Medien Tenor

Medien Tenor

Media Tenor International AG ist ein Unternehmen für Medienanalysen mit offiziellem Sitz in Lugano (Schweiz). Die Firma untersucht Medien mit der Methode der computergestützten Inhaltsanalyse. Nach Eigenangaben beschäftigte sie in besten Zeiten weltweit 240 meist freiberufliche Analysten und unterhielt Büros in Bonn, Lugano, New York, Pretoria und Windhoek. Am 30. Juni 2008 wurde der Betrieb des größten Büros in Bonn (ehemals 180 Mitarbeiter) bzw. Remagen vollständig eingestellt, Eigentümer und Geschäftsführer des Unternehmens ist Roland Schatz.

Inhaltsverzeichnis

Firmengeflecht und Insolvenzen

Der Unternehmer Roland Schatz hat seit 1985 unter verschiedenen, oft ähnlich klingenden Namen in unterschiedlichen Ländern ein Geflecht von Firmen mit verwandten Tätigkeiten gegründet. Begonnen hat Schatz mit der Innovatio Verlags AG. 1993 gründete er die Medien Tenor GmbH, die im März 2005 in Insolvenz ging. Die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelt seit 2005 unter dem Aktenzeichen 400 Js 1613/05 gegen den Geschäftsführer Roland Schatz wegen Verdachts der Untreue, Insolvenzverschleppung und Vorenthalten von Arbeitnehmeranteilen.

Das Nachfolgeunternehmen Media Tenor International AG, gegründet in Bonn, ist im Oktober 2007 nach Rolandseck (Handelsregister Amtsgericht Koblenz) umgemeldet worden.[1] Kurze Zeit später wurde auf der Webseite jeder Hinweis auf ein deutsches Registergericht gelöscht. Als Sitz wurde Lugano in der italienischsprachigen Schweiz angegeben, während die Unternehmensadresse nach wie vor auf Rolandseck lautete.

Am 22. November 2007 ist beim Finanzamt Bonn die vorläufige Insolvenz der Media Tenor Deutschland GmbH beantragt worden. Am 2. Januar 2008 wurde unter dem Aktenzeichen 6 IN 125/07 das Insolvenzverfahren über die Firma eröffnet. In Bonn klagen ehemalige Mitarbeiter gegen das Unternehmen, weil ihnen nach eigenen Angaben nicht ordnungsgemäß gekündigt wurde.[2] Danach wurden alle Hinweise auf den Standort Rolandseck von der Website entfernt, die Postanschrift wird nunmehr in Zürich geführt.[3]

In der Eigendarstellung der Unternehmensgeschichte der aktuellen Media Tenor International AG werden die unterschiedlichen Unternehmen des Inhabers Roland Schatz trotz der Insolvenzen in Kontinuität gestellt. Die Gründung von Media Tenor wird mit 1993 angegeben, tatsächlich das Gründungsdatum des insolventen Vorgängerunternehmens Medien Tenor, das keine Erwähnung findet.[4]

Methodik und Beirat

Media Tenor beansprucht für sich, den Inhalt meinungsbestimmender Medien Aussage für Aussage quantitativ und qualitativ auszuwerten. Neben den einzelnen Aussagen wird auch erfasst, ob sie mit negativen oder positiven Wertungen daher kommen oder neutral bleiben. Welche Aussagen wie erfasst werden, schreibt ein „Codebuch“ vor, welches nach eigenen Angaben inzwischen 115.000 Kennzahlen umfasst. Jeder Kodierer durchläuft eine Schulung, bevor seine Auswertungen verwendet werden. Zudem finden stichprobenartig Reliabiltätstests statt, wodurch eine Genauigkeitsrate von mindestens 87 Prozent gewährleistet werden soll.[5]

Ein ehemaliger Medienanalyst des Unternehmens berichtet, dass die „Codebücher“ während laufender Untersuchungen geändert worden seien. So habe man auf Anweisung der Unternehmensleitung nachträglich die Kriterien verändert, wenn „in der Research-Abteilung, der Abteilung, in der die Auswertung gemacht wird, festgestellt wurde, dass die Auswertung gar nicht mit dem übereinstimmt, was man sich gedacht hatte“.[6]

Media Tenor unterhält einen Beirat, dem derzeit nach Eigenangabe 21 Wissenschaftler, Journalisten und Manager aus 9 Ländern angehören. Über die konkrete Arbeitsweise und etwaige Zusammenkünfte der Beiratsmitglieder macht das Unternehmen keine Angaben. Prominente Mitglieder sind Donald Shaw (University of North Carolina at Chapel Hill) und Maxwell McCombs (University of Texas, Austin), die zu den Mitbegründern der Agenda Setting-Forschung gehören. 2008 trat der Kriminologe und frühere Justizminister von Niedersachsen Christian Pfeiffer aus dem Beirat aus. Grund waren die juristischen Probleme, über die er nach eigenen Angaben von Schatz nicht informiert worden ist.[7] Auch Mathias Döpfner, als Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG langjährig das einflussreichste Mitglied, hat den Beirat verlassen.[8]

