Provisional IRA South Armagh Brigade

Provisional IRA South Armagh Brigade

Die South Armagh Brigade war eine Brigade innerhalb der Provisional Irish Republican Army, die während des Nordirlandkonfliktes vor allem im Süden der Grafschaft Armagh operierte und als eine der aktivsten sowie berüchtigtsten IRA-Einheiten galt. Die Brigade konnte – gestützt auf einen außergewöhnlich hohen Rückhalt in der fast ausschließlich katholisch-nationalistischen Bevölkerung – mit weitaus größeren Freiheiten als IRA-Einheiten in anderen Teilen Nordirlands agieren. Die britische Armee mied im Süden Armaghs den Landweg, operierte überwiegend mit Hubschraubern und versuchte, das Gebiet von mehreren Wachtürmen aus zu kontrollieren.

Inhaltsverzeichnis

South Armagh

Das Gebiet, das als South Armagh bezeichnet wird, ist ungefähr 500 km2 groß. Begrenzt wird es im Osten von der Autobahn A1 (Belfast-Dublin) sowie der inneririschen Grenze, im Süden und Westen ebenfalls von der inneririschen Grenze, und im Norden durch eine waagerechte imaginäre Ost-West-Linie, die durch die Orte Mountnorris und Keady führt. Somit ist das südliche Armagh auf drei Seiten von der inneririschen Grenze umgeben. Die Bevölkerung ist überwiegend katholisch-nationalistisch. Besonders südlich der Landstraße A25 leben fast ausschließlich Katholiken. Nur im Norden South Armaghs, vor allem in Newtownhamilton, lebt eine beträchtliche Anzahl an Protestanten. Der Verlauf der inneririschen Grenze war im Anglo-Irischen Vertrag von 1921 festgelegt worden. Die Grenzziehung unterbrach die engen Beziehungen des Gebiets im äußersten Süden Armaghs um Crossmaglen zur Stadt Dundalk und den Grafschaften Louth und Monaghan. 1925 wurde ein Vorschlag der gemeinsamen Grenzkommission bekannt, ein Gebiet um Crossmaglen mit ungefähr 14.000 fast ausschließlich katholisch-nationalistischen Einwohnern dem Irischen Freistaat zuzuschlagen. Der Vorschlag blieb unverwirklicht.[1]

In South Armagh gibt es eine lange irisch-republikanische Tradition, da viele Männer aus der Gegend während des Irischen Unabhängigkeitskrieges (1919–1921) in der Fourth Northern Division der Irish Republican Army dienten und auf der republikanischen Seite im Irischen Bürgerkrieg (1922–1923) kämpften. Außerdem nahmen Männer dieser Gegend an IRA-Kampagnen in den 1940er und 1950er Jahren teil.[2]

Organisation und Mitglieder

Die Brigade war in zwei Bataillone unterteilt. Das erste Bataillon kämpfte rund um Crossmaglen und das zweite rund um Jonesborough. In den 1990er Jahren vermutete man, dass die Brigade aus rund 40 Mitgliedern bestand.[3] Sie wurde in den 1970er Jahren von Thomas Murphy kommandiert, der später auch mutmaßlich ein Mitglied des IRA-Armeerates wurde, und sogar als ein ehemaliger IRA-Stabschef (Chief of Staff) gilt.[4] Seit den frühen 1980er Jahren bis in die späten 1990er war Seán „The Surgeon“ Hughes der Kommandant der Brigade. Trotzdem blieb Murphy der einflussreichste IRA-Mann in South Armagh. Nach dem Waffenstillstand 1997 stieg Hughes ebenfalls in den IRA-Armeerat auf.

