- Körperstrafe
-
Eine Körperstrafe ist eine Strafe, die körperlich erfahrbar ist und meist in der Form von Schlägen mit der Hand oder einem Gegenstand (oft dementsprechend benannt, z. B. Auspeitschen, Stockschläge) verabreicht wird; dies wird dann auch als körperliche Züchtigung oder Prügelstrafe bezeichnet. Der ältere Ausdruck Leibesstrafen umfasste auch das Abschlagen von Gliedmaßen (besonders Händen, Ohren, Nase), die Blendung, das Brandmarken, das Stäupen, das Abscheren von Haar (bei Frauen) und Bart (bei Männern), das öffentliche Anprangern (z. B. das öffentliche Schließen in den Block) usw.
Körperstrafen werden unter anderem als juristische Rechtsfolge und in der Kindererziehung angewendet, in der Vergangenheit auch zur Disziplinierung von Sklaven, Leibeigenen, Lehrlingen, im Militär, in Klöstern, Gefängnissen, Ausbildungseinrichtungen und einer Vielfalt weiterer Institutionen und Lebensbereiche. Anwendung und gesetzliche Zulässigkeit – sowohl im pädagogischen wie auch juristischen Bereich – haben sich im Lauf der Zeit stark gewandelt und immer eine starke Abhängigkeit von den jeweils herrschenden sozialen Normen gezeigt. Zu den heute allgemein gesetzlich unzulässigen Körperstrafen gehören alle Formen, die unter den Begriff der Folter fallen.
In Deutschland und Österreich sind Körperstrafen verboten. Auch das Züchtigungsrecht der Eltern gegenüber ihren Kindern wurde in Österreich stufenweise zwischen 1975 und 1989, in Deutschland erst im Jahr 2000 durch eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ersatzlos abgeschafft. Nach der Verschärfung des § 1631 BGB haben Kinder das ausdrückliche „Recht auf gewaltfreie Erziehung“: „Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“.
Inhaltsverzeichnis
Juristische Körperstrafen
Als juristische Strafen wurden Körperstrafen im Abendland meist in der Form einer Auspeitschung (meist mit einer Peitsche oder Birkenrute) oder in Form von Stockhieben erteilt. Die Schläge erfolgten üblicherweise auf den Rücken oder auf das Gesäß. Im Nahen Osten waren auch Stockhiebe auf die Fußsohlen (Bastinado) üblich. Insbesondere in Militär und Seefahrt wurden bis ins 19. Jahrhundert schwere Körperstrafen wie Spießrutenlaufen, Kielholen oder Stäupen angewendet. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Prügelstrafe mit einem Rohrstock auf dem „Prügelbock“ als Körperstrafe relativ häufig eingesetzt.
Heute werden juristische Körperstrafen in vielen Ländern der Welt als barbarisch angesehen und sind daher abgeschafft – auch in solchen Ländern, die die Todesstrafe beibehalten haben. In anderen Ländern (v. a. in Afrika, im Nahen Osten und in Südostasien) sind sie jedoch noch gesetzlich vorgesehen. In Malaysia und Singapur erhalten z. B. Gewaltverbrecher wie Vergewaltiger, aber auch illegale Arbeitsimmigranten und Täter von Sachbeschädigungen oder Ordnungswidrigkeiten zusätzlich zur Freiheitsstrafe eine Körperstrafe, die unter kontrollierten Bedingungen und medizinischer Aufsicht mit einem Rohrstock aus Rattan auf dem entblößten Gesäß des verurteilten Täters vollzogen wird. Altersunabhängig können bis zu 24 Hiebe mit dem 120 cm langen und 13 mm starken Rohrstock erteilt werden, was notwendigerweise zu schweren Verletzungen am Gesäß mit lebenslang anhaltender Narbenbildung führt. Auf den Bahamas wurde die Körperstrafe durch Stock- oder Peitschenhiebe 1984 als Relikt der Kolonialzeit abgeschafft, 1991 jedoch wieder eingeführt, obwohl nach Artikel 17 der Verfassung unmenschliche und erniedrigende Bestrafung nicht zulässig ist.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 verbietet neben jeder Art der Folter auch „grausame, ungewöhnliche und erniedrigende Strafen“, die Scharia (islamisches Recht) schreibt hingegen Körperstrafen ausdrücklich vor.
