Rotten borough

Rotten borough

Der Begriff rotten borough (verfaulte Stadt) steht für Wahlkreise im Königreich England (vor 1707), dem Königreich Großbritannien (1707–1801), dem Königreich Irland (1541–1801) und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Irland (ab 1801), die so wenige Einwohner hatten, dass sie im Parlament als „überrepräsentiert“ angesehen wurden.

Die Erscheinung kam dadurch zustande, dass Wahlkreise während der Jahrhunderte nicht der Bevölkerungsentwicklung angepasst wurden. Die Erscheinung ist deutlich älter als der Ausdruck, welcher erst im 18. Jahrhundert aufkam. Ein rotten borough bestand aus einer Gemeinde (borough) mit einer äußerst geringen Zahl von Wahlberechtigten. Als pocket borough (Stadt in der Tasche) bezeichnete man Wahlkreise, die klein genug waren, dass es einem mächtigen Grundstückbesitzer möglich war, den Sitz im Parlament zu kontrollieren.

Inhaltsverzeichnis

Rotten boroughs

In einigen Wahlkreisen war die Zahl der Wahlberechtigten derart klein, dass es praktisch möglich war, alle Stimmen für die Wahl zum Parlamentsabgeordneten zu kaufen. Weil die Größe und der Zuschnitt der Wahlkreise nicht der Bevölkerungsbewegung angepasst wurden, konnte es vorkommen, dass ein Abgeordneter nur sehr wenige Einwohner repräsentierte (wodurch der Wahlkreis stark überrepräsentiert war). Städte wie Manchester, die während der Industrialisierung stark gewachsen waren, hatten hingegen keine eigenen Vertreter, sondern wurden vom Abgeordneten des County vertreten (in diesem Falle Lancashire).

Stark überrepräsentiert waren zum Beispiel Old Sarum in Wiltshire mit elf Wählern, Newtown auf der Isle of Wight mit 23 Wählern und Dunwich in Suffolk mit 32 Wählern. Jeder dieser Boroughs konnte zwei Abgeordnete entsenden. Viele dieser rotten boroughs wurden von Peers kontrolliert, die den Sitz an ihre Söhne „vererbten“. So konnte es vorkommen, dass der Vater im House of Lords saß und der Sohn im House of Commons.

Rotten boroughs waren meist Orte, die einst eine wichtige wirtschaftliche oder politische Rolle gespielt hatten, jedoch in der Zwischenzeit ihre einstige Bedeutung eingebüßt hatten. Old Sarum war beispielsweise während des 12. Jahrhunderts eine blühende Stadt gewesen. Der Begriff rotten (verfault) konnte deshalb entweder „korrupt“ oder „lange anhaltender Zerfall“ bedeuten.

Pocket boroughs

Zusätzlich existierten so genannte pocket boroughs, in denen die parlamentarische Vertretung von einem oder mehreren „Patrons“ kontrolliert wurde. Sie konnten ihre Macht entfalten, indem sie die ihnen genehmen Kandidaten nominierten, Bürgerrechte verliehen oder Bestechungsgelder zahlten. In einzelnen Fällen konnte eine reiche Person sogar mehrere Wahlkreise kontrollieren. Dem Duke of Newcastle wurde nachgesagt, er habe sieben Boroughs „in seiner Tasche“ gehabt.

Das Ende der rotten boroughs

Im 19. Jahrhundert wurden zahlreiche Schritte unternommen, um die rotten boroughs abzuschaffen und eine ausgeglichenere Vertretung herbeizuführen. Mit dem Reform Act 1832 verschwanden 58 rotten boroughs. Das Gewicht verschob sich vom einst übervertretenen ländlichen Süden in die Industriestädte des Nordens. Viele der pocket boroughs blieben jedoch bis zum Reform Act 1867 bestehen, in dem beschlossen wurde, die Sitze grundsätzlich gemäß der Bevölkerungszahl zu verteilen. Weitere nachfolgende Gesetze vergrößerten die Wählerschaft und schufen die Boundary Commission, die in regelmäßigen Abständen die Größe der Wahlkreise überprüft und anpasst.

Die Einführung des Wahlgeheimnisses im Jahr 1872 machte es den Patrons unmöglich, die Stimme eines einzelnen Wählers zu kontrollieren. Zum ersten Mal überhaupt konnten die Wähler frei entscheiden und mussten nicht auf die Wünsche des Land- oder Hausbesitzers Rücksicht nehmen. Gleichzeitig wurde das „Umwerben“ der Wählerschaft durch Geldgeschenke oder ausgefallene Unterhaltung verboten.

Moderne Verwendung

Heute wird der Begriff rotten borough für einen Wahlkreis verwendet, in dem eine bestimmte politische Partei eine derart hohe Unterstützung genießt, dass der Kandidat praktisch ohne nennenswerte Konkurrenz gewählt wird. Eine etwas höflichere Umschreibung für dieses Phänomen ist „sicherer Sitz“ (safe seat).

Manchmal wird der Begriff auch für eine Person oder eine Familie verwendet, die das gleiche Gebiet während langer Zeit vertreten hat. Selbst bei einem Parteiwechsel blieben die Wähler solcher Wahlkreise ihrem Abgeordneten treu. Als rotten boroughs werden auch Abteilungen einer Stadtverwaltung bezeichnet, die angeblich oder nachweislich korrupt sind.

Literatur

  • Jackson J. Spielvogel, Western Civilization: Volume II: Since 1500. Seite 493. Wadsworth Pub Co, 2002 (5. Auflage), ISBN 0-534-60008-5

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  • rotten borough — noun Brit. (before the Reform Act of 1832) a borough that was able to elect an MP though having very few voters …   English new terms dictionary

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