LGMD

LGMD
Klassifikation nach ICD-10
G71.0 Muskeldystrophie
- Becken- oder Schultergürtelform
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Unter dem Begriff Gliedergürteldystrophie (engl. limb-girdle muscular dystrophy, LGMD) wird eine heterogene Gruppe genetisch bedingter, fortschreitender Muskelerkrankungen (Myopathien), die insbesondere die Muskulatur des Schulter- und Beckengürtels betrifft, zusammengefasst. Mit fortschreitender Erkrankung können auch die Extremitäten betroffen sein, so dass ein Verlust der Gehfähigkeit auftreten kann. Der Beginn der Erkrankung reicht vom Kleinkindes- bis in das hohe Erwachsenenalter und es sind sowohl milde als auch schwere Verläufe möglich. Mit etwa 8-11 Erkrankungen auf 1.000.000 Einwohner sind diese Erkrankungen sehr selten. [1]

Inhaltsverzeichnis

Ursachen

Die Gliedergürteldystrophien werden durch Gendefekte auf verschiedenen Chromosomen verursacht. Diese führen zu struktureller Abweichung, zum Mangel oder zum völligen Fehlen von verschiedenen Muskelproteinen, was zu einer chronischen Schädigung der häufig beanspruchten Muskelfasern führt. Leitsymptom ist die zunehmende Schwäche und der sichtbare Schwund der betroffenen Muskelpartien. Es sind autosomal-dominante Erbgänge bekannt (LGMD Gruppe 1), der Großteil der Erkrankungen wird jedoch autosomal-rezessiv vererbt (LGMD Gruppe 2).

Einteilung

Die heute übliche Einteilung basiert auf der Klassifikation der molekulargenetisch nachweisbaren Genmutationen bzw. der veränderten Proteine.

