Optimal-Skew-Theorie

Optimal-Skew-Theorie

Die Optimal-Skew-Theorie besagt, dass die optimale Aufteilung der Reproduktion in Tiergruppen – und damit die soziale Organisation der Gruppe – von der genetischen Verwandtschaft zwischen den Gruppenmitgliedern und der Umweltbeschaffenheit entscheidend beeinflusst wird.

Bei der Verwendung dieser Theorie betrachtet man ein erwachsenes Individuum, das vor der Wahl steht, den elterlichen Bau zu verlassen oder nicht. Wenn die Chancen gut stehen, einen Paarungspartner und eine Nistmöglichkeit zu finden, so sollte es abwandern. Sind jedoch bereits alle erreichbaren Territorien besetzt und alle potentiellen Paarungspartner vergeben, so ist der zu erwartende Fortpflanzungserfolg bei Abwanderung gering und es sollte im elterlichen Nest verbleiben. Selbst wenn es dort von den Eltern an der eigenen Vermehrung gehindert wird, so hat es doch die Möglichkeit, das Nest oder Territorium nach dem Tod der Eltern zu übernehmen und sich dann selbst fortzupflanzen. Dies nennt man die Strategie des „hopeful reproductive“ – „Hoffnung auf Fortpflanzungsmöglichkeit“. Außerdem kann es seinen Eltern bei der Aufzucht von Geschwistern helfen und dadurch deren Anzahl oder Überlebensrate erhöhen. Indirekt profitiert ein Helfer dabei selbst von seiner vermeintlichen Selbstlosigkeit: mit seinen Geschwistern teilt er nämlich abstammungsidentische Kopien der eigenen Gene, und die müssen nach Hamilton bei der Berechnung der Gesamtfitness eines Individuums mitberücksichtigt werden. Einfach gesagt, setzt sich die Gesamtfitness eines Tieres zusammen aus den eigenen Nachkommen, die es ohne fremde Hilfe produzieren konnte, und den Nachkommen seiner Verwandten, die durch seine Hilfe zusätzlich entstanden sind, gewichtet mit dem Verwandtschaftsgrad zwischen dem Individuum und seinen Verwandten. Uneigennützigkeit kann sich dann durchsetzen, wenn die Kosten der Hilfe („cost“, C) kleiner sind als das Produkt aus dem Nutzen der Hilfe („benefit“, B) und dem Verwandtschaftsgrad („relatedness“, r):

C < r \cdot B

Ein Tier, das beispielsweise durch seine Hilfe auf zwei eigene Nachkommen verzichtet (C=2), dafür aber ein Geschwister (Verwandtschaftsgrad zwischen Geschwistern bei diploiden Organismen: r=0,5) fünf zusätzliche Nachkommen (B=5) produzieren kann, hat eine höhere Gesamtfitness als ein Tier, das "egoistisch" nicht hilft. Das heißt, wenn es für ein Individuum eine Möglichkeit gibt, mit der Brutaufzucht seine Gesamtfitness mehr zu erhöhen als mit einem neuen Staat, wird es im elterlichen Nest bleiben, sogar wenn es Nistmöglichkeiten und Partner geben sollte.

Experimente mit Knotenameisen

Zum Überprüfen dieser Theorie hat man die Staaten der Knotenameisen Leptothorax acervorum, Leptothorax muscorum und Leptothorax gredleri, die mit nur wenigen Dutzend Individuen in den Nadelwäldern in Mittel- und Nordeuropa leben, untersucht. Bei den beiden ersten Arten sitzen die Königinnen ohne gegeneinander gerichtete Aggressionen gemeinsam in ihren Hügeln, pflegen sich gegenseitig und tauschen sogar Futter aus. Diese Königinnen legen in etwa gleich viele Eier.

Bei der dritten Art hingegen bekämpfen sich die Königinnen gegenseitig und formen damit eine Hierarchie. Dieses Verhalten kann man im Spätsommer nach der Adoption von Jungköniginnen in den Staat und kurz nach der Überwinterung beobachten. Meistens sind diese Hierarchien linear, das heißt die funktionelle Königin (α-Königin) dominiert die Königinnen ab dem zweiten Rang (β-Königinnen), diese alle ab dem dritten und so weiter bis zu den rangniedrigsten ω-Königinnen, die selbst kein aggressives Verhalten mehr zeigt.

Schlussfolgerungen

Laut der Optimal-Skew-Theorie spielen neben den Umwelteinflüssen auch die genetischen Verwandtschaftgrade der Mitglieder einer Tiergruppe eine große Rolle. Da nach dem Hochzeitsflug meistens Jungköniginnen aus dem eigenen Staat "zurückadoptiert" werden, ist die Verwandtschaft zwischen den Königinnen sehr groß. Das schließt sofort aus, dass der Verwandtschaftsfaktor in dem Fall der Ameisen wesentlich ist.

