Situativer Ansatz

Situativer Ansatz

Die situativen Ansätze der Organisationstheorie entwickelten britische und amerikanische Sozialwissenschaftler ab den 1960er Jahren. Im Fokus ihrer Untersuchungen standen die Zusammenhänge zwischen spezifischen Variablen (z.B. Technik, Markt) der jeweiligen situativen Umwelt und der Organisationsstruktur und ihrer Effizienz. Der situative Ansatz wird von der Organisationslehre überwiegend als überholt eingeschätzt.[1]

Damals waren Wirtschaft und Gesellschaft vom Fortschritt der Informationstechnologie, von zunehmender Komplexität der Unternehmensorganisationen und steigendem Bildungsniveau der Mitarbeiter geprägt. Daher wurde es nötig, die Existenz allgemein gültiger Organisationsprinzipien in Frage zu stellen. Es wurden in diesem Zusammenhang sowohl die positiven Elemente der bisherigen Ansätze als auch deren Kritikpunkte in die Entwicklung dieses neuen Ansatzes mit einbezogen.

Unter dem Begriff des situativen Ansatzes werden heute alle Beiträge zusammengefasst, die verschiedene reale Organisationsstrukturen auf Unterschiede in der spezifischen Situation zurückführen, in denen sich die jeweilige Organisation zurzeit befindet. Weiter geht man davon aus, dass das Zusammenspiel zwischen Organisationsstruktur und Verhaltensweise, je nach Situation, unterschiedlich effizient ist.

Das Ziel ist daher die Aufdeckung der Wirkungszusammenhänge zwischen Organisationsstruktur, Verhalten der Organisationsmitglieder sowie Effizienz der Organisation in der spezifischen Situation. Es ist auch eine Suche nach dem idealen Führungsstil, der in einer spezifischen Situation den größten Führungserfolg bringt.

Inhaltsverzeichnis

Grundthesen

Zwei Grundthesen kennzeichnen die Beiträge des situativen Ansatzes:

1. Unterschiedliche Organisationsstrukturen und unterschiedliche Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder sind auf Unterschiede der Situation zurückzuführen, in der sich die Unternehmen befinden.

2. Organisationsstrukturen und Verhaltensweisen sind je nach Situation unterschiedlich effizient.“[2]

Diese Hypothesen lassen somit keine verallgemeinerbare optimale Form von Organisationen zu. Die starre Typologisierung von Organisationsstrukturen wird stattdessen zu Gunsten der Beschreibung von Organisationen durch Merkmalsvariablen mit unterschiedlicher Ausprägung aufgegeben.

Die Beiträge des situativen Ansatzes werden bei Alfred Kieser und Herbert Kubicek in analytische und pragmatische Varianten unterteilt.

Analytische Varianten

Hier geht es um die Verfolgung eines theoretischen Wissenschaftszieles. Dafür werden die Strukturvariablen der Organisation als abhängige Größen aufgefasst. Die Situationsvariablen hingegen werden zur Erklärung von Unterschieden in den untersuchten Organisationsstrukturen als unabhängige Größen aufgefasst.

Drei Fragestellungen kennzeichnen das Forschungsprogramm des analytisch situativen Ansatzes:

1. Wie können Organisationsstrukturen beschrieben – in Begriffe gefasst – und operationalisiert – messbar gemacht – werden, um Unterschiede zwischen Organisationsstrukturen in empirischen Untersuchungen aufzeigen zu können?

2. Welche situativen Faktoren oder Einflussgrößen erklären eventuell festgestellte Unterschiede zwischen Organisationsstrukturen?

3. Welche Auswirkungen haben unterschiedliche Situation-Struktur-Konstellationen auf das Verhalten der Organisationsmitglieder und die Zielerreichung (Effizienz) der Organisation? Läßt sich für jede Situation eine Organisationsstruktur finden, die das Verhalten der Organisationsmitglieder so steuert, dass die Effizienz der Organisation gesichert werden kann?“[3]

Häufig werden auch „Warum-Fragen“ zum Erkenntnisgewinn herangezogen. Die aus diesen Fragen gewonnenen Erkenntnisse sind dann neue Theorien[4].

Voraussetzungen

Für die Beantwortung dieser Fragen müssen zuvor folgende Parameter definiert werden:

  • Festlegung der situativen Faktoren die zur Messung notwendig sind. Diese Faktoren müssen operationalisiert werden, damit sie in empirischen Untersuchungen miteinbezogen werden können. Beispiele hierfür sind Stärken sowie Häufigkeiten von Nachfrageschwankungen oder Auftreten neuer Konkurrenten auf dem Markt. Es können auch Mitglieder der Organisation über ihre Ansichten zu diesem Thema befragt werden.
  • Weiter ist zu klären, welche Dimensionen des Verhaltens, Effizienz in Abhängigkeit von formaler Organisationsstruktur und der Situation der Organisation selbst gemessen werden sollen.

Sind diese Parameter definiert, kann man den Zusammenhang zwischen den situativen und strukturellen Variablen auf Basis empirischer Daten ermitteln. Hypothesen zu bilden, ist hierfür nötig[5].

Pragmatische oder handlungsbezogene Varianten

Ziel ist die Formulierung von Gestaltungsmöglichkeiten und -empfehlungen, sowie deren Begründung. Die Auswahl jener Strukturvariante, die der Situation des Unternehmens am besten entspricht, spielt hier eine entscheidende Rolle[6].

