Lodzer Deutsches Gymnasium

Lodzer Deutsches Gymnasium

Das Lodzer Deutsche Gymnasium (LDG) war ein Gymnasium in Lodz. Es wurde 1906 im damals russischen Teil Polens gegründet, um deutschen Kindern die Möglichkeit zu geben, ihre Kultur und vor allem ihre Sprache pflegen zu können.

Gebäude des ehemaligen Lodzer Deutschen Gymnasiums in Lodz, heute Gebäude der Universität Lodz, 2006

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Anfänge bis 1914

Bei einem Treffen der deutschen Lodzer Schulgemeinde 1906 sagte Heinrich Johannson: „Die Volkstumarbeit vollzieht sich in dreifacher Richtung: in geistig-kultureller, in wirtschaftlicher und in politischer Hinsicht. … Wir müssen als Deutsche eine Partei gründen, deren Aufgabe sein muss, uns neben dem politischen Mitbestimmungsrecht auch noch deutsche Schulen in genügender Anzahl zu sichern“ („Neue Lodzer Zeitung“ 18. September 1936, hier nach „Unter einem Dach“). Die Partei sollte die Deutsche Konstitutionelle Liberale Partei sein, welche am 17. Oktober 1906 gegründet wurde und welche die Mittel für den deutschen Schulverein und das Kuratorium der Schule zur Verfügung stellte. Braun und Johannson verkündeten dann in der Lodzer deutschen Presse: In friedlicher unablässiger Arbeit soll unsere deutsche Jugend für das Leben vorbereitet werden und unter Wahrung ihrer Eigenart, ohne die Menschen überhaupt nicht nützliche Bürger eines Landes sein können, soll sie ein liebevolles Verständnis für die anderen Nationalitäten gewinnen, mit denen sie in Zukunft gemeinsam zu wirken hat. (nach „Unter einem Dach“). Zu den ersten elf Lehrern gehörten u. a. Pastor bzw. Vikar Gustaw Manitius, Waldemar Kroenberg, Friedrich Lehr und Hermann Günther sowie Heinrich Johannson als Direktor.

Um die Finanzierung des Gymnasiums sicherzustellen, bildete sich ein Komitee, welches dann am 29. November 1906 die feierliche Einweihung des Gymnasiums vornehmen konnte. Die Schule befand sich in gemieteten Räumen in der Pańska-Straße und hatte bei der Eröffnung 58 Schüler in vier Klassen.

Am 6. September 1908 übernahm der Gymnasialverein das Gymnasium, welches im Schuljahr 1908/09 von 154 Schülern besucht wurde. Der Verein begann bei den Mitgliedern des deutschen Schulvereins sowie bei Lodzer Industriellen Geld zu sammeln, um ein eigenes Schulgebäude errichten zu können. Im August 1909 fand dafür die Grundsteinlegung statt. Am 15. September 1910 wurde das Schulgebäude eingeweiht. Ernst Leonhardt sagte dabei:

„Lehren Sie, bilden Sie und erziehen Sie unsere Kinder in treuem deutschen Geist zu braven Menschen, die treu bleiben ihrem Volke, treu ihrem Glauben und treu ihrem Vaterlande als gute Bürger. Pflanzen Sie in die Herzen der Jugend das Saatkorn der Duldung und Nachsicht, auf dass unsere Kinder Menschen werden, die streng mit sich selbst sind und nachsichtig gegen andere.“
nach Weigelt, Fritz: „Polen und das Lodzer Gymnasium“, 1972 in „Penne, Pauker und Pennäler“

Im Dezember des Jahres konnte im von Nestler & Ferrenbach errichteten Gebäude der Unterricht für inzwischen 349 Schüler beginnen.

Neuer Direktor war seit dem 15. September 1910 Hofrat Hugo von Eltz, da Johannsen Lodz verlassen hatte, um die Leitung einer Schule in Libau zu übernehmen. 1913/1914 besuchten 481 Schüler die Schule, welche im November 1913 vom russischen Unterrichtsminister Kasso besucht wurde. Im Juni 1914 erhielten die ersten zehn Schüler im Rahmen einer großen Feier ihr Abitur.

