48 Stunden Neukölln

48 Stunden Neukölln
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48 Stunden Neukölln ist ein jährlich im Berliner Bezirk Neukölln stattfindendes Kultur- und Kunstfestival, mittlerweile das größte der Stadt.[1] 2009 wurden an über 270 Spielorten innerhalb des Bezirks mehr als 550 Einzelveranstaltungen realisiert.[2]

Das Festival wird vom Verein Kulturnetzwerk Neukölln in enger Kooperation mit dem Kulturamt Neukölln ausgetragen. Seit 1999 werden jeweils an einem Wochenende die künstlerischen und kulturellen Aktivitäten im Bezirk zu einer Präsentation gebündelt. Alle Organisationen, Initiativen, Künstler und Kulturschaffende des Bezirks sind aufgerufen, sich am Festival zu beteiligen. Dieses zeichnet sich durch die Nähe zwischen Künstlern und Publikum aus, sowie durch die Vielzahl an Projekten, die sowohl die Anwohner als auch die Festivalbesucher zur Partizipation einladen. Rund 60.000 Besucher nutzen ein kulturelles Angebot, das sämtliche künstlerische Genres wie Performance, Malerei, Fotografie, Intervention, Installationen, Tanz, Theater und Musik einschließt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Am 16. Juni 1999 wurde das Festival mit 25 Spielorten mit 100 Veranstaltungen erstmalig eröffnet. Es ging aus einer Idee des Kulturnetzwerks Neukölln hervor, das sich 1995 als Reaktion auf massive Mittelkürzungen für Kultur formiert hatte. Es versteht sich als ein in Vereinsrecht gegossenes Prinzip der Solidarität, das sich auch im Konzept und Organisation des Festivals widerspiegelt.

Das Festival war ursprünglich als einwöchige Leistungsschau der Neuköllner Kultur- und Kunstszene angedacht, wurde aber 1999 auf die namensgebenden 48 Stunden begrenzt. Es verstand sich in den Anfängen als Gegenpol der medialen Vermittlung des Bezirks als sozial deklassierter, vernachlässigter, gewaltbestimmter Slum und wollte die Akteure des Bezirks in einen intensiven Austausch bringen. Anfangs diente ein Straßenfest auf der Karl-Marx-Straße bzw. der Richardstraße als Rahmen und das Festival war vorwiegend im soziokulturellen Umfeld angesiedelt.

Um den kulturellen Charakter des Festivals stärker zur Geltung zu bringen, wurde 2004 die Trennung vom Straßenfest beschlossen. Aus dieser Trennung ergab sich eine stärkere Betonung der dezentralen Verteilung der Veranstaltungsorte, sowie eine Verlagerung auf den Bereich der bildenden Künste.

Im Laufe der Jahre stiegen die Beteiligungszahlen von Künstlern, sowie die Zahl der Spielorte enorm an. Begann alles 1999 mit 25 Orten, nahmen zum fünfjährigen Bestehen des Festivals im Jahr 2004 bereits 64 Veranstalter teil. Zum zehnten Jubiläum im Jahr 2008 nahmen zuletzt 165 Orte in Nord-Neukölln mit 350 Veranstaltungen und über 1000 beteiligten Künstlerinnen und Künstlern offiziell am Festival teil.

Konzept

Installation von Marco Canevacci

Das Konzept des Festivals ist alte und neue Orte im privaten wie im öffentlichen Raum für künstlerische Arbeiten zu gewinnen, zu öffnen und zu entdecken.

Wer sich in Neukölln engagieren will und die Organisation einer kulturellen Veranstaltung zum vorherbestimmten Termin realisiert, ist automatisch Teilnehmer des Festivals. Zudem fungieren die 48 Stunden Neukölln weiterhin als Schnittstelle zwischen künstlerischen und sozialkulturellen Projekten.

Das Spektrum umfasst dabei nicht nur kuratierte Hochkultur, sondern auch Outsider-Art und Amateurkunst. Dazu werden Künstlerateliers und -räume für das Publikum geöffnet, partizipatorische Projekte und Installationen im öffentlichen Raum initiiert, andere urbane Räume für das künstlerische Wirken erschlossen (Hinterhöfe, Keller, Treppenaufgänge, Gärten, Privatwohnungen, Kirchen). Das Festival beruht damit auf einer „subkulturellen“ Sonderstellung, die auf der elementaren Eigeninitiative der Künstler als auch der Besucher fußt.

