Seymour Parker Gilbert

Seymour Parker Gilbert
Seymour Parker Gilbert, ca. 1929

Seymour Parker Gilbert (* 13. Oktober 1892 in Bloomfield, New Jersey; † 23. Februar 1938 in New York) war ein US-amerikanischer Anwalt, Banker, Politiker und Diplomat. Bekanntheit erlangte er als Verantwortlicher für die deutschen Reparationszahlungen, ein Amt, das er von Oktober 1924 bis Mai 1930 ausübte.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Karriere in den USA

Seymour Parker Gilbert wurde am Rutgers College ausgebildet und erlangte 1915 einen LL.B.-Abschluss an der Harvard Law School. Anschließend trat er in die New Yorker Kanzlei Cravath & Henderson ein. Von 1918 bis 1920 war er als Berater für Kriegskredite im Finanzministerium der Vereinigten Staaten tätig. Im Alter von 27 Jahren wurde ihm ein Kabinettsposten in der Regierung Wilson angeboten: Als Nachfolger von Russell Cornell Leffingwell wurde er assistierender Staatssekretär für Steuerangelegenheiten im Finanzministerium (Assistant Secretary of the Treasury). Unter Wilsons Nachfolger Warren G. Harding war er dann von 1921 bis 1923 stellvertretender Finanzminister (Under Secretary of the Treasury).

Gilbert war Berater der Regierung unter drei US-Präsidenten. Die New York Times beschrieb ihn als „den herausragenden brillanten jungen Mann in Regierungsdiensten“. Gilbert sei bekannt dafür gewesen, halbe Nächte durch zu arbeiten und bekam dafür in Washingtoner Kreisen den Beinamen „The Thinking Machine“ (Die Denkmaschine).[1]

Generalagent für Reparationszahlungen in Berlin

1924 wurde er durch die alliierte Reparationskommission zum Generalagenten für Reparationszahlungen ernannt. Er war in dieser Funktion für die Ausführung des Dawes-Plans verantwortlich und traf immer wieder mit zentralen Figuren der Weimarer Regierung zusammen, unter anderem am 10. März 1927 mit Reichskanzler Wilhelm Marx. Marx klagte Gilbert gegenüber, dass es im Ausland den Anschein habe, Deutschland sei reicher als im Staatshaushalt angegeben, worauf...

„Gilbert erklärte, daß er und die Amerikanische Regierung volles Vertrauen zum Kanzler und seiner Politik habe. Es sei durch die durchaus geradlinige und offene Politik, wie sie in den letzten Jahren betrieben worden sei, begründet. Er wolle in keiner Weise in die innere Verwaltung Deutschlands sich einmischen, dürfe aber vielleicht bei dem Verhältnis, das er zum Kanzler gewonnen habe, Ratschläge geben, wie das Mißtrauen, das zweifellos in weiten Kreisen des Auslandes mehr wie zuvor gegen die finanzielle Gebarung Deutschlands bestehe, beseitigt und behoben werden könne. Der Reichsetat sei überaus schwer verständlich und enthalte eine Reihe von Punkten, die für die Ausländer Anlaß zu Mißtrauen gäben. So würde es als auffallend bezeichnet, daß bei den verschiedenen Ministerien Fonds beständen, über die die Ministerien selbständig verfügten. In der nordamerikanischen Union lege man großen Wert darauf, daß nur das Schatzamt über Fonds verfüge, so daß alle Ausgaben klar und übersichtlich an einer Stelle verwaltet würden. Die einzelnen Ministerien meldeten ihre Zahlungen einfach beim Schatzamt an, so daß sie völlige Freiheit über die ihnen zugewiesenen Beträge hätten; die Auszahlung aber erfolge nur durch das Schatzamt.“

Besprechungsprotokoll vom 10. März 1927, in: Akten der Reichskanzlei, das Kabinett Marx III/IV, Band 1, S. 615-617[2]

Reaktionen auf Gilberts Reparations-Jahresbericht von 1929. Vermutlich Bildmontage aus der Tagespresse

Für die Nationalsozialisten war Gilbert die Verkörperung des Unrechts gegen das Nachkriegsdeutschland. Sie sahen in ihm ein Instrument des ausländischen Großkapitals, das das Deutsche Reich wegen des verlorenen Weltkriegs „bluten“ lassen wollte. In einer als „Kaiserkrönung“ deklarierten Massenverstaltung am 27. Januar 1928, dem Geburtstag des ehemaligen Kaisers, verhöhnte der Gauleiter von Brandenburg Wilhelm Kube den für die Einhaltung der Reparationszahlungen zuständigen Gilbert, indem er ihn seiner hetzerischen Rede zum eigentlichen Kaiser Deutschlands erklärte. Die New York Times berichtete einen Tag später auf ihrer Titelseite:

„Es gab einige Buhrufe, als Herr Kube Mr. Gilbert einen Angestellten internationaler Bankiers nannte, der sein Jahreseinkommen von 190.000 Mark aus den Taschen der Deutschen zog und auf ein Personal von 103 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zurückgreifen könne, die ähnlich überbezahlt seien. Aber der Spott wandelte sich in Gelächter, als Herr Kube hinzufügte: ‚Gilbert, ein junger Mann von 32 Jahren, ist seit heute der Deutsche Kaiser. Es ist nicht weniger als angebracht, ihm als gehorsame Untertanen unsere Ehre zu erweisen. Rein persönlich ist er uns egal, wir haben nichts gegen ihn.‘ Er hielt eine Ausgabe von Mr. Gilberts letztem Bericht hoch, den er die ‚Dawes-Bibel‘ nannte, und empfahl, das Buch jedem Schulabgänger in die Hände zu drücken: Es sei ein sicheres Mittel, einen Aufstand der gesamten Nation gegen Deutschlands augenblickliche Versklavung vom Zaun zu reißen.“

New York Times: Reich Fascisti Hail Gilbert as „Kaiser“, 28. Januar 1928, Seite 1. Übersetzt aus dem Amerikanischen

Leitung von JPMorgan in den USA

Mit der Annahme des Young-Plans und der Schaffung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 1930 wurde Gilberts Posten im Deutschen Reich abgeschafft. Gilbert kehrte mit mehreren Auszeichnungen europäischer Regierungen in die USA zurück und stieg 1931 als Partner in die Geschäftsführung des Bankhauses JPMorgan ein. In zahlreichen Fachartikeln kritisierte er das amerikanische Kredit- und Steuersystem, unter anderem als „das schlechteste der Welt“. Seymour Parker Gilbert starb im Alter von 45 Jahren nach einem Herzleiden an einem Herzinfarkt. Er hinterließ eine Frau und drei Kinder. Der älteste Sohn Seymour Parker Gilbert III war in den 1980er Jahren Geschäftsführer bei Morgan Stanley. Unter seiner Leitung (bis 1990) erlebte dieser Finanzkonzern den größten Aufschwung seiner Geschichte.[3]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Die New York Times erwähnt in diesem Nachruf vom 24. Februar 1938 den Ausdruck „Brain Trust“, der ideal auf Gilbert zugetroffen hätte, der aber zu seinen Zeiten in Washington noch nicht geläufig gewesen sei.
  2. Das komplette Sitzungsprotokoll befindet sich im Bundesarchiv und ist hier nachzulesen.
  3. Sie dazu die New York Times vom 18. Mai 1990

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