Die South Armagh Brigade steht unter dem Verdacht nicht nur paramilitärische Aktionen durchgeführt zu haben, sondern wird ebenfalls von britischen und irischen Sicherheitskräften beschuldigt, im großen Stil Schmuggel über die innerirische Grenze sowie Geldwäsche und Subventionsbetrug zu betreiben.[5]Im Gegensatz zu vielen anderen IRA-Einheiten wurde die South Armagh Brigade nicht umfassend von Informanten bzw. Agenten des MI5, der British Army oder Royal Ulster Constabulary (RUC) infiltriert.[6] Außerdem gab es auch kaum Verluste von Mitgliedern durch Verhaftungen oder Tod. Zwischen 1970 und 1997 war die Brigade für den Tod von 165 Mitgliedern der britischen Sicherheitskräfte verantwortlich (123 britischen Soldaten und 42 Beamte der RUC). Während des Konflikts starben des Weiteren 75 Zivilisten gewaltsam in diesem Gebiet.[7] Im gleichen Zeitraum wurden 10 IRA-Mitglieder der South Armagh Brigade getötet (4 wurden bei vorzeitigen Explosionen ihrer eigenen Bomben getötet und weitere 6 durch britische Sicherheitskräfte).[8]

Die South Armagh Brigade operierte auch in Norden der benachbarten Grafschaft Louth, aber vereinzelt auch im Süden der Grafschaft Down.

Entwicklung

Kaserne der Polizei und Armee in Crossmaglen (April 2001)

Die ersten Todesopfer des Nordirlandkonflikts in South Armagh waren zwei Polizisten der RUC, die im August 1970 durch eine Sprengfalle getötet wurden. Der Anschlag auf die beiden in Crossmaglen stationierten Polizisten stieß vor Ort auf verbreitete Ablehnung.[9] Im August 1971 erschoss ein britischer Soldat in Belfast einen Bauarbeiter aus South Armagh, als dessen Auto mehrere Fehlzündungen hatte. Der Tod des Bauarbeiters führte in Crossmaglen zu Unruhen und wird von Einheimischen häufig als eigentlicher Beginn der Troubles in South Armagh genannt. In den folgenden Monaten bewarben sich zahlreiche junge Männer um eine Mitgliedschaft in der IRA.[10]

Ab Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich der Süden Armaghs, besonders rund um die Dörfer von Crossmaglen, Cullyhanna, Forkhill, Drumintee und Jonesborough, teilweise zu einer No-go-Area für britische Soldaten und die RUC. Die South Armagh Brigade verminte dort so viele Straßen, dass es aus Sicht der britischen Militärs beinahe unmöglich wurde, sich auf dem Landweg zu bewegen.

Von britischer Seite wurde dieses Gebiet deshalb auch als „Bandit Country“ bezeichnet.[11] Die Brigade konnte – gestützt auf den außergewöhnlich enormen Rückhalt in der örtlichen Bevölkerung – mit weitaus größeren Freiheiten als IRA-Einheiten in anderen Teilen Nordirlands agieren.

Aufgrund dessen versuchte die britische Armee, die Bewegungsfreiheit der IRA in dem Gebiet massiv einzuschränken. Süd-Armagh wurde mit seinen 23.000 Einwohnern das am stärksten militarisierte Gebiet in Nordirland. Die britische Armee stationierte dort ca. 3000 Soldaten, um die RUC gegen eine unbekannte Anzahl von IRA-Aktivisten zu unterstützen.[12] Das Hauptquartier der britischen Truppen in South Armagh war in der 3000-Einwohner-Ortschaft Bessbrook. Die Armee errichtete es in einer alten Leinenfabrik aus dem 19. Jahrhundert. Von dort aus überwachte sie das Gebiet mit drei gemeinsamen festungsähnlichen RUC-Armee-Stützpunkten in Crossmaglen, Forkhill und Newtownhamilton. Diese Stützpunkte waren noch 1971 kleine Dorfpolizeiwachen gewesen, die für Millionen von Pfund gegen Granatwerfer- und Bombenangriffe zu Mini-Festungen aufgerüstet wurden. Hinzu kam ein System von Kameras, Bunkern und zehn Wachtürmen, die, genau wie die Stützpunkte, wegen der Gefahr von Anschlägen weitgehend von Hubschraubern aus versorgt werden mussten. So wurde das Armeehauptquartier in Bessbrook zeitweilig eines der am stärksten frequentierten Start- und Landefelder für Helikopter in ganz Westeuropa. Diese waren jedoch ebenfalls häufig Ziele für Angriffe der South Armagh Brigade.

