- Lucie Domeier
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Lucie Domeier (geb. Esther Gad, gesch. Esther Bernard, auch Lucie Bernard; * 1767[1] in Breslau; † Oktober 1833[2]) war eine deutsche Schriftstellerin und Übersetzerin jüdischer Herkunft. Neben Reisebeschreibungen wurde sie vor allem als Briefpartnerin Jean Pauls und Rahel Varnhagen von Enses bekannt.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Lucie Domeier wurde als Esther Gad 1767 in eine wohlhabende jüdische Familie geboren. Ihr Vater war der Glogauer Raphael ben Gad[3], der sich als Jude erst nur eine begrenzte Zeit in Breslau aufhalten durfte[4] und später als generalprivilegierter Jude ständiges Aufenthaltsrecht für sich und seine Familie erhielt. Esther Gads Mutter Nissel[5] war eine Tochter des Oberrabbiners Jonathan Eybeschütz.[6] Esther Gad zeigte erst im jugendlichen Alter einen Drang nach intensiver Bildung. Ihr Bruder Isaak Gad, der zu diesem Zeitpunkt bereits in Dresden lebte, wurde für sie zu einem Vorbild, der ihr Bildung vermittelte. Mit 13 Jahren lernte sie Französisch und später Italienisch und Englisch.
Esther Gad wurde 1791[7] in Breslau mit dem Kaufmann Samuel Bernard aus Frankfurt (Oder) verheiratet und bekam in den folgenden Jahren drei Kinder.[8] Bereits 1796 ließ sie sich von Samuel Bernard scheiden und ging nach Dresden, wo sie im Haus des Oberhofkapellmeisters Johann Gottlieb Naumann lebte und u.a. mit der Schriftstellerin Elisa von der Recke verkehrte.
Um ihrem Sohn Jonas eine gute Ausbildung zukommen zu lassen, zog Esther Gad 1799 nach Berlin, wo sie Rahel Varnhagen von Ense persönlich kennenlernte, mit der sie bereits in den 1790er Jahren einen Briefwechsel geführt hatte. Sie trat mit Dorothea Veit, Henriette Herz und Madame de Genlis in freundschaftlichen Kontakt und lernte ihren zweiten Ehemann Wilhelm Friedrich Domeier[9] kennen, der zu dem Zeitpunkt der Arzt des Prinzen Eduard, Herzog von Kent war. Esther Gad konvertierte 1801 zum Christentum und nahm den Vornamen Lucie an. Sie folgte Wilhelm Friedrich Domeier im selben Jahr nach Großbritannien und heiratete ihn am 27. Juni 1802. Der Sohn August Edward Domeier kam am 20. Februar 1804 zur Welt.
Die Jahre 1802 und 1803 waren von längeren Aufenthalten in Portugal geprägt, die Lucie Domeier in ihren Reiseerzählungen verarbeitete. Später lebte sie eine längere Zeit auf Malta, bevor sie sich in London niederließ, wo ihr Mann 1815 starb. In den folgenden Jahre pflegte Lucie Domeier in London Kontakte zu Walter Scott und Lord Byron und unternahm zahlreiche Reisen, u.a. 1822 nach Deutschland. Sie selbst bezeichnete sich in einem Brief an Rahel Varnhagen als „vielgewanderter weiblicher Ulisses“.[10] Im hohen Alter erblindete sie und lebte weltabgewandt in London, wo sie möglicherweise auch verstarb.
Die Schriftstellerin Lucie Domeier
Lucie Domeier wurde erstmals 1791 schriftstellerisch aktiv, als ihr Gedicht Auf die errichtete Wilhelms-Schule in Breslau im Niederschlesischen Magazin veröffentlicht wurde. Eines ihrer bekanntesten Werke ist die 1798 teilweise in Briefform gehaltene Streitschrift Einige Aeusserungen über Hrn. Kampe'ns Behauptungen, die weibliche Gelehrsamkeit betreffend, mit der sie sich mit Joachim Heinrich Campes 1789 erschienener Schrift Väterlicher Rath für meine Tochter auseinandersetzt. Sie wandte sich in ihrem Werk gegen eine Reduzierung der Frau auf ihre Funktion als Hausfrau und Mutter und verteidigte das Recht der Frau auf höhere Geistesbildung und Gelehrsamkeit, was ihr die Bezeichnung „deutsche Wollstonecraft“ einbrachte.[11] Sie wurde in der Folgezeit mit schlesischen Autoren wie Christian Garve, Johann Gottlieb Schummel und Georg Gustav Fülleborn bekannt.
