Raumfahrtantrieb

Raumfahrtantrieb
Abheben der New Horizons mit einem chemischen RD-180 Raketenantrieb.

Raumfahrtantriebe sind Techniken zur Geschwindigkeitsänderung von Flugkörpern (wie Raumschiffen) im Weltraum, oder kurz gesagt, zur Bereitstellung von Delta v. Es existieren sehr verschiedene Varianten mit zahlreichen Vor- und Nachteilen, darunter technisch nahezu ausgereifte, in der Entwicklung befindliche und auch nur theoretisch vorgeschlagene Methoden. Das Fachgebiet ist Schauplatz aktueller Forschung sowie zahlreicher unwissenschaftlicher Spekulationen.

Bei den heute verwendeten Antrieben handelt es sich ausschließlich um Rückstoßantriebe im Rahmen des dritten Newtonschen Axioms. Von diesen in der Praxis befindlichen Raketenantrieben sind die häufigsten die chemischen Antriebe (Wärmekraftmaschinen mit Verbrennung), worunter die Feststoff- und Flüssigkeitstriebwerke fallen. Es gibt in der Gruppe der Raketentriebwerke auch elektrische und nukleare Varianten, sowie Ausführungen mit Kaltgas.

Im folgenden Übersichtsartikel werden als Alternativkonzepte zu den Raketenantrieben Start- und Abschussmechanismen, Methoden ohne Treibstoffbedarf und hypothetische Methoden behandelt.

Inhaltsverzeichnis

Raketenantriebe

siehe auch: Raketentriebwerk

Ein chemischer Raketenantrieb (RS-68) bei einem Testlauf.

Raketenantriebe sind Rückstoßantriebe. Die meisten (aber nicht alle) Raketentriebwerke sind dabei Verbrennungskraftmaschinen: Sie gewinnen durch Verbrennung eines Treibstoffes (oft mit Oxidationsmitteln) in einer Brennkammer ein energiereiches Produkt und lassen dieses in Gasform durch eine Öffnung austreten. Die thermische Energie und der entstandene Druck in der Brennkammer besorgen beim Austreten durch die sog. Düse mit hoher Geschwindigkeit die Schubkraft durch Rückstoß.

Bei den existierenden chemischen Varianten liegt beim Feststoffraketentriebwerk der Treibstoff in fester Form vor, der Treibstofftank ist hierbei auch die Verbrennungskammer; beim Flüssigkeitsraketentriebwerk liegt flüssiger Treibstoff vor. Bei monopropellanten Flüssigtreibstoffen handelt es sich um nur eine Komponente, bei bipropellanten Treibstoffen existieren zwei Komponenten des Treibstoffes, die gesondert gelagert werden. Der Treibstoff wird unmittelbar vor dem Verbrennungsprozess gesteuert in eine Brennkammer gepumpt. Bei Hybridraketentriebwerken liegt sowohl flüssiger als auch fester Treibstoff vor, wobei der flüssige dem Festen kontrolliert zugeführt wird.

Ein Ionenantrieb.

Bei den in der Entwicklung befindlichen elektrischen Varianten wird elektrische Energie verwendet, um den Treibstoff zu verwerten. Es wird nach Art der Verwertung (Lichtbogen, Widerstandsheizung, Ionisation) unterschieden: Die elektrothermischen und elektromagnetischen Varianten sind Magnetfeldoszillationsantriebe (Plasma als Arbeitsmedium), die elektrostatische Variante ist ein der Ionenantrieb (erzeugt Ionen). Es kann innerhalb der elektrostatischen Varianten zudem nach der Art der elektrischen Energiequelle unterschieden werden.

Ein solarthermischer Antrieb, Solar Orbit Transfer Vehicle, SOTV, für den Wechsel von LEO nach GEO, ist in Entwicklung. Dabei konzentrieren zwei aufblasbare Parabolspiegel die Sonnenstrahlung auf einen Graphitblock, durch den Wasserstoff geleitet wird, der dadurch auf etwa 2400 Kelvin aufgeheizt wird.

Weiterhin gibt es Hypothesen zu Kaltgas-Raketentriebwerken, bei denen kalte Gase den Rückstoß erzeugen, sowie nukleare Triebwerke, bei denen der Betrieb auf nuklearen Reaktionen beruht.

Bei den nuklearen Raketenantrieben ist der Kernspaltungsantrieb zu erwähnen, bei dem durch nukleare Reaktionen hohe Temperaturen erzeugt werden, die dann zum Ausstoß einer Stützmasse dienen. Dazu gehört das von 1954 bis 1972 laufende Projekt NERVA der NASA, sowie 1992 Timberwind im Rahmen der SDI-Initiative.