Also müssen hier die ökologischen Einflüsse entscheidend für die unterschiedliche Reproduktionsstrategie sein. Bei den "Leptothorax"-Arten sind für eine Koloniegründung die Verfügbarkeit eines Nistplatzes zur Entstehung einer Kolonie und die Überwinterungsmöglichkeit die wichtigsten Umweltfaktoren. Laborexperimente haben gezeigt, dass die Überlebensrate bei Tieren, die in Gruppen überwintern höher ist, als die, die dies separat tun. Da die im Sommer begatteten Jungköniginnen der Leptothorax es meistens nicht mehr rechtzeitig schaffen Nachkommen bis zur Geschlechtsreife heranzuziehen, sodass sie dann in einer Gruppe überwintern können, versuchen die Jungköniginnen für den ersten Winter Aufnahme in einen bestehenden Staat zu finden.

Der erste Faktor, die Verfügbarkeit von Nistplätzen, hängt vom jeweiligen Lebensraum der Ameisen ab. Diese winzigen Tiere leben in ausgehöhlten Ästen oder unter kleinen Steinen. Da in großen Nadelwäldern niemals alle Äste belegt sind, gibt es hier keine Schwierigkeit, Nistmöglichkeiten zu finden. Daher wird hier die Abwanderungsrate nur durch die Wintermortalität (Mortalität: Sterberate) beeinflusst. Befindet sich der Staat hingegen auf kleinen, inselartigen Waldflecken, sind recht bald sämtliche Nistplätze belegt. Dort summieren sich die Limitierung der Nistmöglichkeiten und die Kosten der Überwinterung.

Daher macht die Theorie für die Leptothorax-Arten die Aussage, dass die Königinnen der Staaten in großen, homogenen Wäldern die Reproduktion unter sich aufteilen werden, da viele Jungköniginnen auswandern und es damit nur wenig Königinnen gibt und sich daher die Arbeiterinnen um alle Königinnen gleichmäßig kümmern können und so eine Maximierung der Gesamtfitness der Individuen stattfinden kann.

Eine weitere Aussage ist, dass Staaten in kleinen Habitaten Dominanzhierarchien aufweisen, da es nur wenige Nistmöglichkeiten gibt, somit sehr viele Königinnen in einem Staat leben und sich die Arbeiterinnen unmöglich um alle gleichzeitig kümmern können. Daher ist jede Königin gewillt, die fertilste zu sein, da sich alle Arbeiterinnen in erster Linie um diese kümmern und somit die funktionelle Königin die einzige ist, deren Gesamtfitness erhöht wird. Die Theorie der „optimal skew“ geht jedoch davon aus, dass alle Individuen einen Vorteil daraus ziehen, dass die Nachkommen im Nest bleiben. Für die Jungköniginnen ist dieser Vorteil nicht zu verkennen: Sie können, wenn sie genug Durchsetzungsvermögen aufweisen, die Stelle der ranghöchsten Königin einnehmen oder zumindest eine höhere als die ω-Königinnen werden, da es jedes Jahr aufs Neue junge, schwache und unerfahrene Jungköniginnen geben wird, die unterworfen werden können. Dies erhöht immer noch mehr die Fitness als außerhalb erst gar keinen Nistplatz zu finden. Für die alte Königin ist der Vorteil aber nicht sofort ersichtlich. Für sie besteht ja die Gefahr, jedes Mal von dem Rang der funktionellen Königin gestoßen zu werden und damit würde sich ihre Fitness schwächen. Weiterhin ist der Fall, dass es, wenn es neue Königinnen gibt, mehr Arbeiterinnen braucht, auch diese zu versorgen und zu pflegen und damit weniger Arbeiterinnen da sind, die sich um die ranghöchste Königin kümmern können.

Diese Fakten hätten beinahe die Optimal-Skew-Theorie ins Wanken gebracht, hätte man dann nicht zufällig entdeckt, dass wenn die Kämpfe ausgetragen sind, sich alle Königinnen ab dem zweiten Rang an der Pflege der α-Königin beteiligen und somit deren Fitness steigern. Da diese Königinnen meistens auch noch Verwandte der α-Königin sind, steigern sie laut Hamilton dadurch indirekt zusätzlich auch noch ihre eigene Gesamtfitness. Diese steigt bekanntlich, wenn Verwandte mit oder/und durch ihre Hilfe Nachkommen in die Welt setzen können. Aus dem Argument, das zunächst scheinbar gegen die „Theorie der optimalen Verteilung“ sprach, wurde eines, das diese zusätzlich bestärkt.

Tatsächlich findet man die aggressive Leptothorax gredleri nur an Waldrändern oder in kleinen Wäldchen, während sowohl die Leptothorax acervorum als auch die Leptothorax muscorum in großen Waldgebieten leben. Die Optimal-Skew-Theorie kann folglich, zumindest bei Ameisen, für die Voraussage der Abwanderungswahrscheinlichkeiten verwendet werden.

Aber auch bei verschiedenen Säugetier-Rudeln und Vogel-Schwärmen hat sie erfolgreich Anwendung gefunden.


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