- Proviantbachquartier
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Das Proviantbachquartier ist eine ehemalige Arbeitersiedlung der Mechanische Baumwollspinnerei und Weberei Augsburg (kurz SWA) im Augsburger Textilviertel. Die 21 dreigeschossigen Blankziegelbauten mit mehr als 300 Wohnungen[1] entstanden von 1892 bis 1909 entlang der im spitzen Winkel auf das zugehörigen „Werk III: Proviantbach (sog. Fabrikschloss)“ zulaufenden Straßen Proviantbachstraße und Otto-Lindenmeyer-Straße. 1910 wurde in unmittelbarer Nähe zum Quartier das „Werk IV: Aumühle (sog. Glaspalast)“ errichtet.
Das seit 1986 unter Ensembleschutz gestellte Quartier umfasst im Einzelnen folgende Häuser: Proviantbachstraße 10,12,14-24,25-39 (ungerade Nummern), Otto-Lindenmeyer-Straße 34,36,38,40,67,69.[2]
Inhaltsverzeichnis
Entstehung
Die Mechanische Baumwollspinnerei und Weberei Augsburg reagierte mit dem Bau der Arbeiterwohnungen auf die im 19. Jahrhundert herrschende Wohnungsnot in den Arbeitervierteln Augsburgs. Die Menschen hausten in überbelegten Wohnungen unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen. Die Bereitstellung von Arbeiterwohnungen gehörte zum Konzept des betrieblichen Wohlfahrtssystems der SWA. Hier folgte die Fabrikleitung dem in den 1840ern einsetzenden Lösungsansatz für die sozialen Frage, ähnlich wie andere Industriebetriebe in ganz Deutschland und Augsburg.
Die Fabrikordnung unterstreicht die paternalistischen Vorstellungen, welche dem Wohlfahrtssystem zugrunde lagen.
„Für den Schutz und die väterliche Sorgfalt, welche alle Arbeiter von ihren Vorgesetzten zu erwarten haben, versprechen sie ihnen Anhänglichkeit und Treue.“
– Fabrikordnung der SWA 1840: SWA-Archiv
Der betriebliche Wohnungsbau diente jedoch nicht einzig caritativen Zwecken, denn indirekt oder direkt waren die Maßnahmen auch aus einer Kosten-Nutzen-Kalkulation motiviert. Die Fabrikwohnungen sollten die Facharbeiter an die Fabrik binden. In diesem Zusammenhang sollte auch berücksichtigt werden, dass 1874 ca. 88% der Beschäftigten der Augsburger Textilfabriken Frauen, Kinder und Jugendliche waren.[3] 1904 waren von den 2560 Arbeitern der SWA lediglich 13,5% in Werkswohnungen untergebracht.[4]
Die Wohnungsgröße betrug zwischen 32m² und 54m²[5] und reichte von Zweizimmerwohnungen ohne Küche in der Mansade bis zur komfortablen Fünfzimmerwohnung im Parterre. Jeder Mieter hatte ein Anrecht auf die Nutzung eines Gärtchens. Für jeweils 8 bis 10 Mietparteien stand ein Gemeinschaftswaschhaus zur Verfügung. Nach und nach entstanden Einkaufsmöglichkeiten: Kolonialwarenladen (1909), Metzger (1911), Milchladen, Bäcker (1911) und Friseur. Betriebseigene Vereine (Sängerbund (1885), Turnverein mit Sportplatz (1907), Betriebsfeuerwehr (1874), FC Wacker (1920) kamen hinzu. Das Quartier entwickelte sich zu einer geschlossenen Wohnsiedlung.[6]
Die Fabrikwohnungen stellten dadurch den Zusammenhang zwischen Arbeit, Wohnen und Freizeit, welcher durch die Industrialisierung aufgehoben wurde, wieder her. Dies ist jedoch nicht nur positiv zu sehen, da der Fabrikarbeiter nun einer permanenten Kontrolle durch die Unternehmer unterworfen war. Mancher Arbeiter sah die Arbeiterwohnungen deshalb als weiteres Mittel, die Arbeiter zu bedrücken.[7]
Die Mietordnung der SWA enthielt den Passus, dass Familienmitglieder des Mieters, welche in einer anderen Fabrik arbeiten, vom Genuss der Fabrikwohnung ausgeschlossen sind. Das bedeutet, dass es für Ehefrau und Kinder des Mieters keine freie Arbeitsplatzwahl gab. Sie mussten, wie der Vater, in der SWA arbeiten oder ausziehen. Die Fabrik sicherte sich so auch über Generationen eine Stammbelegschaft.[8]
Jenseits der Lokalbahnschienen liegen rechts und links der Straße die ehemaligen Meisterwohnungen für höhere Angestellte der SWA.
