Axiologie (Philosophie)

Axiologie (Philosophie)

Die philosophische Axiologie (auch: Wertphilosophie, Timologie, Werttheorie, Wertlehre) ist die allgemeine Lehre von den Werten und ist als philosophisches Gebiet erst im 19. Jahrhundert entstanden. Ihre Vertreter - z. B. Oskar Kraus - finden ihre Fragestellung jedoch bereits in der Güterethik der altgriechischen Philosophen wieder, wenngleich einer der einflussreichsten Vertreter der Wertphilosophie, Max Scheler, seine Theorie im ausdrücklichen Gegensatz zur Güterethik entwickelt hat. Als Begründer der Wertphilosophie gilt den späteren Vertretern der Wertphilosophie Hermann Lotze. In den allgemeinen Sprachgebrauch ist der Wertbegriff durch die Breitenwirkung der intensiven Diskussionen um die Wende des 20. Jahrhunderts sowie durch die Rezeption von Friedrich Nietzsches Werken, in denen der Ausdruck oft vorkommt, eingedrungen. Der Terminus "Axiologie" geht auf Eduard von Hartmann zurück, der den Ausdruck zuerst 1887 in seiner Philosophie des Schönen gebrauchte.

Historisch geht die Wertphilosophie auf die Übernahme des Wertbegriffes der Nationalökonomie zurück; bei Immanuel Kant etwa stellt die Rede vom "absoluten Wert" des guten Willens eine solche metaphorische Übernahme des nationalökonomischen Wertbegriffes dar.[1] Eine bedeutende Rolle spielt der Wertbegriff bereits in der Ethik von Jakob Friedrich Fries, doch war Lotze der Anknüpfungspunkt der späteren Wertphilosophien. Seit den 1890er Jahren ist der Wertbegriff durch die direkte Lotze-Rezeption George Santayanas und anderer auch in den Vereinigten Staaten geläufig und spielte besonders im moralphilosophischen Spätwerk von John Dewey eine große Rolle, so dass sich für den Ausdruck "value" in englischsprachigen Ländern dieselben alltagssprachlichen Verwendungsweisen ergaben wie in deutschsprachigen Gebieten.

Lotze vertritt eine objektive Wertphilosophie und schreibt Werten einen eigenen Modus zu: die Geltung. Subjektive Werttheorien gehen dagegen von dem Werturteil als Grundlage des Wertes aus: Der wertende Mensch stellt zwischen seinem Maßstab (Wertmaßstab) und einem Gegenstand eine Beziehung her, welche den Wert der Sache darstellt.
Beruht der Wertmaßstab auf einem Lustgefühl durch Bedürfnisbefriedigung, dann entsteht eine psychologische Werttheorie. Werden Werten nur relative Bedeutung und Geltung zugestanden, führt dies zum Wertrelativismus als besonderer Form des Relativismus.

Die prominentesten Werttheorien des 19. und 20. Jahrhunderts waren:

  • die Lebensphilosophie von Friedrich Nietzsche, welcher die Weltanschauung als Ergebnis von Wertschätzungen als „physiologische Forderungen zur Erhaltung einer bestimmten Art von Leben“ und Werten definiert. Diese Wertschätzung kommt im Willen zur Macht zum Ausdruck. Deshalb fordert er eine Umwertung aller Werte.
  • die an die frühe Phänomenologie Husserls anschließende Wertphilosophie der Wertphänomologie von Max Scheler und Nicolai Hartmann. Scheler beruft sich auf das Wertgefühl: Das äußert sich im intuitiven Lieben (als Ausdruck des Wertvollen) oder Hassen (als Ausdruck des Wertwidrigen) einer Sache, bevor ihre Bedeutung verstandesmäßig ergründet wurde. Die Werte selbst bilden ein Reich materialer Qualitäten (Scheler), welches unabhängig ist vom Sein.
  • sowie der Neorealismus von Ralph Barton Perry (1876–1957).

Windelband erklärte die Wertephilosophie zur kritischen Wissenschaft von den allgemein gültigen Werten. Darin unterscheide sie sich von den exakten Wissenschaften, welche natürliche Gesetzmäßigkeiten und spezielle Phänomene erforschen und systematisieren. Die Wertephilosophie bilde das eigentliche Zentrum der Philosophie.

Die mathematisch exakte Wertewissenschaft stand im Zentrum des Wirkens von Robert S. Hartman. Durch das von ihm entwickelte Axiom der Wertewissenschaft gelang es unabhängig von unterschiedlichen moralisch-sittlichen Wertvorstellungen eine exakte Wissenschaft der Werte aufzubauen.

Die Werttheorie als umfassender philosophischer Ansatz, wie er bei Lotze, Hartmann und vom südwestdeutschen Neukantianismus ausgebildet worden ist, wurde u. a. von Martin Heidegger scharf kritisiert und wird heute als philosophische Theorie nicht mehr vertreten, wenngleich sie in der Rechtswissenschaft (etwa in der einflussreichen Schule von Rudolf Smend) noch Anhänger hat und wenngleich auch die Analyse des Werturteils durchaus noch ein Spezialthema der analytischen Philosophie darstellt.[2] Manchen Vertretern der Wertphilosophie galt die Wertphilosophie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hingegen als Fundament der übrigen philosophischen Teildisziplinen, da sie den Anspruch erhob, als Grundlage für andere Bereiche wie Logik, Ethik, Erkenntnistheorie, Rechtsphilosophie, Kulturphilosophie, Religionsphilosophie, soziale Philosophie, politische Philosophie, Ökonomie und Ästhetik dienen zu können.

