Monty Cantsin

Monty Cantsin

Monty Cantsin ist eine multiple Identität, die jedem offensteht. Entwickelt als „offener Popstar“ aus der Mail Art ging sie später eine enge Verbindung mit dem Neoismus ein, und wurde dort vor allem in der Performancekunst benutzt. Cantsin war Vorläufer weiterer multipler Identitäten wie Karen Eliot und Luther Blissett.

Geschichte

Der Name Monty Cantsin wurde 1978 vom Kritiker, Aktionisten und Mail-Art-Künstler David Zack erfunden.[1] Dieser griff die Idee des Multiples auf, und wandte sie auf den Künstler selbst an. Nicht mehr nur das Kunstwerk sollte vervielfältigt werden können, sondern gleich der Künstler.[2]

Cantsin diente als Bühnenpseudonym für den lettisch-stämmigen Dichter und Sänger Maris Kundzins.[3] Monty Cantsin spielt zudem auf Martial Canterel, den Romanhelden von Raymond Roussels „Locus Solus“ an, sowie auf den kalifornischen Performancekünstler Monte Cazazza. Darüber hinaus ist der Name als Wortspiel auf „Monty can’t sing“ („Monty kann nicht singen“) lesbar und, in Anspielung auf religiöse Freidenker-Gruppen, die kollektiv unter dem Namen von Jesus Christus oder von Heiligen firmierten, als „Monty can’t sin“ („Monty kann nicht sündigen“).

Nach Zack sollte Monty Cantsin ein „offener Popstar“ sein. In einer Philosophie, die Freie Software und Open Source teilweise vorwegnahm, sollte es jedermann möglich sein, in Monty Cantsins Namen aufzutreten, dessen Ruhm so zu mehren und kollektiv zu teilen. Cantsin sollte die Konzepte von Autorschaft und Identität in Frage stellen.[4]

Zacks Aufruf, sich Monty Cantsin zu nennen, folgten in den 1980ern verschiedene europäische und nordamerikanische Performancekünstler.[4] Darunter besonders einflussreich 1979 der ungarisch-kanadische Performancekünstler Istvan Kantor, der den Namen mit seiner Person und dem Neoismus verschmolz.[1] Kantor stattete Cantsin mit einer charakteristischen Fantasieuniform für Bühnenauftritte aus: Breeches, schmaler Krawatte, Lederjacke, rote Soldatenmütze ein Anstecker mit einem zweispitzigen Pfeil.[1]

Als Identität, die von allen Neoisten geteilt wurde, wandelte sich Monty Cantsin von einem „Popstar“ zu einem radikalen Identitäts-Experiment im Alltagsleben. Auf den neoistischen Apartment Festivals (APTs) erfuhr dieses Experiment seine oft extremistische Steigerung. Zugleich lebte das ursprüngliche Popstar-Konzept in einer Reihe von Elektropop- und Industrial-Alben sowie Performances weiter, hinter denen hauptsächlich Istvan Kantor stand.

Spätere multiple Namen wie Karen Eliot, Luther Blissett und Michael K waren von Monty Cantsin zwar inspiriert, vermieden jedoch bewusst dessen Identifikation mit realen Personen. Karen Eliot wurde als bloße Signatur, Blissett und K. als Medienphantome konzipiert.

Eine ausführliche Bibliographie zu Cantsin findet sich in Simon Fords Ausstellungskatalog Smile classified, der 1992 eine Ausstellung über das Magazin SMILE der National Art Library im Victoria and Albert Museum begleitete.[5]

Anmerkungen

  1. a b c Cynthia Carr: On edge: performance at the end of the twentieth century Wesleyan University Press, 2008 ISBN 0819568880 S. 106
  2. Oliver Marchart: "Neo-dadaistischer Retro-Futurismus"
  3. Tina Klopp: Die Künstler-Phänomene der Neoisten, BR-Online 6. Juni 2011
  4. a b Marco Deseriis: Lots of Money because I am many: The Luther Blissett Project and the Multiple-Use Name Strategy in: Begüm Özden Firat, Aylin Kuryel: Cultural Activism: Practices, Dilemmas, and Possibilities Rodopi, 2011 ISBN 9042029811 S. 71
  5. Simon Ford: The realization and suppression of the situationist international: an annotated bibliography AK Press, 1995 ISBN 1873176821 S. 95

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Monty Cantsin — is a multiple use name that anyone can adopt, but has close ties to Neoism. Monty Cantsin was originally conceived as an open pop star. In a philosophy anticipating that of free software and open source, anyone should perform in his name and thus …   Wikipedia

  • Neoismus — ist ein parodistischer ismus. Er ist der Name eines subkulturellen Netzwerks künstlerischer Aktionisten und Medienexperimentatoren und steht, in allgemeinerem Sinne, auch für eine praktische Underground Philosophie. Neoismus arbeitet mit… …   Deutsch Wikipedia

  • Neoism — is a parodistic ism. It refers both to a specific subcultural network of artistic performance and media experimentalists, and more generally to a practical underground philosophy. It operates with collectively shared pseudonyms and identities,… …   Wikipedia

  • Istvan Kantor — (aka Monty Cantsin , and Amen! ) (Hungarian: Kántor István; born August 27, 1949, in Budapest) is a Hungarian born Canadian performance and video artist, industrial music and electropop singer, and founder of Neoism. In the 1970s, he studied… …   Wikipedia

  • Karen Eliot — Karen Eliot, auch Karen Elliot ist ein von verschiedenen Künstlern genutztes, kollektives Pseudonym. Der Autor Stewart Home schlug den Namen 1985 vor.[1] Er sollte von verschiedenen „Kulturarbeitern“ aufgegriffen werden, um einen Werkkorpus Karen …   Deutsch Wikipedia

  • Stewart Home — (born 1962) is an English artist, filmmaker, writer, pamphleteer, art historian, and activist. He is best known for his novels such as the non narrative 69 Things To Do With A Dead Princess (2002), his re imagining of the 1960s in Tainted Love… …   Wikipedia

  • SMILE (magazine) — SMILE is an international magazine of multiple origins. Since 1984, an estimated 100 different issues of SMILE have been published by different people in different countries of the world.HistorySMILE was launched in February 1984 in London by… …   Wikipedia

  • Multiple-use name — A multiple use name is a name used by many different people to protect anonymity.[1] It is a strategy that has been adopted by many unconnected radical and cultural groups, where the construct of personal identity has been criticised.[citation… …   Wikipedia

  • Computerkunst — Digitale Kunst oder Digitalkunst, oft gleichbedeutend mit Computerkunst gebraucht, sind im allgemeinen Sprachgebrauch Sammelbegriffe für Kunst, die digital mit dem Computer erzeugt wird. Im engeren Sinn ist es Kunst, die nur durch die… …   Deutsch Wikipedia

  • Correspondence Art — Mail Art [mɛɪl aː(ɹ)t] (engl. „Postkunst“), von ihrem Mitbegründer Ray Johnson auch Correspondence Art [kɔɹɛs pɔndns] (engl. „Korrespondenzkunst“) genannt, ist Kunst per Post und somit die sublimste Form der Korrespondenz. Inhaltsverzeichnis 1… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”