Liturgische Frage

Liturgische Frage

Die Liturgische Frage bezeichnet heute im speziellen Sinn das Problem, ob der Römische Ritus der Katholischen Kirche, besonders die Eucharistie, in der aufgrund der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium des II. Vatikanischen Konzils festgelegten Form gültig und würdig gefeiert werden kann oder nicht. Fast alle Katholiken erachten die neue Messordnung, die Papst Paul VI. im Jahr 1969 ankündigte und 1970 in Kraft setzte, für gültig und einen Gottesdienst gemäß der „Norm der Väter“. Denn Liturgie ist der amtliche Gottesdienst der Kirche (so Mediator Dei). Auch die meisten Katholiken der Minderheit (ca. 0,2% nach Schätzung des Vatikans), die der sog. Tridentinische Messe anhängen (die wirkliche Zahl der Sympathisanten kann natürlich nicht geschätzt werden), halten die Heilige Messe im heutigen Römischen Ritus für eine gültige, wenn auch weniger würdige bzw. unwürdige sakrale Gestalt der Eucharistie.

Für manche Anhänger der „alten Messe“ besteht somit nur ein Interesse daran, dieser innerhalb des Spektrums legitimer Vielfalt, innerhalb der katholischen Liturgie, einen angemessenen Platz zuzubilligen, um eine über 1500-jährige katholische Tradition nicht zum Museumsstück werden zu lassen.

Andere Anhänger der liturgischen Tradition sehen im heutigen Spektrum der Liturgie aber den Beweis dafür, dass die Kirche als ganze dem Modernismus wohlwollend gegenüberstehe. Sie behaupten, dass Papst Paul VI. insbesondere die Wandlungsworte nicht habe ändern dürfen. Dieser hatte in der Apostolischen Konstitution "Missale Romanum" 1969 dazu verfügt, dass die Worte "Mysterium Fidei" (Geheimnis des Glaubens) aus dem Kontext der Wandlungsworte über das Brot herausgenommen und als Ruf an das Volk gestaltet wurde. Das Volk antwortet darauf mit einer Akklamation. Diese dialogische Struktur ist den Traditionalisten ein besonderes Ärgernis, da sie darin das Einfallstor protestantischer Gesinnung in die Liturgie sehen. Besonders häufig wird in der traditionalistischen Literatur auch die falsche Übersetzung der Wandlungsworte kritisiert: Während im griechischen und lateinischen Text „für viele“ steht, macht die Übersetzung ins Deutsche daraus „für alle“ (Georg May).

Gegner der Traditionalisten werfen diesen vor, die Liturgie als Instrument zur Verbreitung einer politischen Theologie zu nutzen, um ein antidemokratisches und antisemitisches Weltbild zu fördern. Dessen Wurzeln seien weniger in der katholischen Religion zu finden als im politischen Naturalismus, den die 1914 von Papst Pius X. verurteilte (das Urteil wurde 1926 von Pius XI. bekanntgemacht) Action Française vertrat. Falls diese Kritik zutrifft, instrumentalisiert diese Bewegung (Reichweite: ca. 300.000 Katholiken von 1,1 Mrd.) die "alte Messe", um gegen die geltende kirchliche Soziallehre zu opponieren, insbesondere gegen die Hinwendung zu einem demokratischen Gesellschaftsbild und das Bekenntnis zur zivilen Religionsfreiheit im Staat. Der Integralismus schreckt nicht davor zurück, die neue Messordnung für häretisch und ungültig zu erklären. Angeblich habe das modernistische Papsttum sogar Christus "entthront", das sakramentale Priestertum sei preisgegeben worden, die Fortdauer der sakramentalen Präsenz Jesu Christi in der Kirche zweifelhaft, ganze Staaten seien dem Atheismus preisgegeben und somit auf dem Weg zur Hölle (so Marcel Lefebvre am 1. November 1990 in Ecône).

Papst Benedikt XVI. hat bereits am 22. Dezember 2005 vor der Kurie eine Interpretation des II. Vatikanums im Licht der Tradition befürwortet und strebt danach, auch die liturgische Tradition insgesamt zu betonen. Einen Werbeeffekt für den Integralismus wird es daher nicht mehr geben, zumal die aus pastoralen Gründen eingerichteten Ecclesia Dei-Gemeinschaften die Tridentinische Messe auch innerhalb der römisch-katholischen Kirche bewahren. Aus römischer Sicht gilt die Liturgiereform aber für die Präsenz der Weltkirche auf allen Kontinenten als ein unerwartet großer Erfolg, da sie es überhaupt erst ermöglicht hat, die sakramentale Liturgie für viele zu erschließen. Die „liturgische Frage“ wird also mit dieser Intensität fast nur in Deutschland, Frankreich und wenigen anderen nordatlantischen bzw. lateinamerikanischen Ländern diskutiert. Das Phänomen schwindender Frömmigkeit ist zwar nicht von der Liturgie zu trennen, kann aber nicht durch die Liturgiereform verursacht worden sein. Allerdings ist es der Reform bislang auch nicht gelungen, eine liturgische Breitenwirkung zu erzielen, wenn man von dem bemerkenswerten Umstand absieht, dass nahezu alle römisch-katholischen Christen sich für ihren Gottesdienst die erneuerte Form des Römischen Ritus zu eigen gemacht haben.

Literatur

  • Georg May: Der Glaube der nachkonziliaren Kirche. Wien 1983.

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