- Pfaffenspiegel
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„Der Pfaffenspiegel – Historische Denkmale des christlichen Fanatismus“ (1845) ist ein kirchenkritisches Buch des ostpreußischen Autors Otto von Corvin (1812–1886). Das „gepfeffert polemische Werk“[1] beinhaltet eine oberflächliche Geschichtsklitterung, die von den Nationalsozialisten zu Hetzaktionen gegen die Kirchen genutzt wurde.[2]
Inhaltsverzeichnis
Entstehung
Das Werk erschien erstmals 1845 bei der Gebauer’schen Buchhandlung zu Leipzig und ist seit 1868 unter dem Namen Pfaffenspiegel bekannt. Es versteht sich als Abrechnung mit dem Kirchenstaat bzw. der geistigen Obrigkeit, es stellt laut Autorenintention kein „kulturgeschichtliches Werk“, vielmehr einen Bericht über die Zustände und historische Entwicklung der „göttlichen Perversion“ dar.
- 1. Auflage 1845
- 2. Auflage 1868
- 3. Auflage 1869
- 4. Auflage 1870
- 5. Auflage 1885
Wirkung
Die unverblümt dargestellte Kritik stieß neben heftiger Anfeindung aus Kirchenkreisen auf bedeutendes Interesse. So konnte bereits 1860 eine Gesamtauflage von 1,6 Millionen Exemplaren verzeichnet werden. Einige Textstellen mussten gemäß einem Urteil vom 28. März 1927 aufgrund eines Verstoßes gegen §166 StGB – „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ – gestrichen werden. Während der Herrschaft des Nationalsozialismus wurde das Buch von der NSDAP zu Hetzkampagnen gegen die katholische Kirche benutzt und seine Verbreitung gefördert.[3] Gegen die Verbreitung des Pfaffenspiegels durch die Nationalsozialisten wehrten sich Kirchenvertreter unter anderem mit der Behauptung, Corvin sei Halbjude gewesen.[4] Der Bischof Clemens August Graf von Galen verfasste 1937 eine Gegenschrift unter dem Titel Der zerbrochene Pfaffenspiegel.
Im wissenschaftlich historischen Kontext wird Corvins Stoffsammlung als wertlos erachtet.[5]
Gliederung und Inhalt
Wie die Pfaffen entstanden sind
Historischer Abriss der Entwicklung des Christentums und deren religiöser Führer von den Zeiten der Verfolgung im Römischen Reich bis in die Hochzeit der christlichen Macht, wobei der Kontext auf den zunehmenden Werteverfall und eine „kuriose“ Logik der kirchlichen Vertreter in Bezug auf die Legitimation ihrer Machtverhältnisse gelegt wird. Laut Corvin dekliniere sich die Würde der Oberen im gleichen Verhältnis wie die Zeit der Machtausübung. Als äußerst provokant und unpassend wurde vom Kirchenapparat Corvins Polemik verurteilt, Jesus wäre „Revolutionär, der auch in unserer Zeit, wenn nicht gekreuzigt, doch standrechtlich erschossen oder ins Zuchthaus gesperrt werden würde“.
Die lieben guten Heiligen
Das Thema des vorigen Kapitels wird hier wieder aufgegriffen, der Blickpunkt liegt aber mehr auf dem christlichen Fanatismus, der von Selbstkasteiung bis hin zu ethnischer Verfolgung und Folter reichte. Oftmals (und nicht ohne Ironie erwähnt) wurden die schlimmsten Barbaren und Geisteskranke von den Gläubigen als „Heilige“ verehrt. Getragen wird dieses Kapitel durch die Beschreibung von christlichen Fanatismus im vorderasiatischen Raum, der größtenteils gegen den eigenen Körper gerichtet ist, und bis hin zur völligen Zersetzung getrieben wird. Die Ausführungen dieser Schizophrenie ziehen sich durch mehrere Jahrhunderte, und finden Ausübung in allen sozialen Ständen.