So war sie die bei weitem erfolgreichste IRA-Brigade im Abschuss von britischen Helikoptern während des Konflikts. Ihre Freiwilligen führten 23 Angriffe auf britische Militärhelikopter durch, bei denen sie es in den Jahren 1978, 1988 und 1994 schafften, insgesamt vier zum Absturz zu bringen.[13] Der einzige andere erfolgreiche IRA-Angriff gegen einen Armeehelikopter gelang der East Tyrone Brigade nahe Clogher, Grafschaft Tyrone, am 11. Februar 1990.[14] Wegen dieser Gefahr flogen die Armeehubschrauber nur in Dreier-Gruppen über South Armagh, um sich gegenseitig vor Angriffen schützen zu können.

Am 27. August 1979 verübte die Brigade den Warrenpoint-Anschlag, bei dem 18 britische Soldaten getötet wurden. Hierbei handelte es sich um den größten Verlust der British Army an Menschenleben durch einen einzelnen Anschlag während des Nordirlandkonflikts. Außerdem sollen sie den am gleichen Tag stattgefundenen Anschlag auf Louis Mountbatten, 1. Earl Mountbatten of Burma, durchgeführt haben, bei dem Mountbatten und drei weitere Personen starben, darunter auch sein 14 Jahre alter Enkel Nicholas Knatchbull.

Am Abend des 18. Februars 1985 starben neun RUC-Beamte bei einem Granatwerferangriff auf die Polizeistation von Newry.[15] Der Anschlag wurde gemeinsam von Mitgliedern der South Armagh Brigade und des örtlichen South Down Commands geplant.[16]

In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren war die South Armagh Brigade, zusammen mit der East Tyrone Brigade, einer der wenigen IRA-Einheiten, die noch erfolgreich Anschläge verüben konnte. Die meisten anderen, vor allem in Belfast und Derry, waren handlungsunfähig, da sie zu viele Informanten in ihren eigenen Reihen hatten.[17] Im Gegensatz dazu schaffte es die South Armagh Brigade in dieser Zeit sogar noch ihre Operationen zu intensivieren.

Sniper at work, Crossmaglen 1999

Die Brigade bildete zwei Einheiten von Scharfschützen, die von 1990 bis zur Verhaftung einer dieser Einheiten im April 1997 durch die britische Spezialeinheit Special Air Service (SAS) für die Tötung von sieben Soldaten sowie zwei RUC-Beamten verantwortlich waren.[18] Acht der neun Opfer starben zwischen dem 28. August 1992 und dem 30. Dezember 1993. Das letzte Opfer, das von Scharfschützen in South Armagh getötet wurde, war Lance Bombardier Stephen Restorick. Er wurde am 12. Februar 1997 erschossen und war der letzte gefallene britische Soldat des Nordirlandkonflikts.[19][20] In diesem Zusammenhang wurden mehrere selbstgemalte, falsche Straßenschilder, welche die IRA und ihre Anhänger vor allem rund um Crossmaglen befestigten, zu Ikonen der IRA. Auf den Schildern ist über der Warnung „Sniper at work“ ein maskierter Scharfschütze zu sehen.

Die South Armagh Brigade war ebenfalls für die Anschläge von 1993 und 1996 in London sowie Manchester verantwortlich. Die Bomben wurden in South Armagh gebaut und danach mit einem Lastwagen per Fähre nach England verschifft.[21]

Demilitarisierung

Seit dem Waffenstillstand von 1997 sowie dem Karfreitagsabkommen ein Jahr später begann die britische Armee damit die Militäranlagen abzubauen. Am 28. Juli 2005 erklärte die IRA den bewaffneten Kampf für beendet und entwaffnete sich komplett. In der Nacht vom 30. auf den 31. Juli 2007 beendete die britische Armee nach 38 Jahren ihren Einsatz in Nordirland. Um Mitternacht (Ortszeit) übernahm die neugebildete nordirische Polizei Police Service of Northern Ireland (PSNI), die nun auch von der irisch-republikanischen Sinn Féin anerkannt wird, wieder die alleinige Verantwortung für die Innere Sicherheit und der Großteil der Militärangehörigen wurde abgezogen[22].

Popkultur

Wegen ihres hohen Bekanntheitsgrades und ihrer besonders effektiven Kampfführung gibt es mehrere verherrlichende Irish-Rebel-Lieder über die Brigade. Dazu gehören unter anderem die Lieder 18 Brits[23], Armagh Sniper[24], Auf Wiedersehen to Crossmaglen[25], Eamon Wright[26], The Fightin' men of Crossmaglen[27], McVerry's men[28], One shot Paddy[29], The two Brendans[30], Volunteer Peter Cleary[31], Volunteer Seamus Harvey[32], Volunteer Eugene Martin[33], Volunteer Brendan Moley and Volunteer Brendan Burns[34] sowie Volunteer Michael McVerry[35].