Einteilung der Gliedergürteldystrophien nach Mortier[1]
Typ Genort Betroffenes Genprodukt Manifestation (Alter) Leitsymptome Prognose
LGMD1 A 5q22–q34 Myotilin 18–35 Schwäche hüftnaher Beinmuskeln, Jahre später sind Armmuskeln betroffen; Schwäche von Gesichts- und Schlundmuskeln bei 20 %, Sprachstörungen (Dysarthrie) bei 25 % Rollstuhlabhängigkeit etwa 20 Jahre nach Beginn, meist normale Lebenserwartung
LGMD1 B 1q11–21 Lamin A/C 4–30 Schwächen in Hüft- und hüftnahen Oberschenkelmuskeln, in zwei Drittel der Fälle Reizüberleitungsstörungen des Herzen und möglicherweise Herzmuskelschwäche mit Erweiterung des Herzen (dilatative Kardiomyopathie) Lebenslange Gehfähigkeit, jedoch Risiko des plötzlichen Herztods um 50–60 Jahre
LGMD1 C 3p25 Caveolin-3 2–20–70 Stammnahe Muskelschwäche, Wadenkrämpfe, Wadenpseudohypertrophie wahrscheinlich lebenslange Gehfähigkeit und normale Lebenserwartung
LGMD1 D 6q23 nicht bekannt 20–25, selten unter 20 Herzrhythmusstörungen und Kardiomyopathie, später zusätzliche stammnahe Muskelschwächen Plötzlicher Tod durch AV-Block, ventrikuläre Tachykardie oder Kardiomyopathie möglich
LGMD1 E 7q nicht bekannt 10–30 Hüftnahe Beinmuskelschwäche
LGMD1 F 7q32.1–32.2 nicht bekannt unter 1–58 Beckengürtel-, Schultergürtelmuskelschwäche
LGMD2 A 15q15.1–21.1 Calpain-3 3–10–30 Schwäche der Hüft- und Oberschenkelmuskeln, auch Rumpfmuskulatur betroffen, Schultermuskulatur oft 2–5 Jahre später, häufig auch Kontrakturen der Wirbelsäule, Fußgelenke, Ellenbogen und Hände rascher oder langsamer Verlauf, entsprechend Tod um 20. Lebensjahr möglich, sonst in der 8. Lebensdekade, früher Beginn bedeutet nicht automatisch rasches Fortschreiten
LGMD2 B 2p13 Dysferlin 13–22–35 Schwäche vor allem der hinteren Hüft- und hüftnahen Oberschenkelmuskeln, 25 % Wadenpseudohypertrophie, 2–10 Jahre später Schultermuskelschwäche rascher oder langsamer Verlauf, in etwa 30 % Gehfähigkeit bis 26–54 Jahren, sonst bis 8. Dekade
LGMD2 C 13q12 γ-Sarkoglykan 3–12 Muskelschwäche im Beckengürtel früher als im Schultergürtel, frühe Wadenpseudohypertrophie, später möglicherweise Gesichtsmuskeln betroffen Gehfähigkeit in 25 % 10–15 Jahre, 50 % 15–20 Jahre, 25 % über 20 Jahre, Tod im zweiten Lebensjahrzehnt möglich
LGMD2 D 17q12–q21 α-Sarkoglykan 1–16, später Zunehmende Muskelschwächen im Beckengürtel und Oberschenkel mit verspäteten Gehbeginn oder unsicherem Gang ähnlich wie bei Muskeldystrophie Typ Duchenne rascher oder langsamer Verlauf, Gehfähigkeit bis 16–30 Jahre oder später, vorzeitiger Tod bei raschem Verlauf möglich
LGMD2 E 4q12 β-Sarkoglykan 3–12 Beckengürtel eher betroffen als Schultergürtel, Wadenpseudohypertrophie rascher oder langsamer Verlauf, Gehfähigkeit 9–14 Jahre oder bis 38 Jahre, Tod im 2.–3. Lebensjahrzehnt möglich
LGMD2 F 5q33–q34 δ-Sarkoglykan 4–10 Zunehmende Muskelschwächen im Beckengürtel und Oberschenkel mit verspäteten Gehbeginn oder unsicherem Gang ähnlich wie bei Muskeldystrophie Typ Duchenne, Gesichtsmuskeln möglicherweise betroffen, Wadenhypertrophie rasches Fortschreiten mit Gehfähigkeit 9–16 Jahre, Tod am Ende des ersten oder im zweiten Lebensjahrzehnt möglich
LGMD2 G 7q11–q12 Telethonin 9–15 Neben Hüft- und Oberschenkelmuskelschwäche auch Unterschenkelmuskeln und Arm/Schultermuskeln betroffen lange Gehfähigkeit bis 18–25 Jahre nach Beginn
LGMD2 H 9q31–q34 vermutlich E3-Ubiquitin-Ligase 1.–3. Dekade Beckengürtel eher betroffen als Schultergürtel, möglicherweise Nacken- oder Rückenschmerzen Gehschwierigkeiten mit 37–46 Jahren, Rollstuhlabhängigkeit im siebten Lebensjahrzehnt
LGMD2 I 19q13.3 Fukutin-„related“-Protein 1.–4 Dekade Zunächst Schwäche der Hüft- und Oberschenkelmuskeln, später der Schulter- und Oberarmmuskeln, Wadenpseudohypertrophie, Muskelschmerzen bei Belastung, Muskelfaserzerfall (Rhabdomyolyse) sehr unterschiedlicher Verlauf, Gehfähigkeit meist bis 30 Jahre
LGMD2 J 8q24 Titin 1.–3. Dekade Muskelschwäche und –atrophie der Hüft- und hüftnahen Oberschenkelmuskeln Gehverlust im 3.–5. Lebensjahrzehnt

Diagnose

In der Ableitung der elektrischen Muskelaktivität (Elektromyografie, EMG) finden sich unspezifische Hinweise auf eine chronische Muskelschädigung (Myopathie). Durch bildgebenden Verfahren wie die Computertomografie (CT) oder die Magnetresonanztomografie (MRT) lassen sich besonders befallene Muskelgruppen darstellen. Labordiagnostisch ist eine deutlich erhöhte Creatinkinase auffällig. Bei entsprechenden Verdacht durch klinische Symptome helfen meist molekulargenetische Untersuchungen, die Diagnose zu sichern.

Therapie

Da es sich um Erbkrankheiten handelt, ist eine ursächliche Therapie bis heute noch nicht möglich. Die symptomatische Behandlung konzentriert sich auf krankengymnastische Maßnahmen zum Erhalt der Muskelkraft und zur Schulung von Alltagsbewegungen, einer Hilfsmittelversorgung in Form von Schienen (Orthesen) oder einem Rollstuhl sowie der symptomatischen Therapie bei Reizleitungsstörungen des Herzen oder anderen Herzbeteiligungen. Bei Fehlstellungen der Füße oder der Wirbelsäule kommen insbesondere zur Wiederherstellung der Gehfähigkeit auch operative Behandlungsmaßnahmen in Frage.

Quellen

  1. a b U. Schara, W. Mortier: Neuromuskuläre Erkrankungen (NME). Teil 2: Muskeldystrophien (MD). In: Monatsschrift Kinderheilkunde 2003; 151:1321-1341

Links

  • [1] Zentrum für neuromuskuläre Erkrankungen an der Washington University in St. Louis mit ausführlichen Informationen und vielen histologischen Bildern (englisch)
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