Rassifizierung

Rassifizierung

Ethnisierung ist ein Begriff, der einen Diskurs beschreibt, durch den Personen wegen ihres Aussehens oder ihrer Lebensgewohnheiten einer homogenen Gruppe zugeordnet werden.

Inhaltsverzeichnis

Rassistische und ethnozentristische Ethnisierung

Margarete Jäger vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) unterscheidet zwischen politisch-rassistischen und/oder ethnozentrischen Konzepten, die der Ethnisierung zugrunde liegen und differenziert entsprechend verschiedene Formen der Ethnisierung nach ihrer Flexibilität. Bei der ‚statischen’ Ethnisierung würden den Personen natürliche Eigenschaften zugeschrieben. Bei der ‚dynamischen’ Ethnisierung handele es sich dagegen um die Zuschreibung kultureller Eigenarten, also solcher Merkmale, die sich entwickeln und verändern können oder sogar verändern müssen. Hier liegt ein ethnozentristisches Konzept zugrunde, das sich insoweit vom politischen Begriff des Rassismus unterscheidet, als die den Personen zugeschriebenen Eigenschaften die Möglichkeit besitzen, sich zu verändern oder aufzulösen. Forderungen nach Integration und Assimilation sind in diesem Zusammenhang charakteristisch. Der Ethnisierung liegt nach Jäger eine ethnozentristische Einstellung zugrunde, die für wahr gehalten wird und als „Wissen“ aufgefasst und vermittelt wird. Margret Jäger stellt diese Unterscheidung anhand einer Untersuchung der Ethnisierung des so genannten „Sexismus” im Einwanderungsdiskurs fest. Bekannt für die Kritik an dieser Form der Ethnisierung ist Jinthana Haritaworn aus London. Sie kritisiert dabei den rassistischen Gehalt des liberalen Ehrenmord-Diskurses um Hatun Sürücü, den sie auch in feministischen und sexuellen Befreiungsbewegungen feststellt.

Ethnisierung und Kulturalisierung

Der Ethnisierungsbegriff ist eng verbunden mit dem der sog. Kulturalisierung. Der Kultur wird hierbei die Funktion zugeschrieben, Sinn und Identität für Personen oder Gruppen zu erzeugen. Im Zuge der sog. "Ethnisierung" wird Kultur nicht als individueller und in wichtigen Teilen auch kontingenter Identitätsbildungsprozess begriffen, sondern als statisches System verbindlicher Regelungen. Die mit einer bestimmten Kultur verbundenen Personen oder Gruppen werden meist als passive Empfänger einer Prä-Normierung verstanden. Einer solchen Ansicht wird vor allem mit dem Argument widersprochen, dass Menschen sich die Dinge und ihre Bedeutung in einem lebenslangen Prozess aneignen und sie dabei entsprechend ihrer individuellen Lebensverhältnisse umarbeiten und transformieren.[1]

Ethnisierung und Kulturalisierung haben eine ideologische Bedeutung in der Identitätspolitik, in der rhetorisch Rassen, Nationen, Ethnien oder Clans beschworen werden. Die so essenzialisierten Vorstellungen lassen sich instrumentalisieren, „um die eigene Kultur und bestehende Herrschaftsverhältnisse zu legitimieren“ [2].

Ethnisierungsproblematik in der Gesetzgebung

In der Debatte um den rechtlichen Schutz von Minderheiten wird die Forderung nach „Anerkennung der ethnischen und kulturellen Identität“ vor dem Hintergrund einer möglichen Ethnisierung insbesondere dann kontrovers diskutiert, wo ein kollektives Recht eingefordert wird. So gilt es für Alex Suttner und Samuel Salzborn zwar als unproblematisch, wenn vergleichbar mit dem Recht auf freie Religionsausübung, diese Rechte jedem individuell zugestanden werden. So könnte jeder Bürger als Person individuell dieses Recht einklagen. Forderungen hingegen, die diesen Anspruch für eine Kollektiv von Personen einfordern, argumentieren nach Meinung Suttners und Salzborn in der Art, dass sie Lebensgewohnheiten für eine homogene Gruppe festschreiben. Gesetze, wie das „Volksgruppengesetz“ in Österreich, so die Kritiker solcher Forderungen, gründen auf die ethnisierende Annahme, dass eine Gemeinschaft von Personen nachweisbar ist, die z.B. ein bestimmtes Volkstum vorweisen müssen. Damit werden Personen nach Alex Suttner nicht mehr als „Individuen mit bestimmten kulturellen Vorlieben, sondern als Verkörperungen einer vorgestellten Kollektivkultur“ wahrgenommen. Will eine Person dieses Recht vor Gericht einklagen, so sei – wie Alex Sutter bemerkt – das Gericht dazu „gezwungen, objektivierende Urteile über die „kulturelle Identität“ einer Gruppe und eines Individuums zu fällen“ und würde den Prozess der Ethnisierung juristisch vorantreiben.