Nach einem Bericht von Amnesty International wurden im Jahr 2001 in folgenden Staaten juristische Körperstrafen durchgeführt: Afghanistan, Guyana, Brunei, Iran, Malaysia, Nigeria, Saudi-Arabien, Singapur, Sudan und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Körperstrafen in der Kindererziehung
Als Strafmethode in der Kindererziehung waren Körperstrafen bis in die 1970er Jahre auch im Westen das wohl häufigste Erziehungsmittel. Diese Körperstrafen wurden in der Regel mit der flachen Hand, einem Lederriemen, Teppichklopfer oder dünnen Rohrstock auf dem Gesäß des Kindes oder Jugendlichen vollzogen. Im Schulmilieu wurden Strafen außer auf den Hosenboden oft auch auf die ausgestreckte Hand des Kindes gegeben (sogenannte „Tatzen“); in der Schule kamen dabei früher die Rute, später der Rohrstock und vor allem von Lehrerinnen auch das Lineal zum Einsatz. Andere häufig gebrauchte Körperstrafen waren die Ohrfeige, die Kopfnuss, das Ziehen an den Haaren oder Ohren oder das Knienlassen des Kindes auf einem spitzen, dreikantigen Holzscheit.
Im Englischen wird die Züchtigung auf dem Gesäß „Spanking“, im Französischen „Fessée“ genannt, im Hochdeutschen „Versohlen“. Verbreitet sind eine Vielzahl von regionalsprachlichen Dialekt-Wendungen, z. B. „Schinkenkloppen“, „Arsch versohlen / 'nen Arsch vollkriegen“, „ein paar hintendrauf kriegen“ oder „den Hosenboden voll kriegen“ usw. im Berlinischen, im Süddeutschen „Hosenspannes“, „ne Jachtreise machen“ in Norddeutschland, „wat auf die Bollen“, „dann hat der Hintern Kirmes“ im Ruhrgebiet.
Im Gegensatz zu Nord-, Mittel- und Südamerika, Afrika, Asien und Ozeanien, spielen Körperstrafen in der Kindererziehung in Mitteleuropa und insbesondere im deutschsprachigen Raum heute eine quantitativ geringere Rolle. In Deutschland sind alle Körperstrafen in der Kindererziehung seit dem Jahr 2000 aufgrund des Gesetzes zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung verboten. Ein Rechtfertigungsgrund ist damit nicht mehr gegeben.
Geschichte
Antike
Von manchen Naturvölkern ist uns die Praxis der Körperstrafe übermittelt, von anderen dagegen nicht. Dagegen wird in nahezu allen höher entwickelten antiken Gesellschaften die körperliche Züchtigung als Strafe erwähnt, z. B. an den Schulen der Sumerer, im antiken Indien oder im Kaiserreich China. Eine erste theoretische Rechtfertigung für die Praxis der Körperstrafe findet man bei den Hebräern im Alten Testament. Hier wird die Züchtigung nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar immer wieder empfohlen, vor allem im Buch der Sprichwörter.
