Ethologe

Ethologe

Als Ethologie (gr. ηθος ethos „Charakter“, „Sinnesart“, „Sitte“, „Gewohnheit“ und -logie) wird im deutschen Sprachraum traditionell die „klassische“ vergleichende Verhaltensforschung bezeichnet, gelegentlich aber auch ganz generell die Verhaltensbiologie.

Die Ethologie ist somit ein Teilgebiet der Zoologie und eine Nachbardisziplin der Psychologie, aber innerhalb der Zoologie auch eine Ergänzung zu den vergleichenden Ansätzen von Morphologie, Anatomie und Physiologie im Dienst einer systematischen Verwandtschaftsforschung. Die ethologische Forschung ist eng verbunden mit den Arbeiten von Oskar Heinroth, Erich von Holst, Konrad Lorenz, Nikolaas Tinbergen und Irenäus Eibl-Eibesfeldt, dem Entwurf einer Instinkttheorie sowie mit dem ehemaligen Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie. Als bedeutender Vorläufer kann Jean-Henri Fabre betrachtet werden, der den Instinkt bei den Insekten untersuchte.

Inhaltsverzeichnis

Wortbedeutung

Der Begriff Ethologie ist abgeleitet von den griechischen Wörtern Ethos und Logos. Übersetzt bedeutet Ethologie somit „die Lehre vom Charakter. Im deutschen Sprachraum löste er nach dem Zweiten Weltkrieg den zuvor an seiner Stelle benutzten Begriff Tierpsychologie ab, da diese Bezeichnung inzwischen im Ruf einer bloßen Liebhaberei stand. Dies ist insofern kurios, als das in Deutschland geschaffene Kunstwort Ethologie bereits 1902 durch William Morton Wheeler als ethology in den englischen Sprachraum eingeführt worden war, sich allmählich international durchgesetzt hatte und über diesen Umweg wieder nach Deutschland zurück gelangte.

Noch in den 70er-Jahren wurden die Begriffe Ethologie, Instinktforschung und vergleichende Verhaltensforschung von den Forschern dieses Fachgebiets als Synonyme verwendet.[1] Zu dieser Zeit war der Begriff Ethologie also von der Suche nach den inneren Ursachen von Verhalten ganz allgemein auf die Lehre vom Verhalten übertragen worden.

In dem Maße, in dem die aus der traditionellen vergleichenden Verhaltensforschung hervorgegangene Instinkttheorie aufgrund von neueren behavioristischen und verhaltensökologischen sowie neurobiologischen Befunden als überholt angesehen wurde, benutzten viele Verhaltensforscher seit den 1980er Jahren auch den Begriff Ethologie immer weniger und ersetzten ihn durch die als neutraler empfundene Bezeichnung Verhaltensbiologie.

Außerhalb des deutschen Sprachraums steht ethology hingegen heute meist ganz allgemein für Verhaltensbiologie. Deshalb wurde die 1937 von Konrad Lorenz mitbegründete Zeitschrift für Tierpsychologie, neben Behaviour und Animal Behaviour jahrzehntelang die bedeutendste verhaltensbiologische Fachpublikation, 1985 dem internationalen Sprachgebrauch folgend in Ethology umbenannt.

Historischer Hintergrund: Vitalisten und Mechanisten

Schon Charles Darwin hatte aufgrund jahrelanger eigener Zuchtexperimente (u. a. an Tauben) erkannt, dass die häufig sehr komplexen Verhaltensweisen der Tiere aufgrund der gleichen Gesetzmäßigkeiten entstanden sein müssen wie ihre anatomischen Merkmale: also aufgrund von zufälliger Variabilität der einzelnen Merkmale und deren Bedeutung im Überlebenskampf ihrer Träger.

Noch bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein hielten sich aber u. a. so genannte vitalistische Anschauungen, die angeborenes Instinktverhalten zwar nicht leugneten und sogar dessen Zweckmäßigkeit aufzeigten. Sie beantworteten jedoch die Frage nach dem Entstehen dieser Zweckmäßigkeit mit der Annahme einer Lebenskraft (lateinisch vis vitalis, daher: Vitalismus), einer Naturkraft oder der göttlichen Lenkung. Diese Unterstellung letztlich übernatürlicher Kräfte blockierte lange Zeit jede naturwissenschaftliche Ursachenforschung. Ein prominenter Vertreter dieser Richtung war Alfred Russel Wallace. Wallace gilt neben Darwin als der Begründer der modernen Evolutionstheorie; er entfernte sich aber weit von allen evolutionsbiologischen Denkweisen, sobald es um die Entstehung der Instinkte ging.