Kritik

Der Vorläuferfirma Medien Tenor wird von Kritikern vorgeworfen, Zahlen ohne wissenschaftliche Grundlagen zu veröffentlichen und die Ergebnisse für Kampagnen vor allem gegen öffentlich-rechtliche Anbieter zu nutzen. So habe Medien Tenor behauptet, ein Quotenanstieg der Tagesschau im ersten Halbjahr 2004 habe vorwiegend an den hohen Zuschauerzahlen während der Halbzeitpausen von übertragenen EM-Spielen gelegen. Tatsächlich aber wurde die Tagesschau in keiner einzigen EM-Halbzeitpause gesendet. Auch wurde behauptet, die Sendezeit der Tagesschau werde von den Zuschauern vorwiegend zum Toillettengang genutzt und die tatsächliche Zuschauerzahl sei damit deutlich geringer. Statistiken von Wasserwerken über den Verbrauch würden dies belegen. Medien Tenor konnte nach der Veröffentlichung dieser Aussagen laut NDR keine entsprechende Statistik vorlegen, bleibt aber bei seiner Darstellung.[9] Das ZDF sieht die Methoden von Medien Tenor deswegen als unseriös an und kommentiert Untersuchungen der Firma Media Tenor nach eigenen Angaben daher grundsätzlich nicht mehr[10].

Auch die von Medien Tenor veröffentlichte Rangliste „Mediendax 30“ stieß in Fachkreisen auf heftige Kritik.[11] Medien Tenor verklagte einen der Kritiker, Klaus Merten von der Universität Münster. Vor dem Landgericht Berlin schlossen beide Parteien einen Vergleich, nach dem Merten die Kritik als Wissenschaftler unverändert äußern darf.[12]

Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erlangte eine von der zum Springer-Verlag gehörenden Bild am Sonntag in Auftrag gegebene und im August 2006 veröffentlichte Untersuchung von Media Tenor über die TV-Berichterstattung im Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah. Media-Tenor-Geschäftsführer Roland Schatz behauptete, die Berichterstattung der Nachrichtensendungen von ARD und ZDF sei einseitig und ziele darauf ab, Israel nur als Täter darzustellen.[13] Weitergehend sprach er von einer „jahrelangen negativen Darstellung Israels“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Die Fernsehsender wiesen Schatz' Behauptungen zurück und forderten ihn auf, die Methodik und die Basisdaten seiner Untersuchung öffentlich zu machen. Schatz weigerte sich jedoch, die Daten herauszugeben.[14] Die ARD verwies darauf, dass das Hans-Bredow-Institut nach Prüfung des im Internets verfügbaren Untersuchungsberichts zu dem Ergebnis kam, er sei „nicht ergebnisoffen“ und „nicht wissenschaftlich“. Außerdem dürfe die Vorgängerfirma Medien Tenor nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln der „Datenmanipulation“ bezichtigt werden. Nach einem von der ARD angestrengten Verfahren sei Geschäftsführer Schatz aufgrund zahlreicher falscher Aussagen zu einer umfangreichen Gegendarstellung und zu Unterlassung verurteilt worden.[15]

Einzelnachweise

  1. Mitarbeiter von Media Tenor ohne Lohn und Büro, Bonner General-Anzeiger, 16. November 2007, Zugriff am 28. März 2009
  2. Remagener Medienanalysefirma Media Tenor ist zahlungsunfähig, Bonner General-Anzeiger, 26. Februar 2008, Zugriff am 28. März 2009
  3. Impressum, Website der „Media Tenor International AG“
  4. Eigendarstellung „Geschichte“, Website der Media Tenor International AG, Zugriff am 7. September 2008
  5. Eigendarstellung „Arbeitsstandards“, Website der Media Tenor International AG
  6. „Tendenziöse Auswertung“, Die Tageszeitung, 16. April 2008
  7. Dubiose Daten - Die Stimmungsmache von „Media Tenor“, Zapp im NDR-Fernsehen, 16. April 2008
  8. Ex-Mitarbeiter verklagen Analysefirma: Media Tenor in Insolvenz, Die Tageszeitung, 16. Januar 2008
  9. Datenmanipulation - Die Kampagnen des Medien Tenor, Zapp im NDR-Fernsehen, 26. September 2004
  10. „Zu Untersuchungen von Media Tenor nimmt das ZDF grundsätzlich keine Stellung, weil deren Ergebnisse in der Vergangenheit einer Überprüfung nicht standgehalten haben. Deren Methoden sind unseriös.“ Zitat von Klaus-Peter Siegloch, stellvertretender ZDF-Chefredakteur
  11. Medien Tenor - nichts als Schaumschlägerei?, Der Spindoktor, 7. Oktober 2004
  12. Merten und Medientenor vergleichen sich, Der Spindoktor, 18. November 2004
  13. Emotion und Interesse, www.heise.de, 16. August 2006
  14. Media Tenor schickt dem NDR keine Untersuchungsdaten, NDR-Pressemitteilung, 18. August 2006
  15. Nahost-Berichterstattung einseitig? ARD wehrt sich, www.quotenmeter.de, 8. August 2006

Weblinks


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