Literarischen Erfolg hatte sie auch mit ihren Reisebeschreibungen aus England und Portugal, die 1802 und 1803 erschienen. Sie war als Übersetzerin aus dem Englischen und Französischen tätig und übersetzte in den Jahren 1800–1803 unter anderem Die beiden Mütter ihrer Berliner Freundin Madame de Genlis. Die Übersetzung Marcus und Monimia aus dem Englischen gilt als ihr erster literarischer Versuch, auch die Übersetzung des Leucado, Briefe aus Spanien, mit einem Briefe an Herr Tieck stammt von ihr.
Briefwechsel
Briefwechsel mit Rahel Varnhagen von Ense
Bereits 1795 begann der Briefwechsel zwischen Lucie Domeier und Rahel Varnhagen von Ense, der zu Beginn bis 1796 andauerte. Bereits 1800 wurde er für ein Jahr wieder aufgenommen und ab 1815 bis 1821 fortgesetzt. Auf Anfrage Karl August Varnhagen von Enses erklärte Lucie Domeier 1833, keine Briefe Rahels mehr zu besitzen.
Lucie Domeier führte auch einen regen Briefwechsel mit Henriette Herz, der jedoch nicht überliefert ist.
Briefwechsel mit Jean Paul
Lucie Domeier und Jean Paul trafen erstmals im Juli 1797 in Franzensbad zusammen, wo der Dichter die Schriftstellerin Emilie von Berlepsch besuchte. Die Vermittlung übernahm dabei die Gräfin Schlabrendorf, die eine Anhängerin des Dichters war. Die Brieffreundschaft wurde durch Lucie Domeier begonnen, die Jean Pauls Schrift Hesperus oder 45 Hundposttage mehrfach gelesen hatte. Der Briefwechsel 1797 dauerte jedoch nur ein halbes Jahr, in dem Jean Paul nur selten auf Lucie Domeiers Briefe reagierte. Erst 1800 wurde die Korrespondenz wieder aufgenommen, da sich Jean Paul in Berlin aufhielt, wo auch Lucie Domeier lebte. Lucie Domeier führte Jean Paul in verschiedene Salons und Diskussionszirkel ein, z.B. in die Feßlersche Mittwochsgesellschaft. In einem Brief an Jean Paul bekannte sie:
„Ich kenne keinen Schriftsteller ältrer oder neurer Zeiten, der so allgemein von den Weibern geliebt wurde, als Sie. Dies anzuführen, muß ihr Biograph einst nicht vergessen.“
– Lucie Domeier an Jean Paul: Brief vom 16. September 1800[12]
Einer der letzten erhaltenen Briefe Lucie Domeiers an Jean Paul wurde im April 1801 verfasst. Der letzte erhaltene Brief Jean Pauls an Lucie Domeier ist nur als Konzept erhalten und auf den 3. März 1804 datiert. Insgesamt sind 14 Briefe Lucie Domeiers erhalten, jedoch nur wenige Briefe und Billets von Jean Paul. Trotzdem muss davon ausgegangen werden, dass beide bis zum Tod Jean Pauls in Kontakt blieben. Kurz nach dessen Tod schrieb Lucie Domeier an Rahel Varnhagen von Ense:
„Und so ist auch Jean Paul todt. es kommt mir immer sonderbar vor wenn Menschen mit so viel Geist sterben. Die Dummen sind immer halb todt!“
– Lucie Domeier an Rahel Varnhagen von Ense: Brief vom 23. April 1826[13]
Werke
- Einige Aeusserungen über Hrn. Kampe'ns Behauptungen, die weibliche Gelehrsamkeit betreffend (1798)
- Etwas über Schiller's Piccolomini (1799)
- Nachrichten aus dem Dresdner Museum (1799)
- Lissabon (1802)
- E. Bernard geb. Gad: Briefe während meines Aufenthalts in England und Portugal an einen Freund (Teil 1, 1802)
- Lucie Bernard geb. Gad: Neue Reise durch England und Portugal. In Briefen an einen Freund (Teil 2, 1803)
- Die Portugiesinnen (1803)
- [Lucie Domeier]: Kritische Auseinandersetzung mehrerer Stellen in dem Buche der Frau von Staël über Deutschland. Mit einer Zueignungsschrift an den Herrn Jean Paul Richter. Aus dem Englischen übersetzt von der Verfasserin des Originals (1814)
- An appendix of the description of Paris (1820)
Lucie Domeier veröffentlichte weitere kleinere prosaische und poetische Arbeiten in Journalen und Sammlungen, z.B. der Berlinischen Monatsschrift. Sie schrieb zudem einen Roman mit dem Titel Die Geschwister, der auf zwei Bände konzipiert war, jedoch vermutlich nie vollendet wurde. Der erste Teil des Romans, den Jean Paul anerkennend gewürdigt hatte, wurde im Herbst 1800 verschiedenen Berliner Verlegern angeboten, jedoch entschied sich keiner zum Druck.[14] Der Roman ging verloren.