Inhaltsverzeichnis

Begrifflichkeiten

Stehen zwei Werte im Konflikt und lassen sie sich nicht beide realisieren, ohne einen zu gefährden, so spricht die Axiologie von einer Wertantinomie. Der heutige alltags- und nichtphilosophische fachsprachliche (juristische, soziologische, ...) Gebrauch des Wertbegriffs, dem keine philosophisch ausgearbeitete moderne Werttheorie entspricht, hat zu zahlreichen Zusammensetzungen geführt: Die aus widerstreitenden Wertvorstellungen entstehenden Konflikte können in Werteverfall (Elisabeth Noelle-Neumann), Werteverlust (Rupert Lay) oder Wertesynthese (Helmut Klages) resultieren (siehe auch: Wertewandel und Wertvorstellung). Wertblindheit bezeichnet das Fehlen des Gefühls für bestimmte Werte.

Quellen

  • Friederike Wapler: Werte und das Recht. Individualistische und kollektivistische Deutungen des Wertbegriffs im Neukantianismus. Baden-Baden: Nomos, 2008. (= Studien zur Rechtsphilosophie und Rechtstheorie; 48.) ISBN 978-3-8329-3509-2
  • Barbara Merker (Hrsg.): Leben mit Gefühlen. Emotionen, Werte und ihre Kritik. Paderborn: Mentis 2009.
  • Herbert Schnädelbach: Philosophie in Deutschland 1831-1933. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1983. (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 401.) ISBN 3-518-28001-5
  • Folke Werner: Vom Wert der Werte - die Tauglichkeit des Wertbegriffs als Orientierung gebende Kategorie menschlicher Lebensführung. Eine Studie aus evangelischer Perspektive. Münster: Lit, 2002. ISBN 3825855945

Literatur

  • Hermann T. Krobath: Werte. Ein Streifzug durch Philosophie und Wissenschaften. Mit einem Vorwort von Hans Albert. Würzburg: Königshausen und Neumann 2009. ISBN 978-3-8260-4088-7
  • Armin G. Wildfeuer: Art. "Wert", in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 3, hg. v. Petra Kolmer und Armin G. Wildfeuer, Freiburg i. Br. (Verlag Karl Alber) 2011, 2484-2504. ISBN 978-3-495-48222-3.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Axiologie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Folke Werner: Vom Wert der Werte - die Tauglichkeit des Wertbegriffs als Orientierung gebende Kategorie menschlicher Lebensführung. Eine Studie aus evangelischer Perspektive. Münster: Lit, 2002, S. 42.
  2. Mark Schroeder: Value Theory. In: Stanford Encyclopedia of Philosophy.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Axiologie — (auch Timologie), vom griechischen Wort axia (αξια, Wert), bezeichnet: Axiologie (Philosophie), die Lehre von den Werten Axiologie (Sprachforschung), die Bewertung von einzelnen Sprachen Siehe auch:  Wiktionary: Axiologie –… …   Deutsch Wikipedia

  • AXIOLOGIE — Étude ou théorie (en grec: logos ) de ce qui est digne d’estime (en grec: axion ), de ce qui vaut, de ce qui peut être objet d’un jugement de valeur. Pratiquement, axiologie est synonyme de «philosophie des valeurs». Cette philosophie s’est… …   Encyclopédie Universelle

  • Axiologie —   [griechisch axía »Wert«] die, , Philosophie: die Theorie der Werte (Wertphilosophie). * * * Axi|o|lo|gie, die; [zu griech. áxios = würdig, wert u. ↑ logie] (Philos.): Wertlehre …   Universal-Lexikon

  • Axiologie — L’axiologie (du grec : axia ou axios, valeur, qualité) peut définir, soit la science des valeurs morales, soit, en philosophie, à la fois une théorie des valeurs (axios) ou une branche de la philosophie s intéressant au domaine des valeurs.… …   Wikipédia en Français

  • Philosophie de l'action — La philosophie de l’action est une branche de la philosophie qui a pour objet les problèmes relatifs à l action humaine, à sa nature, ses motivations et à l intentionnalité. Elle est sans doute une des branches les plus importantes dans le débat… …   Wikipédia en Français

  • Philosophie morale — La philosophie morale est, au sens strict et contemporain, la branche de la philosophie et plus précisément de la philosophie pratique qui a pour objet les questions éthiques. Il faut la distinguer de l éthique qui n est pas une discipline… …   Wikipédia en Français

  • Philosophie pratique — La philosophie pratique est la branche de la philosophie qui a pour objet les actions et activités des hommes. Elle inclut classiquement la philosophie morale, la philosophie politique ; et depuis Kant, la philosophie du droit. Sommaire 1… …   Wikipédia en Français

  • VALEURS (philosophie) — Pour mesurer à quelle distance, et selon quelles limites consenties, les articles qui suivent se situent par rapport à l’approche traditionnelle des valeurs, notamment en France, il suffit d’évoquer le point de vue axiologique de Louis Lavelle.… …   Encyclopédie Universelle

  • SCIENCES - Science et philosophie — La science et la philosophie furent longtemps inséparables. Dans l’Antiquité, la philosophie représentait la science suprême, celle «des premiers principes et des premières causes». Les autres sciences, et notamment la physique, recevaient d’elle …   Encyclopédie Universelle

  • Perfectionnisme (philosophie) —  À ne pas confondre avec Perfectionnisme (psychologie). Le perfectionnisme, au sens philosophique, désigne une théorie morale et politique, d ordre conséquentialiste, cherchant à obtenir la plus grande perfection possible, ou l excellence,… …   Wikipédia en Français

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”