Leerlaufhandlung

Leerlaufhandlung

Als Leerlaufhandlungen (engl.: vacuum activities) gelten innerhalb der Instinkttheorie jene Instinktbewegungen, die von einem angeborenen Auslösemechanismus in Gang gesetzt wurden, ohne dass der Beobachter einen Schlüsselreiz nachweisen konnte.

Der Begriff Leerlaufhandlung wurde von Konrad Lorenz in die Ethologie (die klassische vergleichende Verhaltensforschung) eingeführt. Er beschrieb eine Leerlaufhandlung erstmals in den 1930er Jahren aufgrund von Beobachtungen an einem von Hand aufgezogenen Star.

Anstelle von Leerlaufhandlung wird heute eher von Leerlaufbewegungen gesprochen, da als Handlung in der Regel nur „willentlich gewähltes Verhalten“ bezeichnet wird: „Der Begriff der Handlung beinhaltet Verhaltensweisen, für die wir uns entscheiden und die wir absichtlich ausführen.“[1]

Inhaltsverzeichnis

Die Funktion der Leerlaufbewegungen innerhalb der Instinkttheorie von Konrad Lorenz

Die Lorenz'sche Instinkttheorie unterstellt einen stetig fließenden Fluss von aktionsspezifischer Energie (Triebenergie), der ursächlich verantwortlich sei für eine spezifische Handlungsbereitschaft eines Tieres (zum Beispiel zur Flucht, zum Jagen oder zur Paarung). Ferner wird in der Theorie festgelegt, dass die aktionsspezifische Energie kontinuierlich zunimmt, wenn die zugehörige Endhandlung ausbleibt, wenn also zum Beispiel kein Feind, keine Beute, kein Sexualpartner den Weg kreuzt. Das Ansteigen der aktionsspezifischen Energie (der Erregung) erkenne der Beobachter daran, dass das Tier unruhig werde und aktiv nach einer passenden, auslösenden Reizsituation suche (Appetenzverhalten). Als Beispiel für solches Appetenzverhalten könnte eine Löwin gelten, deren letzte erfolgreiche Jagd längere Zeit zurückliegt, so dass sich in ihr kontinuierlich aktionsspezifische Energie für Beutemachen ansammelt – mit der Folge, dass sie daher von Tag zu Tag suchender umherstreift. Lorenz legt in seiner Instinkttheorie schließlich drittens fest, dass bei längerfristigem Ausbleiben einer adäquaten Reizsituation, also bei einem Stau der Erregung, eine Schwellenwerterniedrigung auftrete: Das Tier reagiere bei einem solchen Triebstau auf immer unspezifischere Auslöser mit der Endhandlung; ein Beispiel hierfür wäre ein Hund, der mangels läufiger Hündinnen am Bein seines Herrchens oder auf einem Putzlappen eindeutige Begattungsbewegungen ausführt.

Da der Instinkttheorie von Konrad Lorenz zufolge die aktionsspezifische Erregung nur durch eine spezifische Endhandlung (zum Beispiel Fliehen, Beute fassen, Geschlechtsverkehr), also durch Ausagieren herabgesetzt werden kann, stellt sich folgende Frage:

  • Wie verhält sich ein Tier, das extrem lange Zeit eine bestimmte aktionsspezifische Energie nicht abbauen kann?

Für diesen Fall trifft die Theorie eine Vorhersage: Die Endhandlung werde dann im „Leerlauf“ ablaufen, also trotz des Fehlens eines nachweisbaren spezifischen Reizes, d.h. ohne Schlüsselreiz. Als Beispiel für eine solche Leerlaufbewegung kann das Verhalten eines Hundes gedeutet werden, der die Pantoffeln seines Herrchens packt und zugleich seinen Kopf heftig hin und her schüttelt – ein wohlgenährter Hund, der niemals selbst Beute machen muss, zeige hier im Leerlauf eine Verhaltensweise („Totschüttel-Bewegung“), die einem im Maul befindlichen Kaninchen umgehend das Genick brechen würde.

