matthias Wilhelm, Wenn Mobilität zur Gefahr wird - Bericht zum Unfallgeschehen von Menschen mit Behinderungen. Herausgeber: BGW, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, 2007.
  • Katja Kruse, Kraftknoten ist Leistung der Krankenversicherung, bv-aktuell, September 2004, Bundesverband für Körperund Mehrfachbehinderte e.V., S. 2
  • Orthopädie Technik, Hrsg. Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik, 5/2002 Seite 412ff., ISSN 0340-5591.
  • Susanne Stangenberger; Arbeit und Gesundheit Verkehr 2004, S. 8-9. Herausgeber: HVBG Hauptverband der Berufsgenossenschaften, Sankt Augustin; DVR Deutscher Verkehrssicherheitsrat, Bonn. ISSN 0948-0935.

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