Die Festivalleitung verzichtet dabei bewusst auf eine Jury, die eine Entscheidung über gute bzw. (zu) schlechte Kunst träfe. Dadurch werden Räume und eine Atmosphäre geschaffen in der kreative Prozesse und experimentelle Diskurse ohne Vorbehalte möglich sind.

Seit 2001 wird das breite, von Eigenengagement bestimmte Angebot selbstkuratierter Veranstaltungen immer wieder durch konzipierte Reihen ergänzt. Zu diesem Ziel wurden Highlight-Reihen ins Leben gerufen, die das Ziel verfolgen, punktuell Qualität zu sichern, neue Künstler nach Neukölln zu holen und zugleich die Ausrichtung und Profile zu schärfen. So lag der Fokus im Jahr 2008 auf Glücksmomenten und Utopien. 2009 waren es unter dem Motto Humus Neukölln die Reihen Neukölln Grün, NATurBAN, Kunst an der Karl-Marx-Straße und Sakrale zu sehen. Im Jahr 2010 steht das Festival unter dem Motto Komplex650 – Neukölln erinnert sich!

Zudem wurden im Jahr 2005 sogenannte „Kunstfilialen“ eröffnet, in denen Künstler und Aktivitäten in einzelnen Kiezen zusammengeführt und in Einklang gebracht werden. Es bildeten sich sechs Kunstfilialen aus (Schiller-, Flughafen-, Körner- und Reuterkiez, sowie Richardplatz und Passage). Diese Neu-Organisation verhalf zu einer nachhaltigen Verbesserung der kulturellen Infrastruktur, da der Netzwerkgedanke weiter gestärkt wurde. Die Kunstfilialen dienen dabei als wichtige Schnittstelle zwischen den Künstlern selbst und gewährleisten, dass sich die in Clustern angesiedelten Mitveranstalter untereinander kennenlernen und dauerhafte Netzwerke bilden können. Sie vernetzen die Akteure im Kiez und sind für die Redaktion und Gestaltung der Kunstfilial-Flugblätter zuständig, die die einzelnen Quartiere erschließen. Zudem gewährleisten sie, die kulturelle Struktur der einzelnen Kieze stärker herauszuarbeiten, als es vorher möglich war.

Bedeutung

Der Bezirk Neukölln hat ein überwiegend negatives Außenimage und wird immer wieder als inzwischen prominentes Beispiel für ein ganzes Bündel sozialer Problemsituationen genannt. Dieses Image wird genährt von Negativ-Schlagzeilen, die sich auf Ereignisse in manchen Teilen von vor allem Neukölln-Nord beziehen (siehe auch z. B. Rütli-Schule, Film Knallhart, etc.). Schlagzeilen wie „Endstation Neukölln“ (1997) oder „Neukölln. Karte der Angst“ (2008) tun ein Übriges, um ein Bild der kulturellen Verwüstung entstehen zu lassen.

Eine Leistung des Festivals ist es vorhandene Ängste und Vorurteile zu relativieren bzw. abzubauen. Das Festival hat sich als Anlass erwiesen, sich in dem weitgehend unbekannten, eher furchterregenden Nord-Neukölln auf Entdeckungsreise zu begeben und völlig neue Stadtregionen kennenzulernen.

Windspiel an der Passage von Jac und Meylenstein

Aus der Konfrontation von zeitgenössischer Kunst und gesellschaftlicher Realität, die geprägt ist von hoher Arbeitslosigkeit, schlechter Bildung, einer große Zahl jugendlicher Schulabbrecher, sowie der sozialen Verwahrlosung ganzer Straßenzüge, ergeben sich immer wieder neue Ansätze und Synergien, sowie nachhaltige Strategien für die Entwicklung einer Stadtteilkultur. Es fördert die Akzeptanz von Vielfalt und Differenz. Und ein Wandel ist zu bemerken. Einzelne Bereiche des Stadtgebietes sind inzwischen berlinweit als attraktive Szenekieze anerkannt, so der Reuterkiez („Kreuzkölln“) und die Region um die Weserstraße. Zugleich mit der neu erwachten Attraktivität sind allerdings bereits Ansätze einer Gentrifizierung zu konstatieren.