Vorgeschlagen wurde auch die Erzeugung hoher Temperaturen für Rückstoßantriebe durch Kernfusion. Weiterhin ist die Hypothese des nuklearen Pulsantriebs zu nennen, der die Beschleunigung des Raumschiffes durch nuklear erzeugte Explosionen bereitstellen sollte (siehe: Orion-Projekt, aufgrund des 1963 in Kraft getretenen Vertrages zum „Verbot von Nuklearwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser“ abgebrochen.)

Startmechanismen

Eine künstlerische Umsetzung der Idee eines elektromagnetischen Katapultes (NASA).
In Jules Vernes Roman „Von der Erde zum Mond“ (1865) wurde eine Kanone zum Abschuss des Flugkörpers genutzt.
Schemazeichnung zur Idee eines Weltraumliftes

Für einen Start von der Erdatmosphäre gegen die Schwerkraft ist ein großer Schub nötig. Viele der auf dieser Seite aufgeführten Alternativen zum heute dazu genutzten chemischen Raketenantrieb könnten keinen ausreichenden Schub für einen Start von der Erdoberfläche bieten (Beispiel: Ionenantrieb), sind für einen Startablauf völlig ungeeignet (Beispiel: Sonnensegel) oder würden die Erde unverhältnismäßig verschmutzen (nuklearer Antrieb). Da diese Antriebe aber im Weltraum (vielleicht) sinnvoll eingesetzt werden könnten, wurden einige Methoden speziell für den Start vorgeschlagen, die sogenannten Startmechanismen (engl. launch mechanisms); dazu zählen Abschussmechanismen, Liftanlagen und Trägerschiffe etc.

Das älteste Konzept eines Startmechanismus ist das einer Abschussvorrichtung (Weltraumschleuder, engl. Space gun), der Abschuss des Flugkörpers aus einer Kanone. Aus physikalischer Sicht ist hier zu erwähnen, dass zum Abschuss eines ballistischen Geschosses ohne Eigenantrieb bis in eine erdnahe Umlaufbahn die erste kosmische Geschwindigkeit erreicht werden muss. Der Ursprung des Konzepts liegt in dem Roman „De la Terre à la Lune“ (Von der Erde zum Mond) Jules Vernes aus dem Jahr 1865, in dem dieser zahlreiche Einzelheiten der heutigen Raumfahrt erstaunlich genau vorhersagte. Der Abschuss mithilfe einer Kanone wird heute wissenschaftlich kaum mehr beachtet, andere Startmethoden jedoch binden auch aktuell wissenschaftliches Interesse:

Es gibt einen wissenschaftlichen Vorschlag für ein elektromagnetisches Katapult (engl. mass driver, auch railgun genannt). Ein solches elektromagnetisches Katapult ließe sich mit dem Prinzip eines Gaußgewehrs (engl. coilgun) im größeren Maßstab vergleichen: Das abzuschießende Objekt wird auf einer Startvorrichtung, beispielsweise einer Schienenform, befestigt, und darauf beschleunigt, bis es am Ende der Vorrichtung zum freien Flug kommt.

Ein weiterer Vorschlag ist der eines Weltraumliftes, einer Art Aufzug, welcher, am Erdboden beginnend, aus der Erdatmosphäre heraus bis in den Weltraum führen soll. Nachdem im Jahr 1895 das (nach heutiger Auffassung technisch unmögliche) Errichten eines Turmes (engl. space fountain) bis in den Weltraum vorgeschlagen war, wurde die 1957 zum Weltraumlift (engl. space elevator) abgewandelte Idee in den letzten Jahren wissenschaftlich zahlreich betrachtet. Das Konzept beinhaltet in heutigen Ausführungen ein festes Seil, dass auf der Erdoberfläche verankert würde und an dessen anderen Ende ein Gewicht hinge, welches sich außerhalb der Atmosphäre befände, wobei die Zentripetalkraft das Seil strammziehe und einen daran auf und ab fahrenden Aufzug ermöglichte. Ein zentrales Problem ist die Festigkeit des Seiles – die Festigkeitswerte konnten jedoch in letzter Zeit deutlich verbessert werden.

