Paul Gerber

Paul Gerber

Paul Gerber (* 1854; † 1909) war ein deutscher Physiker. Gerber studierte von 1872 bis 1875 in Berlin. 1877 wurde er Lehrer am Realgymnasium in Stargard in Pommern. Bekannt wurde er vor allem durch seine kontrovers diskutierte Arbeit zur Geschwindigkeit der Gravitation und der Periheldrehung des Merkur (1898).

Inhaltsverzeichnis

Gravitation

Grundlagen

Basierend auf den elektrodynamischen Grundgesetzen von Wilhelm Eduard Weber, Carl Friedrich Gauß, Bernhard Riemann, wurden zwischen 1890 und 1900 einige Versuche gemacht, die Gravitation mit einer endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit zu kombinieren und dabei die beobachtete Perihel-Verschiebung des Merkur zu bestimmen.[B 1][B 2] Maurice Lévy gelang es 1890 schließlich, durch Kombination des weberschen und riemannschen Grundgesetzes die korrekte Periheldrehung abzuleiten.[A 1] Da sich diese zugrunde gelegten Gesetze jedoch mit der Zeit als unbrauchbar erwiesen (z.b. wurde die webersche durch die maxwellsche Elektrodynamik abgelöst), wurden diese Hypothesen nicht mehr weiterverfolgt.

Eine Variation dieser aus heutiger Sicht überholten Bemühungen (ohne jedoch direkt auf der weberschen Elektrodynamik zu beruhen) stellte Gerbers 1898 und 1902 aufgestellte Theorie dar.[A 2] Unter der Annahme, dass sich das Gravitationspotential mit einer endlichen Geschwindigkeit ausbreitet, gelangte er zu folgendem Ausdruck für das Potential:

V=\frac {\mu} {r \left(1- \frac {1} {c} \frac {dr} {dt} \right)^2}

Mit Hilfe des binomischen Satzes bis zur zweiten Potenz folgt:

V=\frac {\mu} {r} \left[1+\frac {2} {c} \frac {dr} {dt} + \frac {3} {c^2} \left(\frac {dr} {dt} \right)^2 \right]

Nach Gerber ist das Verhältnis zwischen der Geschwindigkeit der Gravitation (c) und der Perihelverschiebung (Ψ):

c^2=\frac {6\pi\mu} {a(1-\epsilon^2)\Psi}

wo

\mu=\frac {4\pi^2a^3} {\tau^2}, und ε=Exzentrizität, a=Große Halbachse, τ=Umlaufzeit.

Daraus errechnete Gerber eine Ausbreitungsgeschwindigkeit des Potentials von ca. 305 000 km/s, also praktisch Lichtgeschwindigkeit.[B 3][B 4]

Kontroverse

Gerbers obige Formel ergibt nun für die Perihelverschiebung:

\Psi=24\pi^3\frac {a^2} {\tau^2 c^2(1-\epsilon^2)}

1916 bemerkte der Einstein- und Relativitätsgegner Ernst Gehrcke,[A 3] dass dieser Ausdruck formal identisch mit Albert Einsteins 1915 veröffentlichter Formel für die Allgemeine Relativitätstheorie ist.[A 4]

\epsilon=24\pi^3\frac {a^2} {T^2c^2(1-e^2)}, wo e=Exzentrizität, a=Große Halbachse, T=Umlaufzeit.

Gehrcke ließ deswegen Gerbers Arbeit von 1902 in den Annalen der Physik (1917) neu abdrucken, mit der Absicht, die Priorität Einsteins zu untergraben und auf einen möglichen Plagiat hinzuweisen.[A 5] Nach Roseveare[B 5] und Albrecht Fölsing[B 6] wurden diese Behauptungen sofort zurückgewiesen, da bereits kurz nach dem Neuabdruck von Gerbers Arbeit Gegendarstellungen erschienen, wonach trotz der richtigen Formel die Theorie Gerbers unbrauchbar war. Zum Beispiel nach Hugo von Seeliger[A 6] und Max von Laue[A 7] sind Gerbers Ergebnisse nicht mit den Voraussetzungen seiner eigenen Theorie in Übereinstimmung zu bringen beziehungsweise gar nur „mathematische Fehler“. Und Einstein schrieb (in dieser teils polemisch geführten Debatte) 1920:[A 8]

„Herr Gehrcke will glauben machen, daß die Perihelbewegung des Merkur auch ohne Relativitätstheorie zu erklären sei. Es gibt da zwei Möglichkeiten. Entweder man erfindet besondere interplanetare Massen. [...] Oder aber man beruft sich auf eine Arbeit von Gerber, der die richtige Formel für die Perihelbewegung des Merkur bereits vor mir angegeben hat. Aber die Fachleute sind nicht nur darüber einig, daß Gerbers Ableitung durch und durch unrichtig ist, sondern die Formel ist als Konsequenz der von Gerber an die Spitze gestellten Annahmen überhaupt nicht zu gewinnen. Herrn Gerbers Arbeit ist daher völlig wertlos, ein mißglückter und irreparabler theoretischer Versuch. Ich konstatiere, daß die allgemeine Relativitätstheorie die erste wirkliche Erklärung für die Perihelbewegung des Merkur geliefert hat. Ich habe die Gerbersche Arbeit ursprünglich schon deshalb nicht erwähnt, weil ich sie nicht kannte, als ich meine Arbeit über die Perihelbewegung des Merkur schrieb; ich hätte aber auch keinen Anlaß gehabt, sie zu erwähnen, wenn ich von ihr Kenntnis gehabt hätte.“

In der jüngeren Vergangenheit beschäftigte sich auch Roseveare mit dieser Theorie, und bezeichnete Gerbers Herleitung als „unklar“, jedoch glaubte er selbst, eine stimmige Herleitung des Gerberschen Potentials gegeben zu haben[B 5], wobei deren Richtigkeit allerdings bestritten wird.[web 1] Doch auch Roseveare verwirft Gerbers Theorie und weist insbesondere darauf hin, dass nach Gerber ein um den Faktor 3/2 zu hoher Wert für die Ablenkung des Lichtes im Gravitationsfeld folgt. Auch die Periheldrehung ergibt einen falschen Wert, wenn die relativistische Masse berücksichtigt wird.

Quellen

 Wikisource: Paul Gerber – Quellen und Volltexte

Primärquellen

Sekundärquellen

  • Fölsing, A.: Albert Einstein. Eine Biographie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993
  • Oppenheim, S.: Kritik des newtonschen Gravitationsgesetzes. In: Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften mit Einschluss ihrer Anwendungen. 6.2.2, 1920, S. 80–158.
  • Roseveare, N. T: Mercury's perihelion from Leverrier to Einstein. Oxford: University Press 1982
  • Zenneck, J.: Gravitation. In: Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften mit Einschluss ihrer Anwendungen. 5.1, 1901, S. 25–67.
Einzelnachweise zu Primärquellen Einzelnachweise zu Sekundärquellen
  1. Levy 1890
  2. Gerber 1898, 1902
  3. Gehrcke (1916)
  4. Einstein (1915) und (1916), 822
  5. Gerber 1917
  6. Seeliger (1917)
  7. Laue (1917, 1920)
  8. Einstein 1920
  1. Zenneck 1901, 46ff
  2. Oppenheim 1920, 153ff
  3. Zenneck 1901, 49ff
  4. Oppenheim 1920, 156f
  5. a b Roseveare 1982, Kap. 6
  6. Fölsing 1993, Kap. 5

Weblinks

  1. MathPages: Gerber's Gravity, Gerber’s Light Deflection

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