Auch der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn sieht in ethnokulturellen Konzepten wie dem der Volksgruppenpolitik eine Ethnisierung der Politik: "In der politischen Tradition der Aufklärung sollen Diskriminierungen aller Art durch Schaffung eines rechtlichen Schutzsystems verhindert werden. Das politische Ziel ist die Überwindung historisch bedingter Ungleichheit durch politische und soziale Integration in bestehende gesellschaftliche Kontexte. Den Widerpart dieses Modells bildet der kollektivrechtlich argumentierend Ethnisierungsansatz des Volksgruppenrechts, der auf einem völkisch-antiegalitären Fundament fußt."


Widerstand gegen Ethnisierung

Widerstand gegen eine Ethnisierung wird vor allem von Einwanderern (Migranten) und Angehörigen von Minderheiten formuliert. Besonders im postkolonialistischen Diskurs vieler Wissenschaftler und Künstler wird eine Identitätspolitik abgelehnt und Minderheitserfahrungen durch Ethnisierung thematisiert. Bekannt ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die migrantische Gruppe Kanak Attak oder der Autor Feridun Zaimoğlu.

Quellen

  1. vgl. Nora Räthzel
  2. vgl. Joana Breidenbach / Ina Zukrigl – Bundeszentrale für politische Bildung

Literatur

  • Thomas Baumer: Handbuch Interkulturelle Kompetenz (2 Bände); Verlag Orell Füssli, Zürich. ISBN 3-280-02691-1 und ISBN 3-280-05081-2
  • Joanna Breidenbach, Ina Zukrigl: Tanz der Kulturen. Kulturelle Identität in einer globalisierten Welt, Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-60838-3
  • Margret Jäger: Fatale Effekte. Die Kritik am Patriarchat im Einwanderungsdiskurs, DISS, Duisburg 1996, ISBN 3-927388-52-1 (zugl. Dissertation, Universität Oldenburg 1990)
  • Siegfried Jäger: BrandSätze. Rassismus im Alltag, DISS, Duisburg 1996, ISBN 3-927388-29-7
  • Anil K. Jain: Differenzen der Differenz, in: Hito Speyerl u.a. (Hrsg.): Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik, Unrast-Verlag, Münster 2003, ISBN 3-89771-425-6 sowie als Online-Fassung: http://www.power-xs.net/jain/pub/differenzenderdifferenz.pdf
  • Annita Kalpaka, Nora Räthzel: Wirkungsweisen von Rassismus und Ethnozentrismus, in: Dieselben: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, Dreisam-Verlag, Köln 1994, ISBN 3-89452-413-8
  • Kien Nghi Ha: Ethnizität und Migration reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs, WVB, Berlin 2004, ISBN 3-86573-009-4 (zugl. Dissertation FU Berlin)
  • Kien Nghi Ha: Postkoloniale Migration. Rassismus und die Fragew der Hybridität, in: Hito Steyerl u.a. (Hrsg.): Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik, Unrast-Verlag, Münster 2003, ISBN 3-89771-425-6
  • Samuel Salzborn, Ethnisierung der Politik. Theorie und Geschichte des Volksgruppenrechts in Europa, Campus, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-593-37879-5
  • Susanne Spindler: Corpus delicti. Männlichkeit, Rassismus und Kriminalisierung im Alltag jugendlicher Migranten. Münster 2006. ISBN 3-89771-738-7; Rezension FSK Interview mit Susanne Spindler [1]. In: taz v. 16. April 2007
  • Sevasti Trubeta: Die Konstitution von Minderheiten und die Ethnisierung sozialer und politischer Konflikte. Eine Untersuchung am Beispiel der im griechischen Thrakien ansässigen muslimischen Minderheiten, Lang, Frankfurt/M. 1999, ISBN 3-631-34433-3
  • Hans-Rudolf Wicker: Nationalismus, Multikulturalismus und Ethnizität, in: Hans-Rudolf Wicker (Hrsg.): Nationalismus, Multikulturalismus und Ethnizität. Beiträge zur Deutung von sozialer und politischer Einbindung und Ausgrenzung, Haupt, Bern 1998, ISBN 3-258-05866-0
  • María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan: "Das Dilemma der Gerechtigkeit: Migration, Religion und Gender" In: Das Argument, 266, Sonderheft "Migrantinnen Grenzen überschreitend", S. 427-440, 2006.

