Media Tenor

Media Tenor

Media Tenor International AG ist ein Unternehmen für Medienanalysen. Das in Rapperswil-Jona (zuvor Zürich und Lugano) eingetragene Unternehmen[1][2] untersucht Medien mit der Methode der computergestützten Inhaltsanalyse. Früher beschäftigte es weltweit 240 meist freiberufliche Analysten und unterhielt Büros in Bonn, Lugano, New York, Pretoria und Windhoek. Am 30. Juni 2008 wurde der Betrieb des größten Büros in Bonn (ehemals 180 Mitarbeiter) bzw. Remagen nach einer zweiten Insolvenz vollständig eingestellt. Eigentümer und Geschäftsführer des Unternehmens ist Roland Schatz.

Inhaltsverzeichnis

Firmenstruktur und Insolvenzen

Der Unternehmer Roland Schatz hat seit 1985 unter verschiedenen, oft ähnlichen Namen in unterschiedlichen Ländern mehrere Firmen mit verwandten Tätigkeiten gegründet. Begonnen hat Schatz mit der Innovatio Verlags AG, deren gleichnamiges Periodikum Innovatio 1992 eingestellt wurde. 1993 gründete er den Verein für Medieninhaltsanalyse e. V. Dieser fungierte als Herausgeber der ab 1994 zunächst 14-täglich erscheinenden Publikation Medien Monitor. Aufgrund einer Intervention des WDR wegen Verwechslungsgefahr mit seinem TV-Magazin Monitor wurde der Medien Monitor nach einigen Wochen in Medien Tenor umbenannt.[3] Späterer Herausgeber der Zeitschrift war bis März 2005 die Medien Tenor Institut für Medienanalysen GmbH, die 2005 in die Insolvenz geriet. Schatz machte für die Insolvenz eine schlechte Zahlungsmoral seiner Kunden wie Fiat und VW verantwortlich[4], umstritten war die Forderung aus einem Auftrag der Deutschen Bank.[5] Insolvenzverwalter Dirk Obermüller hingegen sah einen strategisch ungünstigen Immobilienkauf als einen der Hauptgründe der Zahlungsunfähigkeit[6].

Das Nachfolgeunternehmen Media Tenor Deutschland GmbH, gegründet in Bonn, ist im Oktober 2007 nach Rolandseck (Handelsregister Amtsgericht Koblenz) umgemeldet worden. Als Sitz wurde Lugano in der italienischsprachigen Schweiz angegeben, während die Unternehmensadresse nach wie vor auf Rolandseck lautete.

Am 22. November 2007 ist beim Finanzamt Bonn die vorläufige Insolvenz der Media Tenor Deutschland GmbH beantragt worden. Am 2. Januar 2008 wurde das Insolvenzverfahren über die Firma eröffnet. In Bonn klagten ehemalige Mitarbeiter gegen das Unternehmen, weil ihnen nach eigenen Angaben nicht ordnungsgemäß gekündigt wurde.[7] Mittlerweile lautet die Firmierung des Unternehmens Media Tenor International AG, die Postanschrift wird nach mehreren Adresswechseln heute in Rapperswil-Jona geführt.[1]

Eine parallel im britischen Dover betriebene Media Tenor Limited wurde zum Januar 2005 zwangsweise aus den Registern gelöscht. Nach einem Auszug der Agentur Companies House, die dem britischen Handels- und Wirtschaftsministerium unterstellt ist, kam die Gesellschaft ihren Berichtspflichten letztmalig im Frühjahr 2002 nach.[8]

Staatsanwaltliche Ermittlungen führten 2010 zur Anklage gegen Schatz. Vom 23. Februar bis 1. Juli 2010 wurde vor dem Landgericht Bonn das Verfahren wegen Untreue in 150 Fällen, betrügerischen Bankrotts, Insolvenzverschleppung und Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen für die Sozialversicherung und die Pensionskasse verhandelt.[9] Schatz war am Ende geständig und wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt mit der Auflage, dass er für alle Beschäftigten die ausstehenden Sozialbeiträge nachzahlt.[10][11]