Aufgabe der Organisationsforschung ist es dann, die als relevant anzusehenden Situationsvariablen festzulegen und in Folge die richtigen Schlussfolgerungen für die organisatorische Gestaltung zu ziehen[7].

Bei der organisatorischen Gestaltung sind die Strukturvariablen so zu wählen, dass Konsistenz mit den situativen Bedingungen des Unternehmens besteht. Dafür ist ein Organisator erforderlich, der diese optimale Strukturalternative ermittelt[8].

Um dies zu erreichen, werden „Wie-Fragen“ eingesetzt, deren Antworten denjenigen nützen sollen, die Probleme der organisatorischen Gestaltung in der Praxis zu lösen haben[9].

Dimensionen der Organisationsstruktur

Die Merkmale der Organisationsstruktur werden anhand von Dimensionen gegliedert. Sie ist eine Konstellation von Regelungen.

Dimensionen der internen Situation Dimensionen der externen Situation
Gegenwartsbezogene Faktoren:
  • Leistungsprogramm
  • Größe
  • Fertigungstechnologie
  • Informationstechnologie
  • Rechtsform und Eigentumsverhältnisse
Aufgabenspezifische Umwelt:
  • Konkurrenzverhältnisse
  • Kundenstruktur
  • Technologische Dynamik
Vergangenheitsbezogene Faktoren:
  • Alter der Organisation
  • Art der Gründung
  • Entwicklungsstadium der Organisation
Globale Umwelt:
  • gesellschaftliche Bedingungen
  • kulturelle Bedingungen


Die wichtigsten situativen Faktoren, die in empirischen Studien analysiert wurden, sind Umwelt, Technologie und Größe der Organisation sowie, in abgeschwächter Form, Rechtsform und Leistungspolitik.

Exemplarische Studien

Eine klassische Studie über den Einfluss der Marktumwelt auf die Organisationsstruktur ist The Management of Innovation (1961) von Tom Burns und George M. Stalker. Vereinfacht dargestellt, paaren die Autoren statische Märkte mit mechanischen und dynamische Märkte mit organischen Organisationssystemen.

Pioniercharakter hat die Untersuchung von Joan Woodwards Industrial Organisations: Theory and Practice (1965). In ihr untersuchte sie den Zusammenhang von Produktionstechnik (unabhängige Variable) und Produktionsorganisation, d. h. managerielles Leitungs- und Konstrollsystem (abhängige Variable).

Kritik

Einige Punkte, die von Organisationstheoretikern häufig beanstandet werden[10]:

  • Situations- und Strukturmerkmale: Es wird oft die fehlende Berücksichtigung der Koordination durch Selbstabstimmung und der Partizipation an Entscheidungen bemängelt.
  • Angemessenheit statistischer Verfahren: Die statistische Analyse der Zusammenhänge zwischen Struktur- und Situationsvariablen und die Aggregation der Variablen, verglichen mit realen Verhältnissen, ist nicht angemessen.
  • Ungültigkeit der verwendeten empirischen Maße: Bei der Anwendung verschiedener Methoden kommt es oft zu völlig unterschiedlichen Befunden über die strukturellen Zusammenhänge.

Erweiterungen und Nachfolgetheorien

  • Theorie der strategischen Wahl von John Child (1972) Strategic Choice, war eines der ersten erweiterten Konzepte zum situativen Ansatz
  • Konfigurationsansatz von Mintzberg (1979), entwickelte als Erster die sogenannte Strukturtypen bzw. Konfigurationen
  • Strukturationstheorie von Giddens (1984), Dualität von Struktur und Handlung
  • 3D Modell von Reddin (1967), dreidimensionales Führungsmodell
  • Kontingenztheorie von Fiedler (1967), Messung der Effizienz von Führungsstilen mit Hilfe des LPC-Wertes

Literatur

  • Manfred Schulte-Zurhausen: Organisation. 4. Auflage. Vahlen, München 2005, ISBN 3-8006-3205-5
  • Alfred Kieser (Hrsg.): Organisationstheorien. 5. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2002, ISBN 3-17-017917-9
  • Matthias Wunderlich: Qualitätsorientierte Organisationsstrukturen. Shaker, Aachen 1998, ISBN 3-8265-3791-2
  • Martin Heinl: Ultramoderne Organisationstheorien. Lang, Frankfurt/Main, Wien (u.a) 1996, ISBN 3-631-50059-9
  • Wilhelm Hill: Organisationslehre. Theoretische Ansätze und praktische Methoden der Organisation sozialer Systeme. 4. Auflage. Bern 1992, ISBN 3-258-04389-2
  • Alfred Kieser, Herbert Kubicek: Organisation. 3. Auflage. Berlin/New York 1992

Weblinks

Quellen

  1. Schreyögg: Organisation. 2.  Aufl., 1998, S.  54 ff., 63 ff. oder Frese: Organisation. 7. Aufl., 1998, S. 460 f.
  2. Schulte-Zurhausen 2005, S. 23
  3. Kieser 2002, S. 171
  4. Schulte-Zurhausen 2005, S. 24
  5. Kieser 2002, S. 172ff.
  6. Schulte-Zurhausen 2005, S. 26
  7. Schulte-Zurhausen 2005, S. 28
  8. Schulte-Zurhausen 2005, S. 26
  9. Schulte-Zurhausen 2005, S. 24
  10. Kieser/Kubicek 1992, S. 411

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