Beispiele (Einheitsübersetzung):
„Wenn ein Mann einen störrischen und widerspenstigen Sohn hat, der nicht auf die Stimme seines Vaters und seiner Mutter hört, und wenn sie ihn züchtigen und er trotzdem nicht auf sie hört, dann … sollen alle Männer der Stadt ihn steinigen und er soll sterben.“
„Wen der Herr liebt, den züchtigt er,
wie ein Vater seinen Sohn, den er gern hat.“„Wer Zucht liebt, der wird klug; aber wer Zurechtweisung hasst, der bleibt dumm.“
„Wer die Rute spart, hasst seinen Sohn,
wer ihn liebt, nimmt ihn früh zur Zucht.“„Züchtige deinen Sohn, solange noch Hoffnung ist,
doch lass dich nicht hinreißen, ihn zu töten.“„Für die Zuchtlosen stehen Ruten bereit
und Schläge für den Rücken des Toren.“„Steckt Torheit im Herzen des Knaben,
die Rute der Zucht vertreibt sie daraus.“„Erspar dem Knaben die Züchtigung nicht;
wenn du ihn schlägst mit dem Stock, wird er nicht sterben.“„Rute und Rüge verleihen Weisheit,
ein zügelloser Knabe macht seiner Mutter Schande.“„Züchtige deinen Sohn, so wird er dir Verdruss ersparen
und deinem Herzen Freude machen.“„Schäme dich nicht folgender Dinge: des Gesetzes des Höchsten und seiner Satzung,
des gerechten Urteils, das nicht den Schuldigen freispricht, … der häufigen Züchtigung der Kinder
und der Schläge für einen schlechten und trägen Sklaven.“„Musik bei Trauer ist zur Unzeit eine Rede, doch Zucht und Schläge zeugen stets von Weisheit.“
„Wer liebhat seinen Sohn, hält stets den Stock für ihn bereit, damit er sich am Ende freuen kann. Wer seinen Sohn bestraft, wird Freude an ihm haben und sich vor den Bekannten seiner rühmen können.“
„Den Nacken krümmen Joch und Strick, und für den schlechten Sklaven ziemt sich Block und Folter.“
Allerdings findet sich ebenfalls bereits im alten Testament die Regel, dass eine Körperstrafe den (erwachsenen) verurteilten Täter nicht entehren oder gar töten darf. Der zu Bestrafende darf deshalb höchstens vierzig Schläge erhalten: „dann soll der Richter, falls der Schuldige zu einer Prügelstrafe verurteilt wurde, anordnen, dass er sich hinlegt und in seiner Gegenwart eine bestimmte Anzahl von Schlägen erhält, wie es seiner Schuld entspricht. Vierzig Schläge darf er ihm geben lassen, mehr nicht. Sonst könnte dein Bruder, wenn man ihm darüber hinaus noch viele Schläge gibt, in deinen Augen entehrt werden“ (Dtn 25,2–3 EU). In der Praxis wurden maximal 39 Schläge erteilt, damit nicht das Gesetz durch ein eventuelles Verzählen gebrochen wurde.
Auch im Neuen Testament gibt es eine Stelle, die die körperliche Züchtigung rechtfertigt:
„Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; / er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat. Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet. Gott behandelt euch wie Söhne. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt? Würdet ihr nicht gezüchtigt, wie es doch bisher allen ergangen ist, dann wäret ihr nicht wirklich seine Kinder, ihr wäret nicht seine Söhne.“
Im antiken Athen waren Züchtigungen genauso an der Tagesordnung, wenngleich sich erstmalig Platon an einer Stelle bereits für eine gewaltfreie Erziehung aussprach. Aristoteles rät, ein unfolgsames Kind solle „entehrt und geschlagen werden“ (Politik, VII, 17).
Gemessen am vergleichsweise moderaten Athen spielte die körperliche Züchtigung in der strengen Gesellschaft der Spartaner eine ganz besonders große Rolle. Harte und häufige Schläge sollten hier nicht nur Gehorsam erwirken, sondern Seele, Geist und Körper abhärten. Plutarch berichtet von grausamsten Auspeitschungen für geringste Vergehen.
Von den Römern sind vor allem die Körperstrafen an den Schulen übermittelt. Die Schläge erfolgten dort mit besonderen Züchtigungsinstrumenten: der scutia, einem Lederriemen, der ferula, einer Rute, dem flagellum, einer Peitsche mit Knotenschnüren, und der virga, einer Birkenrute. Vereinzelte römische Autoren sprechen sich dafür aus, die Züchtigung auf Sklaven zu beschränken, da sie für Bürgerskinder zu entehrend sei.