Kinderheim
1926 erbaute die SWA ein Kinderheim an der nahegelegenen Zimmererstraße (zwischenzeitlich in Hermann-Kluftinger-Straße umbenannt). Die berufstätigen Mütter konnten dort Kleinkinder von 2-6 Jahren und Hortkinder zwischen 6−14 Jahren unterbringen. Der betriebeigene Kindergarten hatte auch einige Jahre eine Säuglingsstation und wurde zum Ende des Zweiten Weltkrieges geschlossen. Obwohl nicht zum eigentlichen Proviantbachquartier gehörend, steht das Gebäude doch im direkt Zusammenhang mit der Arbeitersiedlung.
Heute enthält das Gebäude die Simpertschule Augsburg, eine Einrichtung der Schwabenhilfe für Kinder e.V.
Entwicklung bis 2009
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden vor allem für Flüchtlinge Baracken aufgestellt, welche bis in die 70er Jahre bestehen blieben und von den angeworbenen ausländischen Arbeitern bewohnt wurden. Bis in den 1950er Jahren waren die Bewohner des Proviantbachquartiers zumeist Deutsche. Mit der Anwerbung von Gastarbeitern kamen ab 1950 Italiener, ab 1960 Jugoslawen und schließlich ab 1970 Türken hinzu. 1972 wurde eine Grundstücksgesellschaft Eigentümer der Siedlung. 1980 waren zwei Drittel der Bewohner Ausländer. Kontakte zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen bestanden kaum.
Die Häuser kamen in den folgenden Jahrzehnten zunehmend herunter. Nach der Sanierung des „Fabrikschlosses“ wurde das Bevölkerungsgemisch durch die Umsiedlung der Bewohner des dortigen Asylantenheims und Aussiedlerfamilien ins Quartier weiter angereichert.
2009 wurde das komplette Quartier „entwohnt“.
Neues Proviantbachquartier
Das gesamte Quartier wurde 2009 als Sanierungsgebiet ausgewiesen, wonach eine aufwendige Sanierung und Revitalisierung vorgesehen ist. Ein entsprechender, städtebaulicher Vertrag zwischen der Stadt Augsburg und einem Investor besteht bereits. Seit Mitte 2009 befindet sich das „Neue Proviantbachquartier“ in der Vermarktung und der Baubeginn des ersten Bauabschnitts ist im Dezember 2009 erfolgt.
Literatur
- Bernt von Hagen, Angelika Wegener-Hüssen: Denkmäler in Bayern. Bd. 83: Stadt Augsburg. Karl m. Lipp, München 1994, ISBN 3-87490-572-1.
- Günther Grünsteudel, Günter Hägele, Rudolf Frankenberger (Hrsg.): Augsburger Stadtlexikon. 2. Auflage. Perlach, Augsburg 1998, ISBN 3-922769-28-4.
- Wolfgang Wallenta, Barbara Wolf: Mehrfamilienhaus für Werksarbeiter. Textilviertel. 1905. Proviantbachstraße 18 in Häusergeschichte(n). Augsburger Häuser und ihre Bewohner. Heft 26. Architekturmuseum Schwaben.. Wißner, Augsburg 2009, ISBN 3-89639-750-8.
- Geschichtswerkstatt Augsburg e.V. (Hrsg.): Leben im Proviantbachquartier. Heimat oder Spekulationsobjekt?. AV-Verlag, Augsburg 1990, ISBN 3-925274-36-7.
- Ilse Fischer: Industrialisierung, sozialer Konflikt und politische Willensbildung in der Stadtgemeinde. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte Augsburgs 1840-1914. Hieronymus Mühlberger, Augsburg, 1977, ISBN 3-921133-20-3.
- Christian Demuth: Ein schwieriger Beginn. Die frühe Arbeiterbewegung in Augsburg 1848-1875.. Wißner, Augsburg 2003, ISBN 3-89639-366-9.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Stadtlexikon, S.727
- ↑ Denkmale in Bayern: Stadt Augsburg S.28
- ↑ Leben im Proviantbachquartier
- ↑ Fischer, S.214
- ↑ Stadtlexikon, S.727
- ↑ Leben im Proviantbachquartier.
- ↑ frühe Arbeiterbewegung in Augsburg, S.69
- ↑ Fischer, S.216
48.36679722222210.924630555556Koordinaten: 48° 22′ 0″ N, 10° 55′ 29″ OArbeitersiedlung in AugsburgFabrikkolonie | Haindl’sche Stiftungshäuser | Kammgarnquartier | Proviantbachquartier | Sebastiankolonie | Stadtbachquartier
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