Nacktschnecke

Nacktschnecke
Tigerschnegel (Limax maximus)

Als Nacktschnecken werden Schnecken bezeichnet, die ihr ursprüngliches Gehäuse weitgehend reduziert haben. Sie können sich zumindest im Adultstadium nicht mehr zum Schutz in ihr Gehäuse zurückziehen oder haben es in den Weichkörper hinein verlegt. Es handelt sich um keine einheitliche systematische Gruppe, sondern der Prozess der Gehäusereduktion hat konvergent in verschiedenen Schneckengruppen stattgefunden. Zu einigen Familien gehören sogar Gehäuseschnecken und Nacktschnecken oder "Halbnacktschnecken". Im Allgemeinen ist der Begriff Nacktschnecke auf Vertreter der Landlungenschnecken beschränkt, obwohl der Prozess der Gehäusereduktion ebenfalls konvergent bei einigen Gruppen von Meeresschnecken stattgefunden hat. Diese werden dann zur Unterscheidung meist Meeresnacktschnecken genannt. In erster Linie versteht man unter dieser Bezeichnung die größte und bekannteste Gruppe von im Meer lebenden Nacktschnecken, die Nacktkiemer (Nudibranchia).

Inhaltsverzeichnis

Das Gehäuse der Schnecken – Vorteile und Nachteile

Das Gehäuse der Schnecken ist ein ursprüngliches Merkmal der Schnecken, das bereits für die letzte gemeinsame Stammart aller Schnecken angenommen werden kann. Die Stammart lebte zu Beginn des Kambriums im Meer und vererbte dieses Merkmal an alle daraus entstandenen Gruppen. Es diente der Stammart als Schutzgehäuse, in das sich das Tier bei Bedrohung zurückziehen konnte. Wahrscheinlich konnte die Mündung des Gehäuses schon damals zusätzlich durch ein Operkulum verschlossen werden. Allerdings bietet selbst dieses Gehäuse nur bedingten Schutz gegen Räuber, wie die zahlreichen Beispiele von spezialisierten Schneckenräubern zeigen. Im Laufe der Evolution erfuhr dieses (Schutz-)Gehäuse äußerst vielfältige Abwandlungen, wie die große Formenvielfalt der fossilen und rezenten Schnecken zeigt. Unter den Schnecken gibt es einige Gruppen, die das Gehäuse teilweise, weitgehend oder völlig reduziert haben. Diese Gruppen haben andere Schutzmechanismen entwickelt oder benötigen den Schutz durch das Gehäuse aufgrund ihrer Lebensweise nicht (mehr). Beispielsweise sind die im Meer lebenden Nacktkiemer (Nudibrancha) extrem giftig und warnen potenzielle Räuber durch auffällige Warnfarben. Viele auf dem Land lebende Nacktschnecken verbringen einen Großteil ihres Lebens in der Erde. Andere Gruppen schützen sich durch reichliche Absonderung von Schleim, der zudem für einige potentielle Räuber widerlich schmeckt oder auch giftig sein kann. Andere Nacktschnecken haben eine relativ versteckte Lebensweise und/oder gleichen die eventuellen hohen Individuenverluste, die sie wegen ihrer Fressfeinde erleiden, durch entsprechend viele Nachkommen wieder aus.

Chromodoris magnifica, Nudibranchia

Bei den Landschnecken hat das Gehäuse noch eine wesentliche zweite Funktion übernommen, den Schutz vor Austrocknung. Die Reduktion des Gehäuses bei diesen Gruppen setzt daher auch die Entwicklung von anderen, effektiven Schutzmechanismen gegen Austrocknung voraus oder die Erschließung von entsprechend feuchten Lebensräumen, wo der Schutzmechanismus des Gehäuses gegen Austrocknung keine allzu große Rolle spielt. Nur extrem trockenwarme Biotope, die noch von einigen Gehäuseschnecken bewohnt werden können, bleiben den Nacktschnecken verschlossen.