Christliches Europa
Mit der Ausbreitung des Christentums über Europa gab es keine grundsätzliche Änderung der Pädagogik. Die westeuropäischen Gesellschaften des Mittelalters übernahmen die Züchtigungsmethoden von den Römern und aus ihrer eigenen Tradition, nicht nur in der Kindererziehung, sondern auch zur Bestrafung Erwachsener, wie beispielsweise das Stäupen am Pranger. Christentum und germanische Tradition lieferten die Rechtfertigung für die berüchtigt harten Strafen des Mittelalters in allen Lebensbereichen (andererseits wurde auch die vergleichsweise milde Strafpraxis im Byzantinischen Reich mit dem Christentum begründet). In dieser Zeit entstand – basierend auf biblischen Ratschlägen – das Sprichwort „Schone die Rute und verdirb das Kind“, äquivalent der Ausspruch „An der Rute sparen rächt sich nach Jahren“. Besonders harte Erziehungsmittel sind aus den Klosterschulen überliefert, wo die Kinder als Novizen oft für den kleinsten Fehler „bis aufs Blut gegeißelt“ wurden.
Die Erziehungsmethode der Strafe für Vergehen wurde zunehmend durch eine ausgewogener erscheinende Kombination aus Strafe und Belohnung abgelöst, wie sie die drastische Redewendung „Zuckerbrot und Peitsche“ umschreibt. Noch Martin Luther (1483–1546) empfiehlt, bei der Kindererziehung „neben den Apfel eine Rute zu legen“, und dies war nicht nur metaphorisch gemeint. Die Rute, die der Nikolaus den ungehorsamen Kindern bringt, ist ein brauchtümliches Überbleibsel.
Das Zeitalter der Aufklärung brachte noch keine wesentliche Änderung bei den Erziehungsmethoden für Kinder. Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) revolutionierte zwar als erster entscheidend die Pädagogik, aber erst im 19. Jahrhundert wurden einzelne Stimmen laut, die den völligen Verzicht auf Körperstrafen in der Kindererziehung forderten. Doch wurde die Prügelstrafe für Soldaten unter Einfluss des Militärtheoretikers Graf Wilhelm von Schaumburg-Lippe in Preußen erstmals durch Scharnhorsts Heeresreform ab 1807 abgeschafft.
Dennoch war die körperliche Züchtigung von Kindern und Heranwachsenden in Westdeutschland in (insbesondere handwerklichen) Ausbildungsverhältnissen bis etwa 1960 und an Grundschulen bis etwa 1970 weit verbreitet. Auch die Übertragung des Züchtigungsrechts an Dritte (etwa an Nachhilfelehrer) war bis etwa 1970 sozial akzeptiert und nicht unüblich.
Eine Trendwende in der Pädagogik setzte erst ab den 1960er Jahren ein, ging dann aber – zumindest in Europa – sehr schnell und radikal vonstatten. Trotzdem wird in den vielen Staaten Europas Gewalt gegen Kinder immer noch von der Gesellschaft toleriert, oder befürwortet.[1]
Seit den 1970er Jahren gilt die Körperstrafe in Europa in vielen Gesellschaftskreisen, insbesondere in den Medien, als barbarisches Relikt vergangener Zeiten und wird mit Kindesmisshandlung oder gar mit sexuellem Missbrauch von Kindern gleichgesetzt.[2]
Tatsächlich kann letzteres nicht immer ausgeschlossen werden:
- Das entblößte Gesäß stellt einen sexuellen Reiz dar.
- Das Schlagen selbst kann einen sadistischen sexuellen Reiz besitzen („Spanking“).
- Durch die Entblößung ist auch der Blick auf die Genitalien möglich,
- ebenso wie ein vorgetäuscht „versehentliches“ Berühren derselben.
