- Nomina sacra
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Nomina sacra (singular: Nomen sacrum) bedeutet auf Lateinisch „heilige Namen“ und wird als paläografischer Terminus technicus für eine Tradition benutzt, verschiedene oft vorkommende heilige Namen, Titel oder Bezeichnungen, die in den frühen griechischen Heiligen Schriften und in der theologischen Literatur begegnen, abgekürzt zu schreiben. Anders als im säkularen und nicht christlichen Schriftwesen, wo Suspensionskürzungen vorherrschten, wurden für Nomina sacra von Anfang an Kontraktionskürzungen bevorzugt. Die Zusammenziehungen wurden durch einen Überstrich gekennzeichnet. Die von Traube vermutete Herleitung des Phänomens aus dem Schriftgebrauch des hellenistischen Judentums, anstelle des unaussprechlichen Tetragramms die Symbole ΘΣ und ΚΣ zu setzen, wird nicht mehr aufrechterhalten, doch "scheint eine allererste Anregung durch das Tetragramm in judenchristlichen Kreisen, etwa Alexandrias, möglich."[1]
Mit Beginn des dritten Jahrhunderts wurden die nomina sacra in christlichen Inschriften manchmal verkürzt. Das führte zu einer Sequenz griechischer Buchstaben wie IH (iota-eta), IC (iota-sigma), oder IHC (iota-eta-sigma) für Jesus (griechisch Iēsous) sowie XC (chi-sigma), XP (chi-ro) und XPC (chi-rho-sigma) für Christus (griechisch Christos). Hier steht „C“ für die unziale (mondartige) Form des griechischen Sigma. Früh wurde diese Praxis auch im lateinischsprachigen Westen übernommen, teils unter Beibehaltung griechischer, teils unter Verwendung lateinischer Schriftzeichen, teils von Mischalphabeten. So konnte etwa das griechische C (sigma) nach seinem Klang in das lateinische Alphabet transkribiert werden, woraus sich dann IHS und XPS ergab.[2] Rein lateinisch wurden DS (deus), DNS (dominus), PR (pater), SPS (spiritus), SCS (sanctus) NR (noster) INRI (Iesus Nazarenus rex Iudaeorum), später auch OMPS bzw. OPS (omnipotens) dargeboten. Auch die griechischen bzw. lateinischen Deklinationsendungen konnten dargestellt werden, indem der letzte Buchstabe entsprechend ersetzt wurde (DNI, DNM für domini, dominum usw.). Verwandte Phänomen sind die Monogramme und die abgekürzten oder durch Initialen hervorgehobenen Anfangswörter am Beginn von Abschnitten innerhalb liturgischer Handschriften und Bibelhandschriften, die oft durch Initialen künstlerisch gestaltet und sinnstiftend ausgedeutet wurden, z. B. TI (Te igitur) am Beginn des Canon Missae, VD (vere dignum) am Beginn der Präfation, B (beatus vir) am Beginn des Psalters, LI oder LIB (liber generationis) am Beginn des Matthäusevangeliums, XPI (Christi autem generatio) am Beginn des Stammbaums Jesu im Matthäusevangelium (Mt 1,18); IN (initium evangelii) am Beginn des Markusevangeliums, Q (quoniam quidem) am Beginn des Lukasevangeliums, INP (in principio) am Beginn des Johannesevangeliums.
Die Tradition der nomina sacra findet sich auch in koptischen, armenischen, gotischen und kirchenslawischen Handschriften (siehe Titlo).
Inhaltsverzeichnis
Liste griechischer Nomina Sacra
Deutsche Bedeutung Griechisches Wort Nominativ Genitiv Gott Θεός ΘΣ ΘΥ Herr Κύριος ΚΣ ΚΥ Jesus Ἰησοῦς ΙΣ ΙΥ Christus Χριστός ΧΣ ΧΥ Sohn Υἱός ΥΣ ΥΥ Geist Πνεῦμα ΠΝΑ ΠΝΣ David Δαυίδ ΔΑΔ Kreuz Σταυρός ΣΤΣ ΣΤΥ Mutter Μήτηρ ΜΗΡ ΜΗΣ Vater Πατήρ ΠΗΡ ΠΡΣ Israel Ἰσραήλ ΙΗΛ Retter Σωτήρ ΣΗΡ ΣΡΣ Mensch Ἄνθρωπος ΑΝΟΣ ΑΝΟΥ Jerusalem Ἰερουσαλήμ ΙΛΗΜ Himmel Οὐρανός ΟΥΝΟΣ ΟΥΝΟΥ Gottesgebärerin Θεοτόκος ΘΚΟΥ Einzelnachweise
- ↑ Bernhard Bischoff, Paläographie (s. unten Literatur) S. 195.
- ↑ David Trobisch, Die Endredaktion des Neuen Testaments, NTOA 31 (Goettinge 1996), 16-31
Literatur
- Ludwig Traube: Nomina sacra. Versuch einer Geschichte der christlichen Kürzung (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 2). Beck, München 1907. Unveränd. reprogr. Nachdr. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1967.
- Otto Pächt: Buchmalerei des Mittelalters. Eine Einführung. Prestel, München 1984. ISBN 3-79130668-5
- Bernhard Bischoff: Paläographie des Altertums und des abendländischen Mittelalters (Grundlagen der Germanistik 24). Erich Schmidt, Berlin 1979, vierte überarbeitete Aufl. mit einer Auswahlbibliographiec 1986-2008 von Walter Koch, 2009. ISBN 978-3-503-09884-2
- Bruce Metzger. Manuscripts of the Greek Bible. 1981.
- Philip Comfort and David Barett: Text of the Earliest New Testament Greek Manuscripts. 1999.
- A.H.R.E. Paap: Nomina Sacra in the Greek Papyri of the First Five Centuries. Papyrologica Lugduno-Batava VIII. Leiden 1959.
- Ph. Comfort: Encountering the Manuscripts: An Introduction to New Testament Paleography and Textual Criticism. Broadman & Holman Publishers 2005, S. 199-253.
- Larry W. Hurtado: The Earliest Christian Artifacts: Manuscripts and Christian Origins. Cambridge 2006, S. 95-134.
Weblinks
Commons: Monograms of the name of Jesus Christ – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Die Nomina sacra als Teil der mittelalterlichen Kürzungssysteme von der Uni Bamberg, aufgerufen am 23. August 2011
- Veröffentlichungen zu Nomina sacra im Opac der Regesta Imperii
Kategorien:- Paläografie
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- Gottesname
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