Anmerkungen übers Theater

Anmerkungen übers Theater

Anmerkungen übers Theater ist ein Essay von Jakob Michael Reinhold Lenz, das in mehreren Schreibphasen entstand und 1774[1] erstmals, zusammen mit einer Übertragung von Shakespeares Komödie Love´s Labour´s Lost, unter dem Titel Amor vincit omnia gedruckt wurde. Neben Goethes Vortrag Zum Schäkespears Tag (1771) und dem Shakespeare-Aufsatz Herders (1773) gehört dieses Werk zu den wichtigsten Dokumenten der Shakespeare-Verehrung des Sturm und Drang. Lenz trug seine Anmerkungen übers Theater vor der Straßburger Société de Philosophie et de Belles-Lettres vor[2], in der er während seines Straßburger Aufenthalts Mitglied war.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Aufbau

Das Essay besteht in einer - schon in seiner losen Kombination - programmatischen Zusammenstellung von Überlegungen zur Theorie der Poesie und des Dramas.

Nach einer kurzen Einleitung zur Geschichte des Theaters bestimmt Lenz das Wesen der Dichtkunst und, damit zusammenhängend, den Begriff des Genies. Lenz plädiert, insofern konventionell, für eine Nachahmung der Natur in der Poesie. Allerdings stellt er den Dichter ins Zentrum seiner Betrachtungen: „Als gottgleichen Schöpfer des Kunstwerks als einer eigenen kleinen Welt“ (Killy Literaturlexikon) ist der Poet nicht in erster Linie einer Imitation der Phänomene der Natur, sondern vor allem ihrem schöpferischen Prinzip verpflichtet: Realistische Wiedergabe der Natur in seinem Sinn bedeutet danach nicht unreflektierte Wiedergabe der Natur, sondern einen subjektbezogenen, schöpferischen, sinnlichen und vitalen Entwurf durch den Künstler.

Lenz befasst sich mit drei zusammenhängenden Themenfeldern, nämlich mit der Definition des Schauspiels, mit dem Vergleich des französischen Dramas mit dem englischen Shakespeares und mit dem neu zu bestimmenden Verhältnis von Tragödie und Komödie.[3]

Abgrenzung von der Poetik des Aristoteles

Aristoteles stellte in seiner Poetik die Handlung über den Charakter. Lenz verwirft diese Festlegung als unzeitgemäß: Während die Alten noch dem „eisernen Schicksal“ unterworfen waren und sich folglich auch für nichts anderes interessiert hätten, könne das zeitgenössische Publikum an Handlungen, deren Ursache es nicht kenne, keinen Anteil nehmen. Da der Mensch sich selbst aber als autonomes Individuum begreifen lerne, wolle er auch keine ans Schicksal geketteten Helden auf der Bühne sehen, sondern solche Charaktere, „die sich ihre Begebenheiten erschaffen, die selbständig und unveränderlich die ganze große Maschine selbst drehen, ohne die Gottheiten in den Wolken anders nötig zu haben, als wenn sie wollen zu Zuschauern“. Lenz argumentiert hier wirkungsästhetisch, weil es ihm auf die Wirkung des Dramas auf den Zuschauer ankommt.

Auch das von den französischen Klassizisten aus der Poetik abgeleitete Prinzip der Einheit der Handlung, des Ortes und der Zeit wird von Lenz in polemischer Respektlosigkeit verworfen als „erschröckliche jämmerlichberühmte Bulle“ und rein formales Gerüst, das für die Gegenwart längst keine Geltung mehr habe. Wie bereits vor ihm Lessing, der allerdings Aristoteles Poetik wertschätzt, misst Lenz den Drei Aristotelischen Einheiten nur noch historische Bedeutung bei: So sieht er den Grundsatz der Einheit des Ortes darin begründet, dass im antiken Chor ein unerlässliches Element der Tragödie gesehen wurde, und erklärt die Einheit der Handlung mit sozialen und religiösen Lebensumständen der Antike.

Bedeutung

In den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts entwickelte sich in Deutschland ein Kult um den 1616, also mehr als 150 Jahre zuvor, verstorbenen William Shakespeare, dessen dramatisches Werk vielen Dichtern richtungweisend erschien.[4] Auch Lenz nahm Shakespeare zum Vorbild, der ihn nicht nur zur theoretischen Erörterung in seinem Essay anregte, sondern von ihm auch im satirischen Pandämonium Germanicum (1775) und im dramatischen Monolog Shakespeare Geist (1776) namentlich genannt und gewürdigt wird. Die Anmerkungen übers Theater sind Lenz´ erster und provokantester Beitrag zum Shakespeare-Diskurs in Deutschland und wurden auch in den zeitgenössischen literarischen Zeitschriften als einer der wichtigsten Beiträge zur Theorie des Sturm und Drang lebhaft diskutiert.

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

  • Jakob Michael Reinhold Lenz: Anmerkungen übers Theater. Shakespeare-Arbeiten und Shakespeare- Übersetzungen. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1995, ISBN 3-15-009815-7.

Sekundärliteratur

  • Eva Maria Inbar: Shakespeare in Deutschland: Der Fall Lenz. Niemeyer, Tübingen 1982, ISBN 3-484-18067-6.
  • Matthias Luserke: Die >Anmerkungen übers Theater< als poetologische Grundlegungsschrift des Sturm und Drang. In: Lenz- Studien. Literaturgeschichte - Werke - Themen. Röhrig, St. Ingbert 2001, ISBN 3-86110-281-1.

Einzelnachweise

  1. Inbar: Shakespeare in Deutschland. 1982, S. 23.
  2. Vgl. Reclam, Nachwort S.83.
  3. Vgl. für den gesamten Abschnitt Inhalt: Martin Kagel: Sachartikel: 'Anmerkungen übers Theater'. In: Theaterlexikon. Band 2. Epochen, Ensembles, Figuren, Spielformen, Begriffe, Theorien. Herausgegeben von C. Bernd Sucher. München 1999, S. 21 ff.
  4. Inbar: Shakespeare in Deutschland. 1982, S.15.

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