- Offensichtliche sexuelle Handlungen an Kindern werden vom Strafrecht in der Regel strenger geahndet als erzieherische Gewalt, die lange Zeit überhaupt nicht oder nur ausnahmsweise geahndet wurde. Dies begünstigt(e) ein Ausweichen auf pädosadistische Handlungen unter dem Vorwand von Erziehungsmaßnahmen.
- Im Zweifelsfall findet sich immer ein Anlass, zu züchtigen, und sei er noch so nichtig.
Dies bedeutet keineswegs, dass alle Eltern, die zu Körperstrafen greifen, sexuelle Motive haben.
Eine gesellschaftliche Akzeptanz von Körperstrafen kann einen Vorwand liefern, aggressive Triebimpulse willkürlich abzureagieren, ein Vorgang, der in der Psychologie auch als Sublimierung bekannt ist.
Situation heute
Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989 verpflichtet in den Artikeln 18 und 29 die Unterzeichnerstaaten zu einer gewaltfreien Erziehung im Sinne der Gleichberechtigung und des Friedens. Heute verwenden in den westlichen Ländern viele den Begriff Schwarze Pädagogik, wenn sie negativ von den Erziehungsmethoden früherer Elterngenerationen sprechen. Allerdings sind auch heute noch in den meisten Ländern der Welt Körperstrafen (wie Ohrfeigen) als Erziehungsmittel, soweit sie „maßvoll“ und „angemessen“ sind, legal und können dort vor allem von den Eltern, jedoch auch – im Rahmen festgeschriebener Gesetze – von Lehrern oder anderen Erziehungsverantwortlichen erteilt werden.
In den meisten Staaten Europas hat sich seit etwa dem Ende des Zweiten Weltkriegs, vor allem in den 1960er und 1970er Jahren und gestützt durch neue psychologische Erkenntnisse, die neue öffentliche Meinung durchgesetzt, dass Körperstrafen schädlich für die Entwicklung des Kindes sind und nicht mehr angewendet werden sollen. In der DDR wurden Körperstrafen an den Schulen 1949 abgeschafft, 1973 auch in der Bundesrepublik Deutschland. Jedoch erklärte noch 1979 das Bayerische Oberste Landesgericht, dass „im Gebiet des Freistaates Bayern … ein gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht“ besteht. 1980 wurde die Prügelstrafe an Schulen auch in Bayern abgeschafft.
Entgegen den gesetzlichen Bestimmungen in Deutschland wird in offiziellen religiösen Unterweisungen für deutsche Moslems die Prügelstrafe gegen Kinder und Jugendliche teilweise sogar noch gefordert. In einer von einem muslimischen Buchversand (em-buch.de; erreichbar über die Homepage des „Zentralrates der Muslime in Deutschland“) als „Lehr- und Referenzbuch“ empfohlenen und mehr als 200 Seiten umfassenden Schrift As-Salah – Das Gebet im Islam heißt es ausdrücklich: „Kinder sollen vom siebten Lebensjahr an von den Eltern durch Ermahnungen zum Gebet angehalten werden, vom zehnten Lebensjahr an auch notfalls, wenn es gar nicht anders geht, durch Schläge“.[3]
Mit Verweis auf religiöse Begründungen wird auch in Teilen der evangelikalen bzw. christlich-fundamentalistischen Gruppierungen die körperliche Bestrafung von Kindern propagiert. So fordert beispielsweise der Autor Tedd Tripp in seinem Buch Eltern – Hirten der Herzen. Biblisch orientierte Erziehung christliche Eltern dazu auf, die „Rute“ als Erziehungsmittel zu nutzen.[4] Von dem evangelikalen Autorenehepaar Michael und Debi Pearl liegt der Band Wie man einen Knaben gewöhnt vor, in dem praktische Hinweise gegeben werden, Kinder durch Schläge mit einer Rute zu bestrafen und ihren Willen zu brechen.[5] Auf Antrag des Deutschen Kinderschutzbundes hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften das Buch indiziert.[6]
Eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum Thema „sogenannte Sekten und Psychogruppen“ kam 1998 zu dem Ergebnis, es lasse sich bei diesen Gruppen „eine mitunter deutliche Befürwortung disziplinierender, körperlicher Züchtigungen feststellen, auch wenn ausufernde Formen körperlicher Bestrafung zurückgewiesen und kritisiert werden“. Die Befürwortung von Körperstrafen in der Erziehung komme aber auch in areligiösen Familien vor und sei daher keine „singuläre Erscheinung in spezifischen religiösen Gruppierungen“. [7]
Als 1998 das Verbot der Züchtigung auch auf Privatschulen ausgedehnt wurde, bildete sich eine Initiative christlicher Privatschulen zur Wiedereinführung der Züchtigung in Großbritannien, welche von 40 Schulen unterstützt wurde und mit Religionsfreiheit argumentierte. Die Rechtsverfahren durch alle Instanzen endeten erst 2005 mit einer Ablehnung des Ansinnens.