Erster Weltkrieg und Republik Polen

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 wurde das Gebäude von den Russen und später den Deutschen als Lazarett genutzt, und der Unterricht wurde nur von einzelnen Lehrern in Privatwohnungen abgehalten. Die deutschen Besatzer gaben das Gebäude im Sommer 1915 für den Schulbetrieb frei, und der Unterricht begann wieder. Das Auswärtige Amt in Berlin war an der Schule interessiert und ließ ihr daher ansehnliche Mittel zukommen. Im Schuljahr 1918/19 wurde der Direktor von Eltz durch den ehemaligen Lehrer Dr. Alfred Wolf abgelöst. Im April 1921 wurde Felix von Ingersleben Direktor, nachdem Wolf in die USA gegangen war. Der Jahresetat der Schule betrug zwischen den beiden Weltkriegen etwa 800.000 Złoty. Ein Schüler musste 600 Złoty, bzw. Schüler der höheren Klassen 800 Złoty Schulgeld zahlen. Gute Schüler konnten hierbei eine Minderung bis sogar den vollständigen Erlass des Schulgeldes erhalten.

Bei einer Schulolympiade 1921 erreichte das Gymnasium den ersten Platz. Ab 1924/1925 sank die Anzahl der Schüler beständig und 1925 tauchten Flugblätter aus dem Deutschen Reich auf, die antisemitische Parolen verkündeten. Wer diese verbreitete, wurde nicht geklärt, die Schule selber war nicht antisemitisch eingestellt.
1927 wurde in Polen eine Reform durchgeführt, wodurch die Entscheidungsfreiheit des deutschen Kuratoriums für die Bestellung von Direktoren oder Lehrern eingeschränkt wurde. Dies war jetzt, im Gegensatz zu früher, durch die Schulverwaltung der Wojewodschaft genehmigungspflichtig. Gleich im Anschluss an diese Entscheidung mussten die Lehrer Herrmann Günther und Herrmann Thiem die Schule verlassen.

1928/29 wurde von Ingersleben aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit dem Kuratorium des Gymnasiumvereins durch Prof. Dr. Edmund Erdmann abgelöst. Von Ingersleben verstarb im August 1929 und wurde auf dem evangelischen Friedhof in Łódź beerdigt. Nur ein Jahr später wurde der Ingenieur Bruno Guthke Direktor, was er bis 1933 bleiben sollte. Die Wirtschaftskrise 1928 verstärkte den Rückgang der Schülerzahlen noch weiter. Zugleich verlangten die Polen verstärkt polnischen Sprachunterricht, da die Deutschen zu schlecht Polnisch sprächen, und erwirkten eine Erhöhung der Anzahl von polnischen Lehrern. Der Direktor führte Polnische Tage ein, an denen die Schüler ausschließlich Polnisch sprechen sollten. Allerdings wurden diese Anweisungen weitgehend ignoriert und schließlich wieder eingestellt. Weiterhin wurde im Jahre 1928 durch das Lodzer Schulkuratorium sechs deutschen Lehrern die Unterrichtserlaubnis entzogen, woraufhin zahlreiche Bescheinigungen der guten Beziehungen der Lehrer zu Polen, unter anderem vom Gemeindeamt Widzew, von Industriellen der Stadt und auch vom Lehrerkollegium der Schule, die auch Polen als Lehrer hatte, vorgelegt wurden.

1930, zum 400. Geburtstag des polnischen Dichters Jan Kochanowski, wurde eine Feier abgehalten, Gedichte aufgesagt und Kochanowskis Tragödie Die Abfertigung der griechischen Gesandten aufgeführt.

1931 wurde den Lehrern der Schule in der Presse, zuerst im „Deutschen Volksboten“, vorgeworfen, sie würden Gelder aus dem Deutschen Reich empfangen und damit zum Schaden des polnischen Staates wirken. Die Klage des Direktors gegen Jan Danielewski, den Herausgeber des Volksboten, wegen der Verleumdung wurde am 2. Dezember 1931 abgewiesen, da es bereits früher solche Verleumdungen gegeben habe und niemand dagegen vorgegangen sei. Als Resultat des Prozesses wurden fünf deutsche Lehrer entlassen. Am 9. April 1933 demolierten einige Polen und Juden die Schule. Die Polizei traf erst etwa eine Stunde nach der Tat vor Ort ein. Die polnische Öffentlichkeit entschuldigte sich für den Vorfall, zugleich warf man den Deutschen aber vor, durch ihr Verhalten eine solche Tat provoziert zu haben. Zum folgenden Schuljahr wurde die Schule unter polnische Leitung gestellt und neuer Direktor wurde erstmals ein Pole, Franciszek Michejda. Nach dem Rücktritt Michejdas 1937 wurde Władysław Gluchowski Direktor, welcher schnell beliebt bei Lehrern wie auch Schülern wurde. Die Schule führte er im staatspolitischen Geist, suchte aber zu verhindern, dass nationalistische Einflüsse auf die Schule wirkten. Im Schuljahr 1937/38 nahmen die Übergriffe auf deutsche Schüler zu, nicht zuletzt motiviert durch die Vorgänge im Dritten Reich und die Angliederung des Sudetenlandes, wodurch die Spannungen verschärft wurden. Um die Schule zu schützen, patrouillierte polnische Polizei vor dem Schulgebäude.