In scharfem Gegensatz zu den vitalistischen Richtungen standen die sogenannten Mechanisten, die alles Verhalten als das gleichsam passive Reagieren auf Außenreize deuteten, als eine Kette von Reflexen („Reflexkettentheorie“). Ihre Anschauungen fußten vor allem auf den Forschungsergebnissen des Nobelpreisträgers Iwan Pawlow und verneinten innere Antriebe bzw. schlossen sie als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung aus. Ein prominenter Vertreter dieser Richtung war neben Pawlow der US-amerikanische Psychologe J. B. Watson, der Begründer des klassischen Behaviorismus.

Die klassische ethologische Instinktforschung

Eine grundlegende Wendung nahm die Verhaltensforschung durch Oskar Heinroth, in dessen 1910/11 publizierten Studien erstmals auch das Wort “Ethologie“ im heutigen Sinne verwendet wurde. Heinroth hatte zunächst das Verhalten von diversen Gänse- und Entenarten studiert und dabei festgestellt, dass bestimmte Bewegungsweisen (beispielsweise bei der Balz) von Tieren gleichen Geschlechts und gleicher Art mit immer denselben Gesten und Körperhaltungen ausgeführt werden. Heinroth nannte solche formkonstanten Bewegungen arteigene Triebhandlungen und konnte aufzeigen, dass verwandte Arten mehr oder weniger starke Abwandlungen solcher Verhaltensweisen besitzen. Von diesen genauen Verhaltensbeobachtungen zu einer evolutionären Deutung ihres Entstehens war es dann weder für Heinroth noch für dessen späteren Schüler Konrad Lorenz ein großer Schritt.

Das ethologische Instinktkonzept besagt, dass Instinktbewegungen im Erbgut verankert sind und durch Schlüsselreize ausgelöst werden können, solange eine innere aktionsspezifische Energie vorhanden ist. Die Zweckmäßigkeit dieses Ineinandergreifens von äußerem Auslöser, Handlungsbereitschaft und spezifischer Verhaltensweise habe sich im Prozess der Evolution entwickelt und diene letztlich der Arterhaltung.

  • Ein viel zitiertes Beispiel für eine solche Instinktbewegung ist die Eirollbewegung der Graugans: Wenn ein Ei (der Schlüsselreiz) außerhalb des Nestes gerät, reckt die Gans ihren Schnabel über das Ei hinweg und rollt das Ei mit Hilfe ihres Schnabels zurück ins Nest. Diese Bewegung läuft immer auf die gleiche Weise ab und wird selbst dann zu Ende geführt, wenn das Ei während des Vorgangs von einem Versuchsleiter entfernt wird. Diese starre, angeborene Form des Verhaltens gilt als eine arteigene Triebhandlung im Sinne von Oskar Heinroth und wurde von Konrad Lorenz als Erbkoordination bezeichnet.

Weitere Fachbegriffe der Instinkttheorie sind u. a. Angeborener Auslösemechanismus, Appetenz, Leerlaufhandlung, Übersprungbewegung sowie das Prägungskonzept.

Kennzeichnend für die ethologische Instinktforschung ist zum einen die Betonung der Freilandforschung, also das Beobachten des Verhaltens unter natürlichen Umweltbedingungen, zum anderen sogenannte Ethogramme: Das sind exakte Beschreibungen aller bei einer Tierart beobachtbaren Verhaltensweisen. Anhand dieser Ethogramme können Verhaltensprotokolle erstellt werden, in denen die Häufigkeit der Verhaltensweisen und ihre zeitliche Abfolge aufgelistet werden (z.B.: Nahrungsaufnahme, Schlafen, sich putzen, schnell weglaufen, eintragen von Jungtieren zum Nest). Hierdurch wird es möglich, sowohl die Häufigkeit als auch das Aufeinanderfolgen von Verhaltensweisen qualitativ und quantitativ zu beschreiben.

Kontroversen

Mit dem Begriff Instinktbewegung war bis Ende der 1960er-Jahre die Auffassung verbunden, es handele sich bei den so gedeuteten Verhaltensweisen um rein angeborene Aktivitäten. Inzwischen hat die Forschung aber immer mehr Anhaltspunkte dafür gefunden, dass solche starren Reaktionen auf externe Reize ein Ausnahmefall sind, dass Erbe und Umwelt auch in Bezug auf einzelne Verhaltensweisen eng miteinander verzahnt sind (siehe Reaktionsnorm).

Verhaltensökologie und Soziobiologie statt Ethologie?