Literatur
- Peter Beer: Esther Bernard, geborene Gad. Eine biographische Skizze. In: Sulamith. 5, 1817, S. 252–258.
- Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts, Erster Theil A-L. F. A. Brockhaus, Leipzig 1823.
- Meyer Kayserling: Die jüdischen Frauen in der Geschichte, Literatur und Kunst. Brockhaus, Leipzig 1879; Reprint Georg Olms Verlag, Hildesheim 1991, S. 234–236, ISBN 3487094258.
- Bernhard Brilling: Eibenschütziana. In: Hebrew Union College Annual. 35, 1964, S. 255–273.
- Karin Rudert: Die Wiederentdeckung einer „deutschen Wollstonecraft“: Esther Gad Bernard Domeier für Gleichberechtigung der Frauen und Juden. In: Quaderni. 10, 1988, S. 213–257.
- Barbara Hahn: „Geliebtester Schriftsteller“. Esther Gads Korrespondenz mit Jean Paul. In: JbJPG. 16, 1990, S. 7–42.
- Barbara Hahn: Unter falschem Namen. Von der schwierigen Autorschaft der Frauen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991.
- Shirley Brückner: Religion und Geschlecht. Zur Bildungsidee jüdischer Frauen um 1800. Magisterarbeit, Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg, Halle-Wittenberg 2003.
- Dorothea Böck, Eduard Berend (Hrsg.): Jean Pauls sämtliche Werke: Historisch-kritische Ausgabe. Akademie Verlag, Berlin 2004, S. 861f., ISBN 3050037725.
- Monika Meier: Esther Gad – Lucie Domeier: „ein vielgewanderter weiblicher Ulisses“ in und über Berlin. Vortrag Oktober 2007 auf der Konferenz Berlin 1800–1830: Emanzipation einer Kulturmetropole.
Einzelnachweise
- ↑ Einige Quellen geben 1770 als Geburtsjahr an.
- ↑ Das genaue Todesdatum steht nicht fest, teilweise findet sich auch die Angabe „nach 1833“ in der zugänglichen Literatur. Falsch ist die Angabe des Todesjahrs 1820, da Briefe Lucie Domeiers aus dem Jahr 1833 erhalten sind.
- ↑ um 1745–1808
- ↑ Als sog. „Fix-Entrist“ musste er jährlich eine „Fix-Entrée“ genannte Abgabe zahlen, durch die sein Aufenthalt in Breslau verlängert wurde.
- ↑ um 1741–1793
- ↑ 1690–1764
- ↑ Meyer Kayserling gibt 1792 als Jahr der Heirat an, wieder andere Quellen gehen von 1795 aus.
- ↑ Sohn Jonas, * um 1791 (Hahn: Unter falschem Namen nennt ihn auf S. 45 auch „Johann Robert“); Tochter Rebekka, * 18. Dezember 1792, † 1794; Tochter Jeanette, genannt Nettchen, * um 1795
- ↑ * 1763 in Hannover; † 20. April 1815 in London; Wilhelm Friedrich Domeier starb als königlicher Leibarzt des Prinzen August Friedrich, Herzog von Sussex.
- ↑ Lucie Domeier an Rahel Varnhagen, Brief vom 9.2.1816, zit. nach Hahn: Unter fremdem Namen. S. 43.
- ↑ Vgl. Schindel, S. 104.
- ↑ Zit. nach Hahn: Unter falschem Namen. S. 36.
- ↑ Zit. nach Hahn: Unter falschem Namen. S. 36.
- ↑ Hahn, S. 39.
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