Weblinks

  • Margarete Jäger: Ethnisierung von Sexismus im Einwanderungsdiskurs. Analyse einer Diskursverschränkung. [2]
  • Alex Sutter: Minderheitenrechte, Ethnisierung, Identitätspolitik [3], [4]
  • Samuel Salzborn: Kampf gegen die Aufklärung. Das ethnokulturelle Konzept der Volksgruppenpolitik [5]
  • Kien Nghi Ha: Kulturproduktion von Minderheiten zwischen Ethnisierung und Politik [6]

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Rassistisches Wissen — ist eine Analysekategorie, die Rassismus nicht nur als individuelles Vorurteil, sondern als Teil eines gesellschaftlichen Wertesystems untersucht. Als racial knowledge hat David Theo Goldberg den Prozess bezeichnet, in dem einerseits Rassismus… …   Deutsch Wikipedia

  • Kritsche Weißseinsforschung — Weißsein (auch Weiß Sein, von am. Whiteness) ist im Wesentlichen eine Kategorie zur kritischen Analyse gesellschaftlich gebildeter Normen wie White Supremacy, die Rassismus verursachen oder begünstigen.[1] Die Analysekategorie [2] Weißsein , bei… …   Deutsch Wikipedia

  • Whiteness — Weißsein (auch Weiß Sein, von am. Whiteness) ist im Wesentlichen eine Kategorie zur kritischen Analyse gesellschaftlich gebildeter Normen wie White Supremacy, die Rassismus verursachen oder begünstigen.[1] Die Analysekategorie [2] Weißsein , bei… …   Deutsch Wikipedia

  • Weißsein — (auch Weiß Sein, von am. Whiteness) ist eine Kategorie zur kritischen Analyse gesellschaftlich gebildeter Normen wie White Supremacy, die Rassismus verursachen oder begünstigen. Als Teil eines in den 1980er Jahren eingetretenen Paradigmenwechsels …   Deutsch Wikipedia

  • Antiziganistisch — Antiziganismus (von frz. tsigane „Zigeuner“) ist ein in Analogie zu „Antisemitismus“ gebildeter Fachbegriff für „Zigeunerfeindlichkeit“. Er bezeichnet die von Stereotypen, Abneigung und Feindschaft geprägten Einstellungskomplexe gegen als „fremd“ …   Deutsch Wikipedia

  • Zigeunerfeindlichkeit — Antiziganismus (von frz. tsigane „Zigeuner“) ist ein in Analogie zu „Antisemitismus“ gebildeter Fachbegriff für „Zigeunerfeindlichkeit“. Er bezeichnet die von Stereotypen, Abneigung und Feindschaft geprägten Einstellungskomplexe gegen als „fremd“ …   Deutsch Wikipedia

  • Zigeunerfrage — Antiziganismus (von frz. tsigane „Zigeuner“) ist ein in Analogie zu „Antisemitismus“ gebildeter Fachbegriff für „Zigeunerfeindlichkeit“. Er bezeichnet die von Stereotypen, Abneigung und Feindschaft geprägten Einstellungskomplexe gegen als „fremd“ …   Deutsch Wikipedia

  • Zigeunerverfolgung — Antiziganismus (von frz. tsigane „Zigeuner“) ist ein in Analogie zu „Antisemitismus“ gebildeter Fachbegriff für „Zigeunerfeindlichkeit“. Er bezeichnet die von Stereotypen, Abneigung und Feindschaft geprägten Einstellungskomplexe gegen als „fremd“ …   Deutsch Wikipedia

  • Dependenztheorie — (von span. dependencia bzw. port. dependência – Abhängigkeit) ist der Oberbegriff für eine Mitte der 1960er Jahre ursprünglich in Lateinamerika entstandene Gruppe von in ihren Grundannahmen eng verwandten Entwicklungstheorien, die die Existenz… …   Deutsch Wikipedia

  • Opferrolle — Viktimisierung ist ein Fachbegriff, der in der Kriminologie, der Psychologie und den Sozialwissenschaften verwendet wird. Wörtlich bedeutet er „zum Opfer machen“ (lat. victima = Opfer, daraus engl. victim). Seit den 1990er Jahren wird eine… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”