Psychophysisches Niveau

Psychophysisches Niveau
Abb. 1. Psychophysisches Niveau, das durch die Abgrenzung der beiden blauen und roten Zonen veranschaulicht werden soll

Das psychophysische Niveau ist zunächst ein Begriff der rationalen Psychologie, welcher die Grenze zwischen bewussten und unbewussten Körperabläufen im Gehirn zu umschreiben sucht, vgl. → Leib-Seele-Problem. Damit können beide Bereiche zumindest begrifflich sowohl voneinander abgrenzt als auch durch Aufzeigen von Relationen miteinander verbunden werden, vgl. → psychophysische Korrelation. – Aber auch eine physiologisch orientierte Wahrnehmungspsychologie z. B. ist ohne eine solche Abgrenzung nicht möglich. Der Begriff psychophysisches Niveau ist als eine solche gedachte Grenzlinie rein theoretische Konstruktion und zählt damit zu den sog. psychophysischen Modellen, siehe auch → Psychophysik. Solche Modelle versuchen die körperliche und psychische Topologie miteinander zu verbinden, siehe auch den Begriff der Wahrnehmungstheorie. Der Begriff psychophysisches Niveau ist von Wolfgang Metzger (1899-1979) erstmals 1941 veröffentlicht worden.[1] Er setzt voraus, dass alles Psychische bewusst und das Bewusste psychisch ist. Übergänge und Zusammenhänge zwischen Bewusstsein und Unbewusstem werden dabei nicht berücksichtigt.

In empirisch-psychologischer Hinsicht handelt es sich weiter um eine Begriffswahl, die auf eine vermutete anatomisch-topographische Beschreibung neuronaler Zustände mit oder ohne Bewusstseinsqualität gerichtet ist. Hierbei handelt es sich rein theoretisch nicht nur um feste und daher um topographisch eindeutig bestimmte Strukturen des Gehirns, sondern möglicherweise auch um rein funktionelle Zustandsformen, also um fließende Grenzen, die z.B. von der Aufmerksamkeit abhängen. Es kann als eine gesicherte und auch unmittelbar einleuchtende Tatsache gelten, dass nicht alle nervlichen Aktivitäten von unserem Bewusstsein registriert und erst recht nicht gesteuert werden können.

Inhaltsverzeichnis

Physiologische Fragestellung

Viele nervöse Abläufe werden automatisch und daher unbewusst gesteuert, vgl. Vegetativum. Die Frage stellt sich somit, welche Hirnregionen für den Zustand des wachen Bewusstseins zuständig und hierfür als unerlässlich anzusehen sind. „Nur diejenigen Prozesse in den Nervenbahnen und überhaupt im Nervensystem des körperlichen Bewusstseins sind bewußtseinsfähig und können eine Wahrnehmung oder Empfindung konstituieren, die sich im psychophysischen Niveau abspielen.“[2] Das psychophysische Niveau ist daher als eine in sich geschlossene Grenzlinie innerhalb des Gehirns zu verstehen. Alle außerhalb dieser Grenzlinie ablaufenden nervlichen Vorgänge sind damit als „erlebnistranszendent“ zu bezeichnen. Es versteht sich, dass diese Grenzlinie nicht als eine fest umrissene anatomische Struktur zu betrachten ist. Vielmehr muss sie als fließend je nach Grad der Bewusstseinshelligkeit (Vigiliät), Ermüdung, Aufmerksamkeit oder Motivationsbereitschaft in einer bestimmten Situation angesehen werden. Da sie demnach von subjektiven Faktoren abhängt, muss sie als Gegenstand der Wahrnehmungsphysiologie und Wahrnehmungspsychologie gelten. Das psychophysische Niveau ist also der neurophysiologische Gegenbegriff zu dem, was die Neuroanatomie mit animalem Nervensystem bezeichnet. Es ist daher auch anzunehmen, dass es sowohl fest umrissene als auch fließende Kriterien für die beabsichtigte Objektivierung des Bewusstseins gibt.

Empirische Bestätigungen der psychophysichen Modellvorstellung

Als Bestätigung der psychophysischen Modellvorstellung anzusehen ist die Entwicklung der Elektroenzephalographie (EEG-Untersuchung) als neurophysiologisches Untersuchungsverfahren. Es wurde zuerst 1924 vom Hans Berger praktiziert und später auch wissenschaftlich beschrieben und ausgewertet. Eine der grundlegenden aus diesem Verfahren gewonnenen Tatsachen und Erfahrungen ist die Korrelation des sog. α-Rhythmus von 8-12 Hz (Alpharhythmus) mit dem wachen Bewusstsein. Die sog. α-Wellen können bevorzugt über den occipitalen, temporalen und parietalen Ableitungen registriert werden,[3] [4] d.h. über allen denjenigen Hirnregionen, die als ausschließlichlicher Sitz der sensorischen Projektionszentren bekannt sind, vgl. Sensorium. Im Schlaf dominieren dagegen langsamere Wellen aus dem θ- und δ-Band (<8 Hz). Bereits während des Einschafstadiums (B-Stadium) verschwinden die α-Wellen aus dem Hirnstrombild.[5] Durch Einnahme von das Bewusstsein dämpfenden und beruhigenden Medikamenten werden über den vorderen Hirnregionen auftretende β-Wellen (>13 Hz) registriert. Dazu gehören u.a. Barbiturate, Carbamide, Carbamate, Benzodiazepinderivate, Primidon, Trimethadion und Meprobamat.[6] Auch bei Epilepsien, die bekanntlich mit der Gefahr des Bewusstseinsverlusts im epileptischen Anfall einhergehen, werden häufig spezifische Hirnstromabläufe registriert, die sog. Anfallspotentiale.[7]

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Metzger: Psychologie. Entwicklung ihrer Grundannahmen seit der Einführung des Experiments. Krammer-Verlag, Wien 6. Auflage 2001, ISBN 3901811079, Erstausgabe 1941
  2. Georgi Schischkoff (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. Alfred Kröner-Verlag, Stuttgart 14. Auflage 1982, ISBN 3-520-01321-5, Seite 562
  3. Olga Simon: Das Elektroenzephalogramm. Einführung und Atlas. Urban&Schwarzenberg, München 1977, ISBN 3-541-08221-6, Seite 41 ff.
  4. Walter Christian: Klinische Elektroenzephalographie. Lehrbuch und Altlas. Georg Thieme, Stuttgart 2. Auflage 1977, ISBN 3-13-440202-5, Seite 15 ff.
  5. Christian: a.a.O., Seite 34
  6. Simon: a.a.O., Seite 52
  7. Christian: a.a.O., Seite 88 ff.

Weiterführende Literatur

  • F.S. Rothschild: Die Symbolik des Hirnbaus. 1935
  • H. Kuhlenbeck: Gehirn und Bewusstsein. 1973

Siehe auch


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