Missing Link

Missing Link

Als Missing Link („fehlendes Bindeglied“) wird in der Evolutionsbiologie eine bis zum Zeitpunkt der Entdeckung fehlende Mosaikform bezeichnet, die Merkmale zweier Taxa (also zweier systematisch unterschiedlicher Organismengruppen) aufweist. Sie wird im Rahmen der Evolutionsbiologie als „Übergangsform“ vorhergesagt. Ist eine derartige Mosaikform, die als Missing Link vorhergesagt wurde, schließlich fossil nachgewiesen, wird sie auch als „Zwischenform“ bezeichnet (transitionales Fossil). Im Englischen wird der Begriff „missing link“ oft umgangssprachlich beibehalten.

Inhaltsverzeichnis

Historisches

Der englische Geologe Charles Lyell verwendete den Begriff Missing Link erstmals im Jahre 1837[1], um fehlende Schichtglieder der historischen Geologie zu diskutieren. Im heutigen Verständnis – für Übergangsarten zwischen chronologisch trennbaren Taxa – tritt der Begriff erstmals in seinem Werk Geological Evidences of the Antiquity of Man aus dem Jahre 1863 auf.[2] Zuvor hatte bereits 1860 William Hopkins den Begriff auch auf fossile Lebewesen angewandt[3], während Charles Darwin in seinem bahnbrechenden Werk On the Origin of Species (1859) noch von „Transitional Fossil“ sprach. In den Folgejahren übernahmen Darwin, Thomas Henry Huxley und der deutsche Ernst Haeckel den Begriff Missing Link für das vermutete fehlende Bindeglied zwischen Affen und Menschen. Von der Evolutionstheorie vorhergesagte Entdeckungen von Missing Links waren und sind in der Praxis selten zu finden. Dies resultiert aus verschiedenen Umständen:

  • Die Fossilisation läuft über die geologischen Zeiträume kumulativ ab und lagert Organismen nach zahlreichen spezifischen Bedingungen ein, die sich aus geologischen, biologischen und zufallsbedingten Gegebenheiten ableiten. (siehe nächster Abschnitt)
  • Die Mosaikformen zwischen Taxa existieren meist nur eine sehr kurze Zeit, da sich die abgespaltenen Linien physiologisch rasch verändern. Dies ist insbesondere dann so, wenn ein wichtiges Merkmal der neuen Abstammungslinie weitgreifende Veränderungen in der Lebensweise ermöglicht, da dann sehr rasch andere Merkmale nachziehen und den Bauplan in die später bekannte Form überführen. Deshalb stehen gerade in der Abspaltung neuer Abstammungslinien und modernerer Baupläne nur kurze Zeitspannen zur Fossilisation von Individuen zu Verfügung.

Anfänglich wurden Missing Links oft als Gegenargument zu Darwins Theorie verstanden. Selbst heute noch werden sie manchmal fälschlicherweise so dargestellt. Wissenschaftlich gesehen haben sie sich jedoch zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. Durch weit über 1000 ehemalige „Missing Links“, die bis heute gefunden wurden, hat sich die Evolutionstheorie auf überzeugende Weise bewährt.

Einer der spektakulärsten Funde war die Entdeckung des Urvogels Archaeopteryx im 19. Jahrhundert, der Dinosaurier- und Vogel-Merkmale in sich vereint. Eine Bauplanmodifikation ermöglichte eine so große Umstellung in der Lebensweise, dass sich die Abstammungslinie der entstehenden Vögel explosionsartig entwickelte. Nachträglich betrachtet sind aus dieser kurzen Zeit wenige Fossilien erhalten, so dass es zunächst den Anschein machte, der Urvogel sei spontan mit vielen Veränderungen gleichzeitig aufgetreten. Inzwischen ist es trotzdem möglich, die Entwicklung von Federn anhand von Fossilien bis zu bodenbewohnenden Sauriern zurückzuverfolgen.

Auch Fische wie Acanthostega (ein Vorläufer der Amphibien) oder die Schnecke Neopilina galatea (ein Bindeglied zwischen Weichtieren und Ringelwürmern) zählen zu den gefundenen „Missing Links“ und belegen, dass es im Rahmen der Makroevolution zahlreiche fließende Übergänge zwischen den verschiedenen Organismengruppen gibt.

Bedingungen, die die Fossilisation beeinflussen

  • Geologisch müssen Sedimente vorhanden sein, die die Einbettung von Fossilien ermöglichen. Dies ist beispielsweise in Schwemmland gegeben. Nicht aber in Gebirgsregionen, da dort das geologische Substrat vornehmlich abgetragen wird.
  • Ebenfalls geologisch bedingt ist das Schicksal der entstehenden Sedimente. Gelangen sie im Laufe der Zeit in zu große Tiefe, werden die Gesteine umgebildet (Metamorphgesteine) und verlieren alle Fossilien. Auch Magmatite wie Granit, Basalt können keine Fossilien enthalten.
  • Biologische Bedingungen bestehen darin, dass die Individuen nach ihrem Absterben nicht von anderen Zeitgenossen entdeckt, gefressen und zerstreut werden. Dies ist pro Tierart und Lebewelt stark unterschiedlich.

Derzeitiger Stand

Es gibt immer noch zahlreiche Entwicklungsformen, von denen noch kein Fossil entdeckt wurde. Aufgrund der Weiterentwicklung der Evolutionstheorie gegenüber dem 19. Jahrhundert hat der Begriff Missing Link aber innerhalb der Evolutionsbiologie jegliche Brisanz verloren. Stand mit ihrer Entdeckung damals noch die Stichhaltigkeit der gemeinsamen Abstammung der Arten auf der Kippe, sehen Biologen heute fehlende Bindeglieder als gewöhnliche Fragestellung an und vertrauen darauf, dass sich mit der Zeit und dem ständig steigenden Fossilienaufkommen die gesuchten Beweise einstellen. Insbesondere die Erkenntnis, dass die Evolution nicht notwendigerweise immer allmählich und mit gleichmäßiger Geschwindigkeit abläuft, sondern mitunter auch sehr schnell vonstatten gehen kann, hat die Bedeutung der „Missing Links“ reduziert. Hinzu kommen genetische Methoden der Verwandtschaftsbestimmung, die zunehmend in den Vordergrund treten.

Genetik und Missing Links

Die fossilen Missing Links stellen heute nur eine Fragestellung der Paläontologie dar. Daneben treten die Erkenntnisse der Genetik in den Vordergrund. Auch hier wird beständig nach Übergangsreihen von Mutationen gesucht. Man kann mit ihnen die Verwandtschaft zweier beliebiger rezenter Lebewesen bestimmen. Die fossilen Lebewesen lassen sich damit allerdings nur indirekt einordnen.


In Anlehnung an Huxleys Begriff wird der Terminus „Missing Link“ auch in der Sprachforschung verwendet.

Einzelnachweise

  1. Charles Lyell: A Manual of Elementary Geology or, The Ancient Changes of the Earth and its Inhabitants as Illustrated by Geological Monuments. 1837
  2. Charles Lyell: Geological Evidences of the Antiquity of Man. London, Dent & Sons, 1863 (speziell Kapitel 22)
  3. William Hopkins: Physical Theories of the Phenomena of Life, in Fraser's Magasines, July 1860, p 88

Siehe auch


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