Die Reduktion des Gehäuses bietet den Nacktschnecken auch einige Vorteile: Der wichtigste Vorteil ist die Einsparung von Energie, die die Gehäuseschnecken zum Aufbau ihrer Gehäuse aufwenden müssen bzw. zum Tragen der Gehäuse benötigen. Durch die Reduktion des Gehäuses gewinnen die Nacktschnecken deutlich an Beweglichkeit. Sie können über verhältnismäßig lange Strecken wandern und sich relativ rasch neue Biotope erschließen. Sie können unter Umständen Nahrungsquellen erschließen, die „normale“ Gehäuseschnecken nicht erreichen können.

Andere Gruppen leben vor allem unter und in der Erde. Sie jagen in ihren Gängen nach Regenwürmern. Hier wäre ein Gehäuse nur hinderlich. Auch zum Schutz können sich Nacktschnecken in engste Ritzen und Spalten zurückziehen, die ansonsten für Gehäuseschnecken unzugänglich bleiben.

Prozess der Gehäusereduktion

Der Prozess der Gehäusereduktion kann z.B. in der Familie der Glasschnecken (Vitrinidae) exemplarisch beobachtet werden. Zu der Familie gehören sowohl Gehäuseschnecken, d. h. Arten, die sich noch völlig in ihr Gehäuse zurückziehen können, als auch Arten, bei denen sich nur noch die Jugendstadien in das Gehäuse zurückziehen können sowie Arten, bei denen das rudimentäre Gehäuse bereits vom Mantel umwachsen wird. Der Prozess der unterschiedlich stark ausgebildeten Reduktion des Gehäuses bzw. der Verlust der Funktion sich in das Gehäuse zurückziehen zu können, bezeichnet man in dieser Familie auch als "Vitrinisierung".

Der Prozess der Rückbildung der Gehäuse verlief in den einzelnen Gruppen unterschiedlich. Diese ist neben den morphologischen Unterschieden ein wichtiger Hinweis, dass die Reduktion des Gehäuses mehrfach in unterschiedlichen Schneckengruppen stattgefunden hat. Das kleine, stark reduzierte Gehäuse kann als kleine "Mütze" auf dem hinteren Teil des Mantels sitzen (z.B. bei den Rucksackschnecken (Testacellidae)), oder teilweise (z.B. Papilloderma altonagai) oder völlig vom Mantel umschlossen sein. Bei anderen Gruppen befindet sich der phylogenetische Rest des Gehäuses im vorderen Teil des Körpers unter dem Mantelschild. Auch bei diesen Gruppen ist der Grad der Rückbildung sehr unterschiedlich. Während die Egelschnecken noch eine kleine, flache Gehäuseplatte besitzen, haben die Wegschnecken nur noch einige nicht zusammenhängende Kalkkörnchen in ihrem Mantelschild. Die Philomycidae haben das Gehäuse völlig reduziert; der noch vorhandene Schalensack ist leer.

Meghimatium fruhstorferi, Philomycidae

Nacktschnecken als Tiergemeinschaft

Nacktschnecken bilden nicht nur in Hinsicht auf ihre Morphologie eine Tiergemeinschaft (aber kein Taxon), sondern auch im ökologischen Sinn. Relativ viele Nacktschnecken fressen frisches Pflanzenmaterial, und dadurch werden Nacktschnecken auch als wirtschaftliche Schädlinge als eine Einheit aufgefasst, die mit denselben Methoden und Mitteln bekämpft werden.

