- Neue Sachlichkeit (Fotografie)
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Die Neue Sachlichkeit ist eine Stilrichtung in der Bildenden Kunst, die man unter anderem in der Malerei und der Fotografie, aber auch in der Literatur, im Film und in der Architektur vorfindet. Sie zeichnet sich durch ein hohes Maß an Nüchternheit des Fotografen gegenüber seinem Sujet aus.
Inhaltsverzeichnis
Ursprung und Geschichte
Geprägt wurde der Begriff der Neuen Sachlichkeit 1923 von G.F. Hartlaub, der seinerzeit Direktor der Mannheimer Kunsthalle war, im Zuge der Konzeption einer (erst zwei Jahre später stattfindenden) Ausstellung. Entwickelt hat sich die Neue Sachlichkeit aus dem Wunsch heraus, den künstlerischen Tendenzen in der Fotografie (z.B. dem Piktoralismus) mit einer stringent objektiven Bildsprache gegenübertreten zu können.
Begriffsklärung und Bildsprache
Erklärtes Ziel der Neuen Sachlichkeit in der Fotografie war es, die Dinge in ihrer Einfachheit und Schönheit darzustellen. Dafür war es vonnöten, Abstand von dem Sujet zu wahren – im Sinne einer sehr nüchternen, zurückhaltenden Bildsprache. Hierbei geht es allerdings nicht um eine grundsätzlich neue Darstellung des Gegenstandes, sondern um die Fixierung von Struktur, Form und Mentalität.
Auch hinsichtlich der praktischen Umsetzung der obigen Ziele wurde akribisch gearbeitet. In Abgrenzung zu den zeitgenössischen experimentellen Ansätzen in der Fotografie hatten die Arbeiten der Neuen Sachlichkeit auch durch perfekt ausgearbeitete Abzüge und genaueste Formwiedergabe zu überzeugen.
Die Neue Sachlichkeit besitzt durchaus einen dokumentarischen Charakter. Man definiert die Fotografie als ein Medium, das es ermöglicht, die exakte Form der Dinge wiederzugeben und somit die Inventarisierung von Gegenständen zu fördern. Der Fotograf sollte stringent die Referenz zum Sujet aufzeigen können, ohne auf den Autor zurück zu weisen. Man wünscht sich die Dokumentation anstelle des Kunstwollens (vgl. Neues Sehen). Es scheint möglich, die Neue Sachlichkeit in der Nähe einer wissenschaftlichen Fotografie zu positionieren.
Bildsprache in Abgrenzung zur Malerei
In ihrem ästhetischen Ansatz unterscheidet sich die Neue Sachlichkeit in der Fotografie deutlich von der in der Malerei. Während in der Filmsprache der Anspruch der „Sachlichkeit“ durchaus mit ästhetischer „Nüchternheit“ zu erreichen versucht wurde, ist dieser Realismus bei den Vertretern der Malerei ausschließlich Ziel, nicht aber ästhetisches Mittel - im Gegenteil. George Grosz beschreibt sein Anliegen beispielsweise damit, „das Weltbild von den übernatürlichen Kräften, von Gott und den Engeln zu reinigen, um dem Menschen den Blick zu schärfen für sein reales Verhältnis zur Umwelt.“[1]
Neue Sachlichkeit im Film
Im deutschsprachigen Kunstfilm entstanden Werke der Neuen Sachlichkeit als Gegenströmung und Ausweg aus der manieristischen Metaphorik des stilistisch vorherrschenden Filmexpressionismus. Sie bemühten sich um Realismus bei ihrer Handlungsthematik, der Spielweise der Darsteller aber auch der Auswahl authentischer Filmsets. Ein Vorläufer dieser neuen Stilrichtung, die den Weg der Versachlichung beschritt und nachvollziehbar reale Menschenschicksale porträtierte, war der außerhalb der Filmstudios im Ruhrgebiet entstandenen Bergarbeiterfilm Schlagende Wetter (1923) von Karl Grune. Deutsche und englische Kritiker bemerkten den Realismus dieses Films als etwas Außergewöhnliches und Neues. Jedoch erst seit Georg Wilhelm Pabsts Die freudlose Gasse (1925) begann eine weitgehende Abkehr vom Expressionismus und es entstanden zahlreiche Filme mit sozialkritisch-realistischer Thematik.
Ein erster Vorläufer der Neuen Sachlichkeit entstand in Österreich bereits 1920, als der auf den Sozialreportagen des Journalisten Emil Klägers basierende Spielfilm „Durch die Quartiere des Elends und Verbrechens“ in den Kinos erschien. In den folgenden Jahren erschienen einige Produktionen die sich mit der tristen Lage des inflationsgeplagten Österreichs nach dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzten: „Frauen aus der Wiener Vorstadt“ (1925), „Haifische der Nachkriegszeit“ (1926), „Sacco und Vanzetti“ (1927), „Andere Frauen“ (1928), „Eine Dirne ist ermordet worden“ (1930), um einige zu nennen.
Ihren Höhepunkt hatte die Neue Sachlichkeit im Film in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Neben Pabst gehörte auch Gerhard Lamprecht zu den wichtigen Vertretern der Neuen Sachlichkeit; 1925 drehte er mit Die Verrufenen den ersten Film einer Trilogie um Probleme der sozialen Unterschicht, die 1926 mit Die Unehelichen und Menschen untereinander ihre Fortsetzung fand. Weitere bedeutende Filme waren Die Abenteuer eines Zehnmarkscheines (1926) von Berthold Viertel, die von der Berliner Prometheus Film produzierten Filme Phil Jutzis und Leo Mittlers Jenseits der Straße, aber auch Hamburger SPD-Filme im Stile Werner Hochbaums Brüder. Mit Menschen am Sonntag (1930), Pabsts Kameradschaft (1931), aber auch Victor Trivas' Niemandsland (1931) und dem Klassiker des proletarischen Films Kuhle Wampe (1932, Slátan Dudow) findet die Strömung der Neuen Sachlichkeit in den frühen 1930er Jahren mit der neuen nationalsozialistischen Filmpolitik ihr Ende.
Bekannte Fotografen
Als Initiatoren und gleichzeitig meistgenannte Fotografen in Verbindung mit der Neuen Sachlichkeit gelten im Allgemeinen:
Kritik
Walter Benjamin spricht der Neuen Sachlichkeit aus oben genannten Gründen die Zugehörigkeit zur Bildenden Kunst ab. Er könne in ihrer Konzeption keinerlei Willen erkennen, „etwas künstlerisches auf[zu]bauen“. Die Neue Sachlichkeit würde vielmehr die Realität verklären und durch ihre Darstellung der Dinge dem Betrachter keine Deutungsspielräume zuweisen und somit den Erkenntnisgewinn marginalisieren. Weniger denn je würde die Wiedergabe der Realität etwas über die Realität aussagen können.
Literatur
- Andreas Haus u. Michel Frizot: „Stilfiguren. Das Neue Sehen und die Fotografie“. In: Michel Frizot (Hrsg.). Neue Geschichte der Fotografie. Köln, 1998
- Herbert Molderings: „Überlegungen zur Fotografie der Neuen Sachlichkeit und des Bauhauses“. In: Ulrich Keller, Herbert Molderings, Winfried Ranke: Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie. Lahn-Gießen, 1977
Einzelnachweise
- ↑ Kammerlohr, Otto: Epochen der Kunst, Band 4: 19. und 20. Jahrhundert, 2. erw. Aufl., München 1992, ISBN 3-486-87504-3, S. 322.
Weblinks
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