Radioballett

Radioballett

Radioballett ist eine vom Hamburger Künstlerkollektiv Ligna entwickelte performative Protestform. Sie trägt Merkmale der Direkten Aktion und des Smart Mobs. Die Urheber bezeichnen Radioballett als "Übung in nichtbestimmungsgemäßem Verweilen".[1] Auslöser war die zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raums und die damit einhergehende Sanktionierung abweichender Verhaltensweisen. Das Radioballett findet in verschiedenen Städten jeweils in Kooperation mit freien Radios statt. Jeder ist zur Teilnahme eingeladen. Voraussetzung ist ein mobiles Radio, über das Verhaltensvorschläge empfangen werden. Über den Radiosprecher angeregt werden beispielsweise Handlungen ausprobiert, die nach der jeweils herrschenden Hausordnung erlaubt oder verboten sind (Begrüßung - Hand geben: erlaubt; Betteln - Hand aufhalten: verboten). Eine Verführung zur Teilnahme findet nicht statt; die Radiostimme weist stets darauf hin, dass niemand etwas mitmachen soll, was er nicht will. Die Übungen werden unterbrochen durch Informations-, Theorie- und Reflexionsblöcke. Es lassen sich Analogien zu Brechts pädagogischer Dramatik erkennen.

Geschichte

Das erste Radioballett fand am 5. Mai 2002 im Hamburger Hauptbahnhof statt. Für anderthalb Stunden zogen dort erneut Verhaltensweisen und Gesten ein, die unter anderem durch das 3-S-Konzept der Deutschen Bahn mitsamt der jeweils typischen Randgruppen (Ausländer, Bettler, Dealer, Obdachlose, Punker, Raucher etc.) verdrängt worden sind. Die Masse der Teilnehmer und der erkennbare Aktionscharakter hielten das Sicherheitspersonal von entschlossenen Eingriffen ab. Ein sehr ähnliches Radioballett fand, mit rund 500 Teilnehmern, am 20. Juni 2003 im Rahmen des Festivals Entsicherung: Eine theatrale Einmischung in den öffentlichen Raum im Leipziger Hauptbahnhof statt.

Das Radioballett ist nicht zwingend an offiziell privatisierte Räume gebunden. Im Rahmen des Projekts Eine Frage (nach) der Geste[2], von der Hochschule für Grafik und Buchkunst in der Oper Leipzig realisiert, lud Ligna unter dem Titel Normierte Räume – Abweichende Gesten zum Radioballett in der auf Kommerz und Konsum ausgerichteten Innenstadt, wo erst durch die Abweichung klar wurde, wie eingeengt diese Zone bereits ist. Das Radioballett hatte nicht nur Effekte auf die Teilnehmer selbst, sondern auch auf die zahlreich anwesenden Weihnachtsmarktbesucher. Durch Irritation zum Hinterfragen des eigenen Verhaltens zu verleiten, ist eine der vielfältigen Wirkungen des Radioballetts. Am 9. Mai 2005 fand anlässlich der jährlichen Sicherheitskonferenz in der Münchner Fußgängerzone ein Radiobalett statt.[3]

Einzelnachweise

  1. Ligna Radioballett
  2. Projekt Eine Frage (nach) der Geste
  3. vgl. Youtube-Video: Radio gegen die Nato Sicherheitskonferenz

Weblinks


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