Neben Deutschland verbieten die gesetzlichen Regelungen elterliche Körperstrafen in mehreren Ländern, beispielsweise in Schweden, Island, Finnland, Dänemark, Norwegen, Österreich, Italien, Zypern, Kroatien, Neuseeland, Costa Rica, Venezuela und Israel. Entsprechende Gesetzesinitiativen in den USA sind im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte immer wieder gescheitert. Seit Anfang der 1990er-Jahre gründeten sich dort Elterninitiativen, die einem entsprechenden Verbot entgegentraten.
In Schweden wurden schon 1979 Körperstrafen als Erziehungsmittel grundsätzlich illegalisiert, ebenso seither in mehreren anderen (v. a. europäischen) Staaten, die dem Beispiel Schwedens folgten. Mit Änderung des § 1631 Abs. 2 BGB durch den Bundestag am 6. Juli 2000 haben auch in Deutschland Kinder ein Anrecht auf eine gewaltfreie Erziehung, das heißt, auch die Anwendung von psychischer Gewalt in Form von Demütigungen ist verboten. Damit wurde das bis dahin bestehende elterliche Züchtigungsrecht aufgehoben. Körperliche oder seelische Misshandlungen von Kindern in der Erziehung hingegen sind in Deutschland bereits seit 1998 verboten.
In den USA sind noch immer Körperstrafen an den öffentlichen Schulen in zwei Fünftel aller US-amerikanischen Bundesstaaten erlaubt, werden aber hauptsächlich in den ehemaligen Südstaaten bzw. im Bible Belt praktiziert. Die Strafen werden in der Regel mit einem speziellen Holzpaddel (Paddle) oder auch mit einem Lederriemen auf das bekleidete oder, jedoch nur in seltenen Fällen, entblößte Gesäß des Schülers erteilt („paddling“/„lashing“/„strapping“). In den folgenden 20 der 50 amerikanischen Bundesstaaten ist Paddling an staatlichen Schulen per Gesetz zugelassen: Alabama, Arizona, Arkansas, Colorado, Florida, Georgia, Idaho, Indiana, Kansas, Kentucky, Louisiana, Mississippi, Missouri, New Mexico, North Carolina, Oklahoma, South Carolina, Tennessee, Texas und Wyoming (Stand: Juli 2009). Nach einer Schätzung des amerikanischen Bundeserziehungsministeriums gab es im Schuljahr 1996/97 an allen staatlichen US-Schulen insgesamt rund 458.000 Paddlings, das entspricht etwa 1 % der Schüler. Die prozentual meisten Paddlings gibt es in Arkansas und Mississippi (über 10 % der Schüler erhalten dort mindestens ein Paddling im Schuljahr). Zahlen aus dem Jahr 2000 kommen zu einem ähnlichen Ergebnis mit der Reihung Mississippi (9,8 %), Arkansas (9,1 %) Alabama (5,4 %) und Tennessee (4,2 %). In diesen Staaten des Bible Belt stehen oft auch gerade die Kirchen hinter dem Paddling, da sie die körperliche Züchtigung im Alten Testament verankert sehen.