Apostolikumsstreit

Apostolikumsstreit

Der Apostolikumsstreit war an der Schwelle des 20. Jahrhunderts eine Auseinandersetzung in der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) um die Bindung an die altkirchlichen Bekenntnisse. Allen Kirchen, die der EKD angehören, ist das Apostolische Glaubensbekenntnis (Apostolikum) und das Nicänische Glaubensbekenntnis gemeinsam. Das Apostolikum findet in den reformierten (calvinistischen) Kirchen jedoch ausschließlich im Taufritus und nicht im Gottesdienst Anwendung.

Hergang

1871/1872 lösten die protestantischen Theologen Karl Leopold Adolf Sydow und Emil Gustav Lisco den Streit um das Apostolikum aus, indem sie die darin artikulierte Jungfrauengeburt und Höllenfahrt Christi als Legenden bezeichneten. Aufgrund einer Selbstanzeige wegen Nichtgebrauchs des Apostolikums wurde Lisco aus dem Pfarrdienst entlassen.

1891 verweigerte der württembergische evangelische Pfarrer Christoph Schrempf aus Gewissensgründen die übliche Rezitation des Apostolikums während der Taufe mit dem Argument, er könne wesentliche Aussagen desselben nicht bejahen. Dies führte zu seiner sofortigen Entlassung ohne Pensionsansprüche. Berliner Theologiestudenten holten sich daraufhin bei dem dortigen Ordinarius für Systematische Theologie Adolf von Harnack Rat, ob sie eine Petition an den altpreußischen Evangelischen Oberkirchenrat (EOK) richten könnten mit der Forderung, das Apostolikum abzuschaffen. Harnack riet ihnen von einem solchen Schritt ab, vermittelte ihnen dann aber im Rahmen einer Vorlesung seine eigenen Kritikpunkte gegenüber dem Apostolikum (v. a. zur Jungfrauengeburt) und publizierte diese 1892.[1] In ihr forderte er zwar nicht die Abschaffung des altkirchlichen Symbols, regte aber die Schaffung eines gleichrangigen, unanstößigen Formulars an. Diese Veröffentlichung löste einen Proteststurm in der kirchlichen Öffentlichkeit und in der Folge eine (nicht nur literarische[2]) Auseinandersetzung aus, die die Gegensätze zwischen der theologisch liberalen Ritschl-Schule und der kirchlichen Partei der „Positiven Union“ zum Ausdruck brachten. Beispielsweise erklärte die Evangelisch-Lutherische Konferenz die Jungfrauengeburt zum Fundament des Christentums.

Der Streit führte in der Folge zum kirchlichen Erlass eines „Irrlehregesetzes“ (1910), das 1911 bei dem evangelischen Pfarrer Carl Jatho zur Anwendung kam, sowie zu staatlichen Erlassen seitens des Berliner Kultusministeriums bezüglich der professoralen Besetzung der Berliner Evangelisch-theologischen Fakultät (Einrichtung einer weiteren systematisch-theologischen Professur, die durch Adolf Schlatter besetzt wurde).

Literatur

  • Cremer, Ernst: Hermann Cremer. Ein Lebens-, und Charakterbild, Gütersloh 1912, S. 233–241
  • Heussi, Karl: Kompendium der Kirchengeschichte, 181991, S. 479, 481
  • Kaltenborn, C.-J.: Kontroverstheologie zur Weltgestaltung. Adolf von Harnacks Berliner Wirksamkeit, in: Wirth, G. (Hrsg.): Beiträge zur Berliner Kirchengeschichte, Berlin 1987, S. 200f.
  • Neuer, Werner: Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, Stuttgart 1996, S. 292–293
  • Neufeld, K. H.: Adolf Harnacks Konflikt mit der Kirche. Weg-Stationen zum ‚Wesen des Christentums‘, IThS. 4, Innsbruck-Wien-München 1979, S. 114–132
  • Ruhbach, Gerhard: Apostolikumsstreit, in: Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde 1, Wuppertal 21998, S. 104f.

Einzelnachweise

  1. Adolf v. Harnack: In Sachen des Apostolikums, in: Christliche Welt (ChW) 32, 1892, 768–770; vgl. im gleichen Jahr ausführlich: A. v. Harnack: Das apostolische Glaubensbekenntnis. Ein geschichtlicher Bericht nebst einer Einleitung und einem Nachwort, 1892, neu abgedruckt in: Adolf von Harnack, Kurt Nowak, Hanns-Christoph Picker; Kurt Nowak (Hrsg.): Adolf von Harnack als Zeitgenosse. Reden und Schriften aus den Jahren des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. de Gruyter, Berlin 1996, ISBN 3-11-013799-2, S. 500–544 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche, abgerufen am 17. November 2010).
  2. Vgl. H. Cremer: Zum Kampf um das Apostolikum. Eine Streitschrift wider D. Harnack, Berlin 1892, und Harnacks Replik: Antwort auf die Streitschrift H. Cremers: Zum Kampf um das Apostolikum, in: A. v. Harnack: Adolf von Harnack als Zeitgenosse. Reden und Schriften aus den Zeiten des Kaiserreiches und der Weimarer Republik. Hrsg. und eingeleitet von Kurt Nowak, Berlin 1996, S. 545–578

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