Das Konzept des Lightcrafts ist eine Art Antrieb durch Laser: Das Raumfahrzeug bekommt durch einen auf der Erdoberfläche befindlichen Laser oder Maser Energie zur Beschleunigung zugeführt. Der Strahl trifft dazu auf einen Reflektor und erzeugt dort hohe Temperaturen, was zur Zündung des am Reflektor befindlichen Treibstoffes führt; die Ausdehnung des Treibstoffes übergibt einen Teil des Impulses an den Flugkörper. Beim Flug innerhalb der Erdatmosphäre sollen die darin befindlichen Gase ausreichen, sodass der Treibstoff des Flugkörpers erst nach dem Start nötig wird. Das Konzept soll für Kleinsatelliten verwendet werden. Das momentan größte Hindernis ist, dass die benötigte Laserstärke nicht bereitgestellt werden kann.

Siehe auch: Weltraumschleuder, Slingatron ..

Trägerschiffe, luftatmende Startmethoden

Zur Reduzierung der zum Start benötigten Treibstoffmassen gibt es Konzepte den Beginn des Startvorganges mit luftatmenden Antrieben (z.B. Strahltriebwerken) zu unterstützen oder Trägerflugzeuge (sog. Raumflugzeuge) zur Beförderung des Raumschiffes in eine gewisse Höhe zu nutzen; siehe: Hopper (Raumfahrt).

Methoden ohne Treibstoffbedarf

Künstlerische Umsetzung der Idee eines Sonnensegels

Nach dem Impulserhaltungssatz ist es unmöglich, dass ein Flugkörper im leeren und kraftfreien Raum ohne Verwendung von Rückstoß durch Abstoßen einer Stützmasse eine Änderung der Bewegungsrichtung vollzieht. Dennoch gibt es Vorschläge für Antriebsmechanismen ohne Treibstoffverbrauch, die darauf beruhen, dass der Weltraum kein leerer und kraftfreier Raum ist.

Sogenannte Sonnensegel (engl. solar sail oder light sail) bzw. Strahlungssegel befinden sich in der Entwicklung und sollen sich den Effekt des Strahlungsdrucks zunutze machen, indem sie mit einem großen Segel elektromagnetische Strahlung einfangen und davon angetrieben werden. Der Schub wäre dabei minimal (und nähme mit der Entfernung von der Strahlungsquelle quadratisch ab), jedoch wäre er ohne Treibstoffverbrauch entstanden und bliebe stetig, solange der Einfluss von Strahlungsquellen mit dem Segel genutzt wird.

Der hypothetische Bussardkollektor soll mittels eines elektromagnetischen Feldes im Weltraum frei vorkommende Atome (wie z.B. Wasserstoff) sammeln und als Treibstoff zu nuklearer Verwendung konzentrieren.

Hypothetische Methoden

Künstlerische Umsetzung der Idee eines Warp-Antriebs.

In den letzten Jahrzehnten wurden zahllose hypothetische und auch vollkommen unwissenschaftliche Antriebsmethoden erdacht, von denen einige auf unsicheren Hypothesen der Physik beruhen, andere direkt gegen Prinzipien der Physik verstoßen. Dennoch wurden einige dieser Hypothesen auch von Wissenschaftlern beachtet und teilweise sogar für möglich erklärt, sodass eine verwirrende Vermischung von Inhalten aus unwissenschaftlichen Erzählungen und physikalischen Hypothesen entstanden ist.

Der gänzlich hypothetische Warpantrieb entspringt dem Science-Fiction-Werk Star Trek des US-amerikanischen Autors Gene Roddenberry und erlaubt dort eine Reisegeschwindigkeit über der Lichtgeschwindigkeit. Der mexikanische Physiker Alcubierre schenkte 1994 dieser Idee Beachtung und erklärte sie angeblich im Journal of Classical and Quantum Gravity aus seiner Sicht für möglich.

Siehe auch

Literatur

  • Marc G. Millis (et al.): Frontiers of Propulsion Science. American Inst. of Aeronautics & Astronautics, Reston 2009, ISBN 1-56347-956-7
  • Martin Tajmar: Advanced space propulsion systems. Springer, Wien 2003, ISBN 3-211-83862-7
  • Paul A.Czysz: Future spacecraft propulsion systems. Springer, Berlin 2006, ISBN 3-540-23161-7
  • Claudio Bruno, Antonio G. Accettura: Advanced Propulsion Systems and Technologies, Today to 2020. American Inst. of Aeronautics & Astronautics, Reston 2007, ISBN 9781563479298
  • Eugen Sänger: Raumfahrt - Technische Überholung des Krieges; Artikel in Aussenpolitik - Zeitschrift für internationale Fragen, 1958, Heft 4

Weblinks


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