Ohrfeige

Ohrfeige

Die Ohrfeige ist ein von der Seite geführter Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht eines Anderen. Das Wort Ohrfeige stammt aus dem Mittelhochdeutschen und wurde im 13. oder 16. Jahrhundert[1] erstmals erwähnt (vgl. niederländisch oorveeg, zu veeg = Hieb, Streich). Der Wortbestandteil -fige beziehungsweise -feige leitet sich entweder von fegen oder von der Frucht Feige[1] im übertragenen Sinn (Schwellung) ab.

Inhaltsverzeichnis

Die Ohrfeige als Erziehungsmittel

Bis ins 20. Jahrhundert wurde die Ohrfeige neben anderen Formen der Körperstrafe als probates Erziehungsmittel betrachtet. In Deutschland ist die körperliche Bestrafung gegenüber Kindern seit der Reform des Züchtigungsrechts verboten. Ob die Ohrfeige jedoch unter bestimmten Umständen als „nicht entwürdigende Maßnahme“ angesehen werden kann, ist umstritten. Eine weitverbreitete Sicht besagt, dass eine Ohrfeige nicht schade. Allerdings können Ohrfeigen bei kleinen Kindern mitunter zu schweren körperlichen Schäden führen.

Risiken

Nicht immer treffen Ohrfeigen ihr eigentliches Ziel, was einige Risiken mit sich bringt. In Extremfällen können Ohrfeigen bei Kindern zu einer traumatischen Rotationsbewegung des Kopfes und zum Tode führen.[2] Relativ häufig können Ohrfeigen zur Verletzung des Trommelfells führen. Wird ein Ohr getroffen, so kann die Wirkung der Hand zu einem Überdruck im Ohr führen. Dadurch wird die Luft den Trommelfell pressen, was zur Verletzung führt.[3]

Die Ohrfeige als Ehrenbeleidigung

Obwohl sie weder der verletzendste noch der schmerzhafteste Schlag ins Gesicht ist, gilt die Ohrfeige unter Erwachsenen als besonders ehrenrührig. Dies wird auch in Ausdrücken wie der verbalen Ohrfeige deutlich. Ohne tatsächliche Gewalt anzuwenden, sagte der Ohrfeigende seinem „Opfer“: „Fühlen Sie sich geohrfeigt!“ Dieser Satz hatte früher die gleiche Bedeutung wie die eigentliche Handlung. Nach der eigentlichen Handlung oder der Aussprache des Satzes galt der Geohrfeigte als in seiner Ehre eingeschränkt und hatte die moralische, wenn auch rechtswidrige Pflicht, den Ohrfeigenden zu einer Revanche aufzufordern. Heutzutage wird diese Redewendung kaum noch verwendet.

Die Ohrfeige im Strafrecht

Die Anwendung einer Ohrfeige kann bei einer Anzeige durch den Betroffenen zu einem Strafverfahren wegen Körperverletzung in Tateinheit mit einer Beleidigung führen (eine leichte Ohrfeige, welche die "körperliche Unversehrtheit" nur unerheblich beeinträchtigt, stellt keine Körperverletzung dar, erfüllt in der Regel jedoch immer den Tatbestand der Beleidigung).
Berühmt geworden ist die Ohrfeige, die der damalige deutsche Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger am 7. November 1968 von Beate Klarsfeld erhielt.

Die rituelle Ohrfeige

Ohrfeigen als Abwehr von Übel

Schlägen wurde im Brauchtum oft eine übelabwehrende Kraft zugesprochen, weswegen zum Beispiel Gehängte, die als Geister weiterlebend gedacht wurden, geohrfeigt wurden.[4]

Ohrfeigen als Gedächtnisstärkung

Ohrfeigen sind in der Geschichte auch oft als Mittel der Gedächtnisstärkung herangezogen worden, da der dabei erlebte Schmerz die Erinnerung an ein denkwürdiges Ereignis wachhalten sollte. So wurde im späten Mittelalter bei Besitzübergaben und Grenzumgängen Knaben, die als Zeugen mitgebracht wurden (oft die Kinder der Besitzer, d.h. die zukünftigen Erben), an bestimmten Stellen (Grenzsteinen) eine Ohrfeige verpasst, damit sie sich die Lage merkten. Heute lebt diese Tradition nur im Brauchtum fort, z.B. im Schnadegang (auch Schnatgang, Schnatzug, Grenzegang u.ä.). Aus dem Mittelalter wird auch bei dem Übertritt in eine Handwerkergilde die Ohrfeige als Gedächtnisstärkung überliefert.[5]