Auch in der Wissenschaftsgeschichte wurden Nacktschnecken als Einheit gesehen, die mit denselben Methoden erforscht wurden. Während das Vorkommen von Gehäuseschnecken in einer Region auch durch leere Gehäuse nachgewiesen werden kann, ist diese Methode für Nacktschnecken in aller Regel nicht anwendbar. Die kleinen Gehäuseplättchen der Egelschnecken sind unspezifisch bzw. andere Gruppen haben nur noch kleine Kalkdepots im Mantel. Nacktschnecken können häufig nur durch lebende und geschlechtsreife Tiere bestimmt werden. Nacktschnecken sind daher nicht nur aus ästhetischen Gründen in Sammlungen unterrepräsentiert, sondern eben auch durch diese Einschränkung. Gehäuse können zudem einfach in Sammlungen aufbewahrt werden, die Aufbewahrung von Nacktschnecken erfordert eine Konservierung in Alkohol. Liebhabersammlungen von Nacktschnecken existieren deshalb so gut wie gar nicht. Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung und dem Nachweis machen die Nacktschnecken mit wenigen Ausnahmen zu einem wenig bekannten Forschungsgebiet. So werden immer noch neue Nacktschneckenarten in wenig erforschten Regionen in Europa gefunden.

Nacktschnecken im System der Schnecken

Die "Nacktschnecken" sind keine taxonomisch-systematische Gruppe, wie bereits dargelegt wurde. Der Prozess der Gehäusereduktion trat in den verschiedensten Schneckengruppen auf. Die wichtigsten werden hier aufgelistet.

Nacktschnecke bei der Eiablage
Nacktschnecke

Meeresnacktschnecken

  • Ordnung Sorbeoconcha Ponder & Lindberg, 1997
    • Unterordnung Hypsogastropoda Ponder & Lindberg, 1997
      • Überfamilie Pterotracheoidea Rafinesque, 1814 (ehemals Heteropoda und Carinarioidea)

Landnacktschnecken

Auch in anderen Schneckengruppen (z.B. Helicoidea), die man für gewöhnlich nicht mit den Nacktschnecken assoziiert, findet sich gelegentlich in wenigen Arten die Tendenz zur Reduzierung des Gehäuses.

Literatur

  • Klaus Bogon: Landschnecken Biologie, Ökologie, Biotopschutz. 404 S., Natur Verlag, Augsburg 1990 ISBN 3-89440-002-1
  • Philippe Bouchet & Jean-Pierre Rocroi: Part 2. Working classification of the Gastropoda. Malacologia, 47: 239-283, Ann Arbor 2005 ISSN 0076-2997
  • Rosina Fechter und Gerhard Falkner: Weichtiere. 287 S., Mosaik-Verlag, München 1990 (Steinbachs Naturführer 10) ISBN 3-570-03414-3
  • Dai Herbert & Dick Kilburn: Field Guide to the land snails and slugs of eastern South Africa. 336 S., Pietermaritzburg, 2004 ISBN 0-620-32415-5
  • Michael P. Kerney, R. A. D. Cameron & Jürgen H. Jungbluth: Die Landschnecken Nord- und Mitteleuropas. 384 S., Paul Parey, Hamburg & Berlin 1983 ISBN 3-490-17918-8
  • Anatolij A. Schileyko: Treatise on Recent terrestrial pulmonate molluscs, Part 15 Oopeltidae, Anadenidae, Arionidae, Philomycidae, Succineidae, Athoracophoridae. Ruthenica, Supplement 2: 2049-2210, Moskau 2007 ISSN 0136-0027
  • Anatolij A. Schileyko: Treatise on Recent Terrestrial Pulmonate Molluscs Part 11 Trigonochlamydidae, Papillodermidae, Vitrinidae, Limacidae, Bielziidae, Agriolimacidae, Boettgerillidae, Camaenidae. Ruthenica, Supplement 2(11): 1467-1626, Moskau 2003 ISSN 0136-0027
  • Andrzej Wiktor: Die Nacktschnecken Polens. 182 S., Monografie Fauny Polski, Polska Akademia Nauk Zakład Zoologii Systematycznej i Doświadczalnej, Warschau & Krakow 1973.

Weblinks


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