- Ochlokratie
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Unter einer Ochlokratie wird die Herrschaft der Masse, des Pöbels, verstanden. Die Bezeichnung leitet sich ab aus dem gr. ὀχλοκρατία (aus ὄχλος óchlos ‚(Menschen-)Menge‘, ‚Pöbel‘, ‚Masse‘ sowie κρατία kratía ‚Herrschaft‘) und wird auch Pöbelherrschaft genannt.
Ochlokratie ist ein Begriff aus der antiken griechischen Staatstheorie, der vom griechischen Historiker Polybios (um 200 v. Chr.–118 v. Chr.) eingeführt wurde und seine analytische Bedeutung bis heute behalten hat. Während die Demokratie Polybios zufolge am Gemeinwohl orientiert ist, sieht er die Ochlokratie als Zerfallsform an, in der die Sorge um das Gemeinwohl dem Eigennutz und der Habsucht Platz gemacht hat. Insofern gilt die Ochlokratie als eine Entartung der demokratischen Staatsform.
Durchsetzen konnte sich diese Differenzierung außerhalb der politischen Theorie nicht. Sie geht ursprünglich auf die antiken griechischen Philosophen Platon (427–347 v. Chr.) und Aristoteles (384–322 v. Chr.) zurück: Schon Platon unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Demokratie, führte aber hier noch keine eigene Terminologie ein.[1] Aristoteles beschrieb später die Politie (gr. πολιτεία politeia ‚Verfassung‘) als die „gute“ und die Demokratie (gr. δῆμος dēmos, ‚Volk‘) als die „schlechte“ Ausprägung einer Staatsform, in der das Volk herrscht.[2] Polybios schließlich differenzierte terminologisch und bezeichnet mit ‚Ochlokratie‘ – Pöbelherrschaft – die negative Variante der Volksherrschaft, während der Begriff „Demokratie“ bei ihm positiv besetzt ist.[3]
Grundsätzlich herrschte in der antiken Staatstheorie seit Platon die Vorstellung, dass jede am Gemeinwohl orientierte Herrschaftsform ein entartetes, nur an den Interessen der Herrschenden orientiertes Gegenstück habe: [4]
Anzahl der Herrscher Gemeinwohl Eigennutz Einer Monarchie Tyrannis Einige Aristokratie Oligarchie Alle Demokratie Ochlokratie Gerade bei der Betrachtung der beiden Formen der Volksherrschaft wird die Unterscheidung zwischen Gemeinwohl (Demokratie) und den kumulierten Interessen der einzelnen Bürger deutlich: Wenn jeder nur an sich denkt und aus diesem Interesse heraus handelt, schadet er letztlich dem Gemeinwohl.[5]
Aus der Ansicht heraus, dass die Grundformen der Verfassungen notwendigerweise instabil sind, hat vor allem Polybios die Idee des Verfassungskreislaufs entwickelt, die diese Herrschaftsformen zueinander in Beziehung setzt.[6]
Literatur
- Reinhold Bichler: Politisches Denken im Hellenismus. In: Iring Fetscher, Herfried Münkler (Hrsg.): Pipers Handbuch der politischen Ideen. Band: 1: Frühe Hochkulturen und europäische Antike. Piper, München u. a. 1988, ISBN 3-492-02951-5, S. 439–484.
- Wilfried Nippel: Politische Theorien der griechisch-römischen Antike. In: Hans-Joachim Lieber: Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart (= Bundeszentrale für Politische Bildung. Schriftenreihe 299, Studien zur Geschichte und Politik). 2. durchgesehene Auflage. Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 1993, ISBN 3-89331-167-X, S. 17–46, insbes. S. 30.
Einzelnachweise
- ↑ Platon, Politikos, 292a.
- ↑ Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1160a.
- ↑ Polybios 6,4,6; 6,4,10; 6,57,9.
- ↑ Vgl. Nippel, Politische Theorien der griechisch-römischen Antike, S. 30.
- ↑ Dieselbe Unterscheidung finden wir bei Jean-Jacques Rousseau in der Unterscheidung zwischen volonté générale und volonté de tous; als praktisches Beispiel für Konflikte zwischen Gruppeninteressen und Einzelinteressen vgl. etwa das Gefangenendilemma aus der Spieltheorie.
- ↑ Polybios 1,1,6,3–10.
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