Die heilige Trödelbude
ist eine kritische Betrachtung der kirchlichen Vertreter und deren Methoden. Die Sentenz dieses Kapitels zeigt, dass vor allem die Leichtgläubigkeit der Kirchgänger ausgenutzt wurde, „denn es ist keiner arm genug, um nicht der Kirche auch noch seine Tränen zu spenden“. Corvin stellt die immer straffere Organisation der Kontrollmechanismen und Intrigen-Apparate dar, welche bei genauerer Analyse eher finanziellen Zwecken als humanitären und religiösen dienten. Im Brennpunkt der Erläuterung steht vor allem der Ablasshandel, durch welchen sich Gläubige durch Geldzahlungen von jeglichen Sünden, auch von noch zu begehenden, befreien konnten, was jedoch nicht den historischen Tatsachen entspricht, da sich ein Ablass schon immer nur auf die zeitliche Strafe für bereits vergebene Sünden bezieht aber niemals aber auf die Vergebung der Sünden selbst oder die Befreiung von ihr (Codex Iuris Canonici, Canon 992).
Die Statthalterei Gottes zu Rom
Die hier aufgeführten Verbrechen der Kirchenoberhäupter reichen von Mord, Zuhälterei, Pädophilie bis hin zu Sodomie. Corvin stellt ausführlich dar, wie das Papsttum historisch gewachsen einen höheren Stand als die weltlichen Herrscher erreichte, so dass z. B. „Heinrich der IV. im Schlosshof von Canossa in Eiseskälte vor seinen Papst zu Kreuze kriechen musste“.
Sodom und Gomorrha
Anhand der eigens propagandierten und durchgeführten Ächtung sämtlicher Perversionen seitens der christlichen Kirche klärt der Autor über die eigentlichen moralischen Zustände und Begebenheiten innerhalb der Diözesen auf, und verweist mehrfach auf die kapitalistische Kreativität der Gottesdiener.
Die Möncherei
Dieser Teil befasst sich eingehend mit den Zuständen in Klöstern und Abteien. Zwischenmenschliche Beziehungen und Lehrmethoden gegenüber schutzbefohlenen Kindern, welche die Klöster als Bildungsanstalt besuchten, werden ebenso beleuchtet, wie die eigentliche Einhaltung der angewiesenen Ordnung. In vielen Anekdoten wird die moralische und sexuelle Verkommenheit der Mönche und Nonnen dargelegt und auch hier auf den Zölibat bezogen.
Der Beichtstuhl
(fehlt z.B. in Stephenson-Ausgabe v. 1979)
Als Abschluss wählte Corvin eine Erläuterung der Ohrenbeichte und deren interpretatorischen Spielraum sowie Ausführungen über Selbstgeißelung als Bestrafung. Am Ende stehen Erzählungen über sexuellen Missbrauch durch den Beichtvater, etwa die Affäre um den Jesuiten Jean-Baptiste Girard.
Weblinks
- Pfaffenspiegel. Online-Text, Project Gutenberg.
- Herbert Schwenk: Der Verfasser des „Pfaffenspiegels“
- Pfaffenspiegel online; zensierte Darstellung
Einzelnachweise
- ↑ Fränkel, Ludwig: Corvin, Otto. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 47, Duncker & Humblot, Leipzig 1903, S. 531–538.
- ↑ Wilmont Haacke: Corvin-Wiersbitzki, Otto Julius Bernhard von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 3, Duncker & Humblot, Berlin 1957, S. 370 (Onlinefassung).
- ↑ Till Kössler: Zwischen Milieu und Markt. Die populäre Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung 1890–1933; in: Wolfgang Hardtwig, Erhard Schütz (Hrsg.): Geschichte für Leser. Populäre Geschichtsschreibung in Deutschland im 20. Jahrhundert; Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2005; S. 277
- ↑ Guenter Lewy: Mit festem Schritt ins Neue Reich. Die Katholische Kirche zwischen Kreuz und Hakenkreuz, Teil 5; in: Der Spiegel vom 24. März 1965.
- ↑ Siehe zum Beispiel Friedrich Wilhelm Bautz: CORVIN-WIERSBITZKI, Otto von. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 1, Hamm 1975, Sp. 1137–1138.
Kategorien:- Literarisches Werk
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