Zur Kritik am Konzept der Leerlaufbewegungen

Konrad Lorenz hat seinen Veröffentlichungen zufolge die ersten Leerlaufbewegungen schon als Gymnasiast bei einem zahmen Star beobachtet. Der von Hand gefütterte und daher durchweg satte Vogel sei immer wieder einmal von seinem Ruheplatz gegen die Zimmerdecke geflogen, habe in der Luft zugeschnappt, als ob er dort Fliegen finge, kehrte zu seinem Ruheplatz zurück und vollführte dort eine Schluckbewegung. Solche anekdotischen Tierbeobachtungen können durchaus von wissenschaftlichem Interesse sein, sofern sie zum Ausgangspunkt einer systematischen Analyse der Beobachtungen gemacht werden. In ihrer gründlichen, kritischen Auseinandersetzung mit der Instinkttheorie von Konrad Lorenz kam die ehemalige Bonner Verhaltensbiologin Prof. Hanna-Maria Zippelius zu dem Schluss:

„In der verhaltenskundlichen Literatur werden allerdings Leerlaufhandlungen als einmalig auftretenden Ereignisse beschrieben, noch dazu ohne genaue Angaben über die Bedingungen, unter denen sie beobachtet wurden.“ (Zippelius, S. 70)

Gemeint ist: Je nachdem, welches theoretische Konzept ein Beobachter von Tieren seinen Untersuchungen zugrunde legt, können sich unterschiedliche Konsequenzen für die Deutung der Ergebnisse ergeben. Zum Beispiel könne ein Beobachter von der theoretischen Grundlage ausgehen, dass ein Verhalten dann und nur dann auftrete, wenn die Bereitschaft und die spezifische Umweltsituation gegeben sind. Beobachte er dann ein Verhalten, ohne dass die spezifische Umweltsituation gegeben ist, so müsse er Überlegungen anstellen, ob er die auslösende Situation nur unvollständig beschrieben habe. Auf der Grundlage des theoretischen Konzepts von Lorenz sage ein Beobachter hingegen möglicherweise sehr rasch, dass er Leerlaufbewegungen registriert habe.

Prekär ist an der Argumentation der an Lorenz orientierten Ethologen ferner ein Zirkelschluss: dass nämlich die Beobachtung von Leerlaufbewegungen als wesentliche Stütze der Theorie angesehen wird, speziell im Zusammenhang mit der "Spontaneität" von Tierverhalten. Tatsächlich sind Leerlaufbewegungen aber keine Stütze der Theorie, sondern – wie oben dargestellt – eine Folge der erwähnten theoretischen Grundannahmen (stetiger Fluss an aktionsspezifischer Energie, Appetenzverhalten, Schwellenwerterniedrigung).

Da die Instinkttheorie Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, also jegliches Verhalten der Tiere zu deuten verspricht, können schließlich gravierende evolutionsbiologische Argumente gegen das Konzept der Leerlaufbewegungen (und damit zugleich gegen die Theorie als Ganzes) angeführt werden: Es ist schlichtweg nicht nachvollziehbar, welchen evolutionären Vorteil Verhaltensweisen haben sollen, die regelmäßig, aber völlig grundlos auftreten und daher eine gewaltige Vergeudung von Energien darstellen.

Deutlich erkennbar ist die Unverträglichkeit der Lorenz'schen Instinkttheorie mit grundlegenden Annahmen der Evolutionstheorie, wenn man sich das Beispiel „Fluchtverhalten“ vor Augen führt, das von Lorenz zu den Triebhandlungen gezählt wird. Ein unter günstigen Umständen lebendes Tier, das vor keinem Feind fliehen muss (eine Kuh auf der Weide oder die Maus in der katzenfreien Scheune) würde regelmäßig zu einem Spielball ihrer inneren Antriebe, sie wäre nicht länger an die Anforderungen der Umwelt angepasst: Appetenzverhalten würde in diesem Zusammenhang bedeuten, dass ein Tier unsinnigerweise nach einer auslösenden Situation suchen müsste, also nach einem Feind, um vor ihm flüchten zu können; bei Schwellenwerterniedrigung müsste es vor völlig inadäquaten Objekten fliehen, um umgekehrt – wenn nach häufiger Flucht kaum noch aktionsspezifische Energiereserven vorhanden sind – auch vor wirklich gefährlichen Objekten nicht mehr zu fliehen.

Einzelnachweise

  1. Udo Rudolph: Motivationspsychologie.Beltz Verlag, Weinheim, 2003, S. 5

Siehe auch

Literatur

Weblinks


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