Methodik und Beirat

Media Tenor beansprucht für sich, den Inhalt meinungsbestimmender Medien Aussage für Aussage quantitativ und qualitativ auszuwerten. Neben den einzelnen Aussagen wird auch erfasst, ob sie mit negativen oder positiven Wertungen daher kommen oder neutral bleiben. Welche Aussagen wie erfasst werden, schreibt ein „Codebuch“ vor, welches nach eigenen Angaben inzwischen 115.000 Kennzahlen umfasst. Jeder Kodierer durchläuft eine Schulung, bevor seine Auswertungen verwendet werden. Zudem finden stichprobenartig Reliabilitätstests statt, wodurch eine Genauigkeitsrate von mindestens 87 Prozent gewährleistet werden soll.[12] Forschungsergebnisse von Media Tenor spielten beispielsweise des Öfteren eine kontroverse Rolle in Diskussionen über die Qualität der öffentlich-rechtlichen Medien sowie über Rundfunkgebühren.[13]

Ein ehemaliger Medienanalyst des Unternehmens berichtet, dass die „Codebücher“ während laufender Untersuchungen geändert worden seien. So habe man auf Anweisung der Unternehmensleitung nachträglich die Kriterien verändert, wenn „in der Research-Abteilung, der Abteilung, in der die Auswertung gemacht wird, festgestellt wurde, dass die Auswertung gar nicht mit dem übereinstimmt, was man sich gedacht hatte“.[14]

Media Tenor unterhält einen Beirat, dem derzeit nach Eigenangabe 21 Wissenschaftler, Journalisten und Manager aus 9 Ländern angehören. Über die konkrete Arbeitsweise und etwaige Zusammenkünfte der Beiratsmitglieder macht das Unternehmen keine Angaben. Prominente Mitglieder sind Donald Shaw (University of North Carolina at Chapel Hill) und Maxwell McCombs (University of Texas, Austin), die zu den Mitbegründern der Agenda Setting-Forschung gehören. 2008 trat der Kriminologe und frühere Justizminister von Niedersachsen, Christian Pfeiffer, aus dem Beirat aus. Auch Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, hat den Beirat verlassen.[15]

Kritik

Der Vorläuferfirma Medien Tenor wird von Kritikern vorgeworfen, Zahlen ohne wissenschaftliche Grundlagen zu veröffentlichen und die Ergebnisse für Kampagnen vor allem gegen öffentlich-rechtliche Anbieter zu nutzen. So habe Medien Tenor behauptet, ein Quotenanstieg der Tagesschau im ersten Halbjahr 2004 habe vorwiegend an den hohen Zuschauerzahlen während der Halbzeitpausen von übertragenen EM-Spielen gelegen. Tatsächlich aber wurde die Tagesschau in keiner einzigen EM-Halbzeitpause gesendet.[16] Auch wurde behauptet, die Sendezeit der Tagesschau werde von den Zuschauern vorwiegend zum Toilettengang genutzt und die tatsächliche Zuschauerzahl sei damit deutlich geringer. Statistiken von Wasserwerken über den Verbrauch würden dies belegen. Medien Tenor konnte nach der Veröffentlichung dieser Aussagen laut NDR keine entsprechende Statistik vorlegen, bleibt aber bei seiner Darstellung.[17]

Auch die von Medien Tenor veröffentlichte Rangliste „Mediendax 30“ stieß auf Kritik.[18] Medien Tenor erwirkte einstweilige Verfügungen gegen einen der Kritiker, Klaus Merten von der Universität Münster.[19]

Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erlangte eine von der zum Springer-Verlag gehörenden Bild am Sonntag in Auftrag gegebene und im August 2006 veröffentlichte Untersuchung von Media Tenor über die TV-Berichterstattung im Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah. Media-Tenor-Geschäftsführer Roland Schatz behauptete, die Berichterstattung der Nachrichtensendungen von ARD und ZDF sei einseitig und ziele darauf ab, Israel nur als Täter darzustellen.[20] Weitergehend sprach er von einer „jahrelangen negativen Darstellung Israels“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Die Fernsehsender wiesen Schatz' Behauptungen zurück und forderten ihn auf, die Methodik und die Basisdaten seiner Untersuchung öffentlich zu machen. Schatz weigerte sich jedoch, die Daten herauszugeben.[21] Die ARD verwies darauf, dass das Hans-Bredow-Institut nach Prüfung des im Internets verfügbaren Untersuchungsberichts zu dem Ergebnis kam, er sei „nicht ergebnisoffen“ und „nicht wissenschaftlich“. Außerdem dürfe die Vorgängerfirma Medien Tenor nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln der „Datenmanipulation“ bezichtigt werden. Nach einem von der ARD angestrengten Verfahren sei Geschäftsführer Schatz aufgrund zahlreicher falscher Aussagen zu einer umfangreichen Gegendarstellung und zu Unterlassung verurteilt worden.[22]