Ein ähnlicher Brauch hat sich in manchen europäischen Gegenden (z.B. Polen, Niederschlesien, Hessen, Sachsen, Kärnten) bis ins 20. Jh. gehalten, wenn die ersten Frühjahrsspeisen nach dem Winter gekocht wurden bzw. wenn jemand eine Speise zum ersten Mal kostete: die Nachbarn geben einander eine leichte Ohrfeige oder zupfen einander an den Ohren, wahrscheinlich um sich später an den besonderen Anlass erinnern zu können.[6]

Ohrfeigen als symbolische Stärkung des Geschlagenen

In der katholischen Liturgie der Firmung war ein angedeuteter Backenstreich (lat. alapa) seit dem 13. Jahrhundert bis zur Reform der Firmung 1973 als Symbol der Stärkung (vgl. Ritterschlag, Schmiss) vorgesehen. Ein weniger bekannter Brauch im Rahmen der Firmzeremonie war ein Fußtritt durch den Paten, der wohl als Gedächtnisstärkung zu deuten ist. [7]

Ohrfeigen als Zeichen der Begründung eines Herrschaftsverhältnisses

Da der Geohrfeigte sich dem Ohrfeigenden unterordnet, wenn er den Schlag nicht erwidert, kommt der ersten Ohrfeige die Bedeutung der Akzeptanz dieser Unterordnung, der letzten Ohrfeige in einem Machtverhältnis jedoch die Freilassung aus diesem gleich. In verschiedenen Zeremonien wird der erste Sinn deutlich: So berichtet der Geschichtsschreiber Abt Johann von Viktring, dass der Kandidat bei der Kärntner Herzogseinsetzung vom Herzogbauern[8] einen symbolischen Backenstreich erhielt[9] [10], der im Kontext der Zeremonie als bäuerlich-demokratisches Ritual zu verstehen ist.

Ohrfeigen als Zeichen des Endes eines Herrschaftsverhältnisses

In Rom wurden wahrscheinlich Sklaven mit einer symbolischen letzten Ohrfeige freigelassen; dieser Brauch lebte im Mittelalter weiter, wenn der Lehrmeister den Lehrling am letzten Ausbildungstag mit einer Ohrfeige aus dem Arbeitsverhältnis entließ.

Umgangssprache und Redewendungen

  • Synonyme: Watsche, Watschn (Österreich/Bayern); Fotzn (Bayern/Österreich), Detschn, Tachtel (Österreich); Schelln (Bayern); Lage (Ostfriesland); Backpfeife, Backfotzn, Oahrklatsch (Mölmsch Platt); Maulschelle, Ohrschelle, Schelle, Backenstreich, Tåsche (Tirol); Faunz (Erzgebirge), Fauze (Teile Sachsens, weitgehend veraltet); Chlapf, Tätsch (Schweiz)
  • Das Ohrfeigengesicht ist eine „unsympathische, dümmlich-provozierende Grimasse“.
  • Die Redewendung der Ohrfeige nach meint bei Personengruppen (z.B. bei Spielen) eine Reihenfolge im Gegenuhrzeigersinn.
  • Die Redewendung sich etwas hinter die Ohren schreiben bezieht sich auf die Interpretation der Ohrfeige als Gedächtnisstärkung.

Literatur

  • Winfried Speitkamp: Ohrfeige, Duell und Ehrenmord. Eine Geschichte der Ehre, Reclam, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-15-010780-5, darin besonders Körper und Ehre. Eine kurze Geschichte der Ohrfeige, S. 25-67.
  • Christos Tsiolkas: The Slap, Allen & Unwin, Sydney 2008, ISBN 1741753597, Gewinner des Commonwealth Writers Prize 2009; ein Roman über die Folgen einer Ohrfeige, die ein Mann einem fremden Kind gibt. Die Geschichte wird von acht Personen erzählt, die in dem Moment dabei waren.

Einzelnachweise

  1. a b Friedrich Kluge, Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache / Kluge, 24. Auflage, de Gruyter, Berlin 2002
  2. „Ohrfeigen müssen zum Tabu werden“, Interview mit Manfred Karremann im Stern, 11. März 2008
  3. sergioalbanese
  4. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: Mauer bis Pflugbrot, Eintrag Ohrfeige, Spalte 1217-18, Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  5. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: Freen bis Hexenschuss, Eintrag Handwerker, Spalte 1429-30, Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  6. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: Silber bis Vulkan, Eintrag Speise, Spalte 229-30, Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  7. http://www.st-georg-bad-fredeburg.de/aktuelles/firmung/firmung.htm
  8. Austria-Forum, Eintrag Herzogbauer: http://austria-lexikon.at/af/AEIOU/Herzogbauer
  9. Landesmuseum Kärnten: der Fürstenstein im Wappensaal, http://www.landesmuseum-ktn.at/Landesmuseen/Wappensaal/wappensaal_fuers.html
  10. Information zum Fürstenstein, http://www.fuerstenstein.at/geschichte/C10/P1

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Ohrfeige – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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