Protagoras

Protagoras

Protagoras, gr. Πρωταγόρας, aus Abdera in Thrakien (* 490; † 411 v. Chr.) war ein vorsokratischer Philosoph der griechischen Antike und zählt zu den bedeutendsten Sophisten. Er verbrachte den Großteil seines Lebens in Athen, fiel später wegen seiner Lehren bei der Volksversammlung in Ungnade und wurde verbannt. Auf der Flucht nach Sizilien ertrank Protagoras, seine Schriften wurden vernichtet.

Inhaltsverzeichnis

Lehre

Protagoras lehrte, dass der Mensch zwar von Natur aus danach strebe, eine Religion auszuüben und einer staatlichen Gemeinschaft anzugehören, aber deren Gestaltung ihm selbst überlassen sei. Für Protagoras gab es keine ewigen oder objektiven und allgemein verbindlichen Wahrheiten, sondern nur eine subjektive Sicht auf die Dinge. "Die Dinge sind für mich so, wie sie mir erscheinen, und für Dich so, wie sie Dir erscheinen", zitierte ihn Sokrates in Platons Dialog Theaitetos (über die Frage, was Erkenntnis/Wissen sei).[1] "Ebenso auch in bürgerlichen Dingen; das Schöne und Schlechte, das Gerechte und Ungerechte, das Fromme und Unfromme, was in diesen Dingen ein Staat für Meinung faßt und dann feststellt, als gesetzmäßig, das ist es nun auch für jeden." [2]

Dies fasste er laut Platon in dem berühmten Satz zusammen: Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der Seienden, wie sie sind, und der Nichtseienden, wie sie nicht sind (ἄνθρωπος μέτρον, lat. homo mensura, meist als "Homo-Mensura-Satz" zitiert).[3] Neurobiologisch konnte gezeigt werden, dass dabei der menschliche (eigene) Körper tatsächlich die Wahrnehmung der Umwelt bestimmt: fühlt man sich in einem großen Körper (4 m lang), so wird die Welt automatisch kleiner gesehen; fühlt man sich jedoch in einem kleinen Körper ("Barbie", 40 cm lang), so wird die Welt als viel grösser wahrgenommen, obwohl der retinale Input derselbe ist.[4]

Dieser Satz wurde von seinen zeitgenössischen religiösen Widersachern als Ausdruck eines extremen Relativismus gedeutet.

Seine zahlreichen von antiken Autoren erwähnten Schriften sind heute verloren. Unser Wissen über Protagoras' Lehre beruht daher nur auf Berichten anderer antiker Quellen. Einer dieser Berichte stammt von Sextus Empiricus, welcher den Homo-mensura-Satz folgendermaßen erläutert (ob diese Erläuterung von Protagoras selbst stammt, ist umstritten, dennoch gibt sie wichtige Hinweise zur Interpretation des Satzes): Protagoras meine, dass sich "die Begriffe (logoi) von allen Erscheinungen in der Materie fänden, so dass die Materie als solche alles sein könne, was sie allen scheine. Die Menschen indes erfassten bald dieses, bald jenes, entsprechend ihren verschiedenen Zuständen." Laut Sextus' Bericht ist Protagoras zwar ein Vertreter des Subjektivismus und Relativismus, doch der Einfluss des Eleatismus, der eine objektive Wahrheit annimmt, ist deutlich, da die Spanne aller Erscheinungsmöglichkeiten eines Objektes in diesem selbst (d.h. in dessen Materie) angelegt ist. Der Mensch nimmt (wie durch einen Filter) aber nur eine Erscheinungsmöglichkeit wahr. So ist der gleiche Wind für den einen kalt, für den anderen warm. Wärme und Kälte liegen aber im Wind begründet, nicht im Menschen.

Protagoras ist einer der ersten prominenten Vertreter des Sensualismus bzw. des Agnostizismus. In seiner um 415 v. Chr. geschriebenen Abhandlung Über die Götter schreibt er: Was die Götter angeht, so ist es mir unmöglich, zu wissen, ob sie existieren oder nicht, noch, was ihre Gestalt sei. Die Kräfte, die mich hindern, es zu wissen, sind zahlreich, und auch die Frage ist verworren und das menschliche Leben kurz.[5]

Rezeption

Aufgrund seines Bekenntnisses, nichts über die Götter wissen zu können, ist es Protagoras auch unmöglich, irgendwelche göttlichen Maße oder Bewertungen göttlichen Ursprungs anzugeben. Darum ist sein Homo-mensura-Satz der Ausdruck menschlicher Bescheidenheit, als Mensch nicht über göttliche Maßstäbe verfügen zu können, sondern ausschließlich über menschliche. Protagoras wurde seine Bescheidenheit von der Antike an bis heute als Überheblichkeit ausgelegt, allerdings von solchen Denkern, die der Ansicht waren, dass ihnen sicheres Wissen zugänglich sei. Dies gilt für Platon und Aristoteles ebenso wie für ungezählte christliche Theologen.[6]

Platon erwähnt ihn im „Theaitetos“ (152a) und widmet ihm den Dialog Protagoras, in dem er im Gespräch mit Sokrates einen Schöpfungsmythos der Menschheit formuliert, der als mythische Einkleidung einer Demokratietheorie verstanden werden kann.

Gewürdigt wurden an Protagoras seine Tätigkeit als Lehrer im Interesse des Gemeinwesens, sein gründliches Nachdenken über den Menschen und seine Begründung eines mythenfreien Philosophierens.[7]

Siehe auch

Literatur

Weblinks

 Wikiquote: Protagoras – Zitate

Einzelnachweise

  1. Platon, Theaitetos, 152a 7 f.
  2. Platon, Theaitetos, 172a 2 f.
  3. Platon, Theaitetos, 152a 2 f. (Schleiermacher übersetzte statt "wie" "dass", was jedoch nicht der weitergefassten Bedeutung des griechischen Wortes entspricht. Entsprechende Korrektur in Platon, Werke, Bd. 1-8, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Sonderausgabe 1990, Bd. 6, S. 30)
  4. Van der Hoort et al, 2011, Being Barbie: The Size of One’s Own Body Determines the Perceived Size of the World, http://www.plosone.org/article/info:doi/10.1371/journal.pone.0020195
  5. Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie. Hamburg (rowohlt tb)1990.
  6. Wolfgang Deppert: Relativität und Sicherheit, in: Michael Rahnfeld (Hrsg.): Gibt es sicheres Wissen?, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2006, ISBN 3-86583-128-1, S. 90-188.
  7. Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. Frankfurt am Main 1974.

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