[8] In einer Studie aus dem Jahre 2008 ist Mississippi wieder der Staat der größten Anzahl von Schülern, diesmal 7,5 % bei etwa 40.000 Paddlings. Die meisten Paddlings insgesamt sind aber mit 50.000 Fällen in Texas zu verzeichnen. Schwarze Mädchen traf es doppelt so häufig wie weiße Mädchen, Jungs trifft es dreimal so häufig wie Mädchen und auch Kinder indianischer Herkunft sind übermäßig oft betroffen.[9] In den betroffenen Bundesstaaten obliegt es dem jeweiligen Schulbezirk, die Zulässigkeit, Anlässe, Umfang und Durchführungsregelungen für körperliche Bestrafungen festzulegen. In der Vergangenheit haben wiederholt Schulangestellte ihre Stellung verloren, da sie gegen die entsprechenden Vorschriften verstießen. Manche Schulbezirke verbieten es, auch wenn es im Bundesstaat noch erlaubt ist. Auch in weiteren US-Bundesstaaten sind Körperstrafen an privaten Schulen zugelassen und werden auch dort meist als paddling, seltener als strapping praktiziert.
Besonders bei kleineren Kindern ist es in den USA verbreitet, als (auch zusätzliche) Bestrafung für freche Antworten oder "schlimme Wörter" den Mund mit Seife auszuspülen. Dies ist zwar keine körperliche Züchtigung, aber dennoch eine unangenehme erzieherische Maßnahme.
Kanada verschärfte seine Gesetze im Frühjahr 2004. Seitdem ist es dort noch legal, Kinder und Jugendliche zwischen zwei und einschließlich 12 Jahren entsprechend bestimmter Vorgaben körperlich zu züchtigen. Entgegen der sonst in den westlichen Staaten verbreiteten Tendenz, körperliche Bestrafungen von Kindern generell zu verbieten, hat allerdings der Kanadische Oberste Gerichtshof in Ottawa am 30. Januar 2004 eine differenzierendere Haltung eingenommen und entschieden, dass Eltern körperliche Bestrafungen ihrer Kinder nicht durch Gesetz verboten werden können, solange die Bestrafungen „vernünftig“ („reasonable“) sind, d. h. nicht im Zorn erfolgen. „Vernünftig“ sind dabei laut Gericht außerdem nur Körperstrafen aus wichtigem Anlass, sie dürfen nach dem Urteil nur ohne Werkzeug (also nur mit der Hand) und nur an Kindern vorgenommen werden, die mindestens zwei und noch nicht dreizehn Jahre alt sind. Schließlich sind körperliche Erziehungsmaßnahmen gegen den Kopf (Ohrfeigen, Kopfnüsse, Ziehen an Haaren oder Ohren usw.) ausnahmslos verboten.