Das Konzept des Instinktverhaltens in drei Phasen (ungerichtete Appetenz, Taxis, Endhandlung) ist zwar zur Beschreibung des Nahrungserwerbes von Beutegreifern geeignet, versagt aber schon bei Pflanzenfressern.

  • Im noch relativ jungen Gebiet der Ökologie, speziell in der Populationsbiologie (vergl. Demökologie) und der Ethökologie (Verhaltensökologie) werden daher beispielsweise die Nahrungssuche und andere Entscheidungsfindungen in Konfliktsituationen mit Hilfe des Konzepts der Kosten-Nutzen-Analyse erklärt (Decision Making / Entscheidungen treffen; Optimal Foraging / Optimierte Futtersuche).
  • Für die Untersuchung von Sozialverhalten hat sich neben der klassischen Ethologie die Soziobiologie als eigenständige Richtung herausgebildet; wichtige Erkenntnisse erbringen auch heute noch behavioristische und experimentelle züchtungsbiologische Ansätze.
  • Für die Untersuchung der Evolution von Verhalten liefert ferner die Spieltheorie fruchtbare Ansätze.

Angeboren oder erlernt?

Schwierig zu klären ist eine Grundfragestellung der klassischen Ethologie, ob ein bestimmtes Verhalten angeboren oder erlernt ist. Die dazu entwickelten Untersuchungsmethoden lieferten nur selten eine eindeutige Entscheidung. In der modernen Verhaltensforschung geht man davon aus, dass jegliches Verhalten, wie alle phänotypischen Eigenschaften eines Organismus, eine genetische Grundlage hat und stets zugleich durch Umwelteinflüsse moduliert wird.

  • Beispielsweise sind selbst die einfachsten „Reiz-Reaktions-Verknüpfungen“, die monosynaptischen Reflexe, wesentlich komplexer als zunächst angenommen. Schon der Kniesehnenreflex weist zusätzliche hemmende Synapsen zur Hemmung des Antagonisten sowie aufsteigende Nervenverbindungen zum Gehirn auf. Es ist nicht auszuschließen, dass die ontogenetische Entwicklung solcher Reflexe, wie viele andere Teile des Nervensystems (siehe Sehrinde), von inneren und äußeren Faktoren abhängt.
  • Die Kaspar-Hauser-Methode (Aufzucht unter Erfahrungsentzug; häufigstes Versuchstier sind hier Vögel) kann ebenfalls nicht zur zweifelsfreien Klärung angeborener Verhaltensanteile herangezogen werden. So hängt es auch von Umweltfaktoren ab, ob beispielsweise ein Singvogel einen artfremden Gesang annimmt oder nicht: Man erhält im Experiment unterschiedliche Ergebnisse, je nachdem, ob der artfremde Gesang vom Tonband kommt oder von einem lebenden Exemplar produziert wird.
  • Der angeborene Auslösemechanismus (AAM) ist beispielsweise beim Sehsystem des Menschen davon abhängig, welche Umweltreize während der frühkindlichen Entwicklung auf das Sehsystem einwirken und kann somit nicht als vollständig und zweifelsfrei angeboren gelten. Auch dieses Beispiel zeigt, dass es in der heutigen Verhaltensbiologie nicht mehr um die Pole „erbbedingt oder erfahrungsbedingt“ gehen kann. Vielmehr geht es um die wechselweisen Einflüsse von Genen und Umwelt während der ontogenetischen Entwicklung eines Verhaltensmerkmals.

Siehe auch

  • Übersicht über wichtige verhaltensbiologische Fachbegriffe
  • Übersicht über bedeutende Verhaltensforscher
  • Tiersoziologie

Quellen und weiterführende Informationen

Einzelnachweise

  1. Siehe z.B. Katharina Heinroth in Grzimeks Tierleben, Ergänzungsband Verhaltensforschung, Kap. 1

Literatur

  • Lorenz, Konrad: Über tierisches und menschliches Verhalten. Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre. Gesammelte Abhandlungen, Band 1 und 2, Piper, München 1965
  • Lorenz, Konrad: Vergleichende Verhaltensforschung. Grundlagen der Ethologie, Springer Verlag, Wien 1978
  • Eibl-Eibesfeldt, Irenäus: Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung, 7. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Piper, München 1987
  • Lorenz, Konrad: Die Naturwissenschaft vom Menschen. Eine Einführung in die vergleichende Verhaltensforschung. Das „Russische Manuskript“, Piper, München 1992
  • Franz Wuketits: Die Entdeckung des Verhaltens. Eine Geschichte der Verhaltensforschung, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995

Weblinks


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