Ende der Schule

1939 sollte das Schuljahr am 1. September beginnen. Durch den Beginn des Polenfeldzuges des Dritten Reiches gestaltete sich das Schuljahr schwierig. Am 9. September zog die Wehrmacht in die Stadt ein. Im Dezember wurde das Gymnasium in Staatliche Oberschule für Jungen umbenannt und unter Leitung von Oberstudiendirektor Dr. Martin Petran gestellt. Aufgrund seiner Anregung wurde die Schule im Januar 1940 in General-Briesen-Schule, Staatliche Oberschule für Jungen umbenannt. Zur selben Zeit wurde der Religionsunterricht abgeschafft und die russische und polnische Literatur aus der Bibliothek entfernt und vernichtet. Die letzte ordentliche Reifeprüfung wurde Ostern 1943 durchgeführt. Mit der näherrückenden Ostfront wurde das Schulgebäude durch die Wehrmacht besetzt und in eine Frontleitstelle umfunktioniert. Die Schule wurde in die Prienschule verlegt. Später wurden die Schüler in ein Kinder-Landverschickungs-Lager im Schloss Lustenau bei Deutscheneck (Sompolno) im Landkreis Warthbrücken verlegt. Mit der Evakuierung der Deutschen aus Litzmannstadt wurde auch das Lager aufgelöst, die Lehrer und Schüler zerstreuten sich auf der Flucht in Deutschland.

1956 trafen sich ehemalige Schüler des Gymnasiums in der Wachenburg bei Weinheim zur Feier der Gründung des Gymnasiums vor 50 Jahren. Ein zweites Treffen fand in Kassel zehn Jahre später statt, zu welchem über 1.000 Gäste kamen.

Anzahl der Schüler

1917/18 – 711 Jungen[1]

1922/23 – 852 Jungen[2]

1941/42 – 775 Jungen[3]

Direktoren der Schule


Zeitraum 1906-
1910
1910-
1918
1918-
1921
1921-
1928
1928-
1929
1929-
1933
1933-
1937
1937-
1939
1939-
1942
1942-
1945
Direktor Heinrich Johannsen Hugo von Eltz Dr. Alfred Wolf Felix von Ingersleben Prof. Dr. Edmund Erdmann Bruno Guthke Machejda Franciszek Władysław Gluchowski Dr. Martin Petran Ernst Wechselberg

Bekannte Schüler

  • Theodor Bierschenk, Magister, Lehrer, Publizist und Führungspersönlichkeit der Heimatvertriebenen
  • Georg Geilke, Ostrechtsforscher
  • Prof. Dr. Harry Hahn in Stuttgart
  • prof. Dr. Kurt G. Hausmann in Kiel
  • Karl Hemfler, Jurist, Verwaltungsbeamter und Politiker (SPD)
  • Dr. med. Prof. Harry Jakobi in Halle
  • Oskar Kossmann, Diplomat und Ostforscher
  • Friedrich Kunitzer, Maler, Grafiker und Schriftsteller
  • Peter Nasarski, Journalist
  • Ludwig Wolff (SS-Mitglied)

Literatur

  • Fritz Weigelt (Hrsg.): Penne, Pauker und Pennäler, Wuppertal 1972
  • Krystyna Radziszewska (Hrsg.), Krzysztof Woźniak: Unter einem Dach – Die Deutschen und ihre polnischen und jüdischen Nachbarn in Lodz im 19. und 20. Jahrhundert/Pod jednym dachem – Niemcy oraz ich polscy i żydowscy sąsiedzi w Łodzi w XIX i XX wieku, Łódź 2000, ISBN 83-88484-08-7, S. 114–126, S. 18–27

Fußnoten

  1. Fritz Weigelt (Hrsg.): Penne, Pauker und Pennäler, S. 38
  2. Fritz Weigelt (Hrsg.): Penne, Pauker und Pennäler, S. 43
  3. Fritz Weigelt (Hrsg.): Penne, Pauker und Pennäler, S. 56

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