In die Kritik geriet Media Tenor wiederholt auch wegen seines Verhaltens gegenüber seinen Beschäftigten. So wurde sowohl in Deutschland[23] als auch in der Schweiz[24] der Vorwurf verspäteter Gehaltsauszahlungen laut.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Eintrag der «Media Tenor International AG» im Handelsregister des Kantons St. Gallen
  2. Eintrag der «Media Tenor International AG» im Handelsregister des Kantons Zürich
  3. WDR: Zoff um Zahl und Wort, Focus 52/1994, Zugriff am 26. Januar 2011
  4. Forschungsunternehmen Medien-Tenor ist insolvent, wiwo.de, 9. März 2005, Zugriff am 9. Januar 2011
  5. Fragwürdige Peanuts, Der Spiegel 29/2005, Zugriff am 9. Januar 2011
  6. Dienstleister Medien Tenor droht das Aus, Bonner General-Anzeiger, 10. März 2005, Zugriff am 9. Januar 2011
  7. Remagener Medienanalysefirma Media Tenor ist zahlungsunfähig, Bonner General-Anzeiger, 26. Februar 2008, Zugriff am 28. März 2009
  8. Verdacht auf Steuervergehen und Untreue bei Media Tenor, Pressemitteilung des „pr magazin“, Zugriff am 4. März 2011
  9. Chef von Medien Tenor auf der Anklagebank General-Anzeiger Bonn vom 24. Februar 2010
  10. Bewährungsstrafe für Medien-Tenor-Chef General-Anzeiger Bonn vom 2. Juli 2010
  11. Rufruinierter Erbsenzähler taz vom 9. Juli 2010
  12. Eigendarstellung „Arbeitsstandards“, Website der Media Tenor International AG
  13. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk zwischen Wettbewerb und Kultur, Gutachten der Bundestagsfraktion der Linkspartei vom 2007, letzter Zugriff 10. Dezember 2010
  14. „Tendenziöse Auswertung“, Die Tageszeitung, 16. April 2008
  15. Ex-Mitarbeiter verklagen Analysefirma: Media Tenor in Insolvenz, Die Tageszeitung, 16. Januar 2008
  16. Das NDR-Magazin «Zapp» wirft Medien Tenor Manipulation vor, Meldung vom 26. September im Klein-Report; abgerufen am 9. Januar 2011
  17. „Zapp“: Institut Medien Tenor betreibt Kampagne - Experten sprechen von „Manipulation“, presseportal.de, 24. September 2004, Zugriff am 9. Januar 2011
  18. Inhaltszusammenfassung von Klaus Merten und Christina Dahm, Tanja Spriestersbach, Jasmin Top und Philipp Winterberg: Medien, Dachse & Tenöre. Lit Verlag 2005 ISBN 3-8258-8478-3
  19. Medien Tenor erwirkt dritte Einstweilige Verfügung gegen Klaus Merten, Meldung vom 20. Oktober 2004 auf mediatenor.de; abgerufen am 7. Januar 2011
  20. Emotion und Interesse, www.heise.de, 16. August 2006
  21. Media Tenor schickt dem NDR keine Untersuchungsdaten, NDR-Pressemitteilung, 18. August 2006
  22. Nahost-Berichterstattung einseitig? ARD wehrt sich, www.quotenmeter.de, 8. August 2006
  23. Bei Nacht und Nebel - Bilanzfälschung, Untreue, Betrug – die Firma Media Tenor steht in der Rangliste der eigenen Beschäftigten ganz unten ver.di Publik, Ausgabe 10/2008
  24. Media Tenor: Chaos und falsche Versprechen Magazin «m» 04/2008, Zugriff am 17. Januar 2011

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