Quellen

  1. Harnden, ’Bandit Country’, S. 147f.
  2. Toby Harnden: Bandit Country, S. 92–112, Hodder & Stoughton 1999, ISBN 034071736X
  3. Brendan O'Brien: The Long War: The Ira and Sinn Féin, S. 161, Syracuse Univ Pr 1995, ISBN 0815603193
  4. Toby Harnden: Bandit Country, S. 21–35, Hodder & Stoughton 1999, ISBN 034071736X
  5. Toby Harnden: Bandit Country, S. 178–179, 204–205.
  6. Brendan O'Brien: The Long War: The Ira and Sinn Féin, S. 206, Syracuse Univ Pr 1995, ISBN 0815603193
  7. Toby Harnden: Bandit Country, S. 11, Hodder & Stoughton 1999, ISBN 034071736X
  8. Brendan O'Brien: The Long War: The Ira and Sinn Féin, S. 160, Syracuse Univ Pr 1995, ISBN 0815603193
  9. Harnden, ’Bandit Country’, S. 56f.
  10. Harnden, ’Bandit Country’, S. 49ff.
  11. Der Begriff wird auf den britischen Nordirlandminister Merlyn Rees zurückgeführt, siehe Eintrag Bandit Country in: Adrian Room: Brewer's dictionary of modern phrase & fable. Cassell, London 2000, ISBN 0-304-35381-7, S. 51. Schilderung der Situation Ende der 1980er Jahre bei Dietrich Schulze-Marmeling, Ralf Sotscheck: Der lange Krieg. Macht und Menschen in Nordirland. Verlag die Werkstatt, Göttingen 1989, ISBN 3-923478-34-8, S. 308ff.
  12. Danny Kennedy: Governments must end immoral indulgence of Sinn Féin/IRA. Abgerufen am 14. Februar 2007.
  13. Toby Harnden: Bandit Country, S. 258–259.
  14. Copter Forced Down in Ulster. New York Times (12. Februar 1990). Abgerufen am 15. Februar 2007.
  15. Toby Harnden: S. 167.
  16. Toby Harnden: Bandit Country, S. 232–234, Hodder & Stoughton 1999, ISBN 034071736X
  17. Brendan O'Brien: The Long War: The Ira and Sinn Féin. Syracuse Univ Pr 1995, ISBN 0815603193
  18. Toby Harnden: Bandit Country. Hodder & Stoughton 1999, ISBN 034071736X
  19. Richard English: Armed Struggle, A History of the IRA, S. 172.
  20. Ed Moloney: A secret history of the IRA, S. 473.
  21. Bandit Country, S. 230.
  22. The Independent: Northern Ireland: The longest tour of duty is over, 31. Juli 2007
  23. 18 Brits auf youtube.com
  24. Armagh Sniper auf triskelle.eu
  25. Auf Wiedersehen to Crossmaglen auf triskelle.eu
  26. Eamon Wright auf oneofthebhoys09.tripod.com
  27. The Fightin' men of Crossmaglen auf triskelle.eu
  28. McVerry's men auf youtube.com
  29. One shot Paddy auf oneofthebhoys09.tripod.com
  30. The two Brendans auf triskelle.eu
  31. Volunteer Peter Cleary auf youtube.com
  32. Volunteer Seamus Harvey auf youtube.com
  33. Volunteer Eugene Martin auf youtube.com
  34. Volunteer Brendan Moley and Volunteer Brendan Burns auf youtube.com
  35. Volunteer Michael McVerry auf youtube.com

Weblinks

  • TV-Dokumentation vom irischsprachigen Sender TG4 auf dessen Website über Thomas Murphy und die South Armagh Brigade Teil 1, Teil 2 (englisch und irisch)
  • TV-Dokumentation vom irischsprachigen Sender TG4 auf youtube.com über den Anschlag von Warrenpoint am 27. August 1979 Teil 1, Teil 2, Teil 3 (englisch und irisch)

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