Einer Meldung des Berliner Tagesspiegels vom 13. April 2006 zufolge hat in einem ähnlichen Fall auch der Oberste Gerichtshof Portugals in dem Sinne entschieden, dass die maßvolle körperliche Bestrafung eines Kindes Teil des elterlichen Erziehungsrechts sei, die nicht durch Gesetz ausgeschlossen werden könne. Der Tagesspiegel-Meldung zufolge soll der Fall deshalb dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu letztgültiger Entscheidung vorgelegt werden.[10]
In Großbritannien wurde zunächst am 22. Juli 1986 das Schlagen von Schülern in staatlichen Schulen und 1998 für alle Schultypen verboten. Ein Anhang zum britischen Kinderschutzgesetz, welches Eltern das Schlagen ihrer Kinder generell verbieten sollte, wurde im Jahr 2004 im House of Commons mit 424 zu 75 Stimmen abgelehnt. Ein weiterer Antrag, der das Schlagen von Kindern unter „Hinterlassung sichtbarer Spuren“ verbietet, wurde hingegen mit 284 zu 208 Stimmen angenommen und trat im Januar 2005 in Kraft.[11] Im Januar 2006 forderten die vier Kinderbeauftragten Großbritanniens ein totales Verbot von Gewalt in der Kindererziehung; diese Forderung wurde jedoch von der Regierung Tony Blairs abgelehnt. Tony Blair hatte in der Vergangenheit bekannt gegeben, dass er seine Kinder gelegentlich schlägt.[12]
Soweit die Beweislage schlecht ist (keine Zeugen, keine Spuren), gibt es in der Schweiz für körperliche Strafen in der elterlichen Erziehung keine gerichtliche Verfolgung. Ansonsten gelangen die Tatbestände Tätlichkeit oder nötigenfalls auch Körperverletzung zur Anwendung. An den meisten Schulen sind Körperstrafen administrativ untersagt.[13]
Literatur
- Züchtigung durch Mutter. In: Der Spiegel. Nr. 17, 1964, S. 52 (22. April 1964, mit empirischen Zahlen und Hinweis auf eine zeitgenössische wissenschaftliche Buchpublikation, die die damaligen Verhältnisse in Westdeutschland und West-Berlin betrifft, online).
Weblinks
- World Corporal Punishment Research – ausführliche, spezialisierte Dokumentensammlung (englisch)
- Countdown zur weltweiten gesetzlichen Abschaffung der Körperstrafe bei Kindern
- § 1631 BGB
- Entscheidung des Kanadischen Obersten Gerichtshofs in Ottawa vom 30. Januar 2004
- Project NoSpank (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ Europarat: Themendossier Körperliche Gewalt. Abgerufen am 12. Oktober 2009.
- ↑ Vgl. hierzu: Christian H. Freitag: Schlagende Beweise – das lange Ende der Prügelstrafe in England. In: Der Tagesspiegel, Berlin, vom 28. August 1977. Christian H. Freitag: Großbritannien: Prügelstrafe – gang und gäbe. In: betrifft:erziehung 10/1977.
- ↑ As-Salah – Das Gebet im Islam; S. 11.
- ↑ Tedd Tripp: Eltern – Hirten der Herzen. Biblisch orientierte Erziehung, ISBN 3935188269, ISBN 978-3935188265; englischsprachige Originalversion: Tedd Tripp: Shepherding a Child’s Heart, ISBN 0966378601, ISBN 978-0966378603. Einschlägige Textstellen sind unter http://www.stoptherod.net/tripp.html verfügbar.
- ↑ Michael und Debi Pearl, Wie man einen Knaben gewöhnt, Europäische Missionspresse, Wiesenbach 2002
- ↑ Florian Götz und Oliver das Gupta: Erziehung mit der Rute - Liebe geht durch den Stock. sueddeutsche.de, 24. Sept. 2010, abgerufen am 8. Oktober 2011: „Nach dem Hinweis der Autoren hat der Deutsche Kinderschutzbund die Indizierung des Buches "Wie man einen Knaben gewöhnt" durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien beantragt. Das Buch ist inzwischen indiziert.“
- ↑ Endbericht der Enquête-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“. In: Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentarische Vorgänge. 9. Juni 1998, abgerufen am 19. August 2009 (PDF, S. 86).
- ↑ Spiegel-Online: Old School: US-Lehrer prügeln mit Paddeln; 25. August 2004
- ↑ Spiegel online: Prügelstrafe: 200.000 US-Schüler werden geschlagen; 22. August 2008
- ↑ Oberste Richter billigen Prügelstrafe. Der Tagesspiegel vom 13. April 2006.
- ↑ http://news.bbc.co.uk/1/hi/uk_politics/3972453.stm
- ↑ http://news.bbc.co.uk/1/hi/uk/4636240.stm
- ↑ Aussage des ersten St. Galler Staatsanwalts in der Sendung Doppelpunkt von Schweizer Radio DRS 1 vom 25. Mai 2010
Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten!
Wikimedia Foundation.