Die '48 Stunden Neukölln' ermöglichen als Kontaktzone die Begegnung von unterschiedlichen sozialen und ethnischen Besonderheiten. In Anerkennung dieser Leistungen und Perspektiven erhielt das Kulturnetzwerk Neukölln für sein Projekt 48 Stunden Neukölln 2008 den Kulturpreis des in Bonn ansässigen Vereins Kulturpolitische Gesellschaft e.V. In der Begründung der Jury heißt es:

48 Stunden Neukölln leistet im wahrsten Sinne des Wortes Entwicklungshilfe: für den Stadtteil und seine Menschen, für die beteiligten Künstler und nicht zuletzt für die Kunst und Kultur, die sich immer wieder als innovativste Kraft des Stadtteils erwiesen. […] Das Konzept, einen ganzen Stadtteil über 48 Stunden lang mit Kunst und Kultur zum Leben zu bringen und dabei seine kreativen Entwicklungspotenziale aufzudecken, ist einzigartig und überzeugend. Doch nicht nur das Festival ist preiswürdig, ebenso lobenswert ist die Organisation und Umsetzung der Arbeit vor Ort, die auf ein breites Netzwerk der im Kiez verankerten Künstlerinnen und Künstler setzt. Hier inszeniert sich ein Stadtteil selbst und zeigt damit, dass Kunst und Kultur nicht nur symbolisch zum Motor der Stadtentwicklung werden können.[3]

Im Herbst 2009 wurde das Festival beim Kulturmarken-Award der Agentur Causales zur Trendmarke des Jahres 2009 im deutschsprachigen Raum gekürt, da das Festival „dem schlechten Image des Bezirks mit Kreativität und Eigeninitiative begegne und zur Teilhabe am kulturellen Austausch zwischen den unterschiedlichen Ethnien einlade“.[4]

Durch das Festival kann sich der Bezirk als multikulturelle, vielseitige und tolerante Heimat einer blühenden Kunst- und Kulturszene präsentieren. Die Kultur in Neukölln und ihre 48-Stunden-Blüte wächst nicht auf Wohlstandboden, sondern auf Armut, Brüchigkeit und Konflikten. Auf diesem Nährboden wächst langsam ein immer mehr beachtetes Kreativzentrum in Berlin heran, das sich im Festival in allen Farben und Formen präsentiert.

Motto und Schwerpunktarbeit

Der sich langsam abzeichnende Wandel vom sozialen Brennpunkt hin zu einem florierenden Ort für Kunst und Kultur ist in vollem Gange. So lag 2009 der Fokus auf Humus Neukölln, da der Bezirk für die Anzucht experimenteller und partizipatorischer Kunst nach Ansicht der Veranstalter beste Bedingungen bietet. 2010 steht das Festival unter dem Motto Komplex650. Anlässlich des 650-jährigen Jubiläums der Ersterwähnung Rixdorfs legt das Festival seinen Schwerpunkt auf die Geschichts- und Erinnerungskultur und den Umgang mit dem kulturellen Erbe in Neukölln.

Kritik

Anlass zu beständiger Kritik bleibt der Umstand, dass die sozialen Problemmilieus nicht eingebunden sind. In den Sachberichten der Senatsverwaltung sind keine erkennbaren Erfolge von Initiativen zu ersehen, die in den Jahren 2004-2008 versucht haben, Migrantengruppen oder sozial schwache Bewohner für die Idee der Kulturtage zu begeistern. Vielmehr besteht die Gefahr, dass Gentrifizierungstendenzen sogar noch verstärkt werden, wenn eine bessere Einbindung anderer Milieus nicht gelingt. Im Jahr 2009 entflammte eine Diskussion um die Müllbeseitigung im Anschluss an die Kulturtage, die daraufhin für den Zeitraum bis 2012 aus einem Sonderetat der Bezirksverwaltung übernommen wurde, bis eine neue Verordnung in Kraft gesetzt werden kann.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Neukölln blüht auf! 48 Stunden Neukölln sucht KünstlerInnen und Ausstellungsorte auf www.neukoelln-online.de
  2. 48 Stunden Neukölln - Berliner Morgenpost vom 27. Juni 2009
  3. Kulturpreis an 48 Stunden Neukölln - Kulturpolitische Gesellschaft zeichnet Berliner Kiez-Festival aus
  4. Trendmarke des Jahres 2009 – Kulturmarken-Award 2009

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