Organisationstheorie

Organisationstheorie

Organisationstheorie und Organisationsforschung, kurz OB (vom engl. Organizational Behaviour), haben den Zweck, Organisationen – ihr Entstehen, ihr Bestehen und ihre Funktionsweise – zu erklären und zu verstehen. Es existieren eine Vielzahl von Organisationstheorien, da Organisationen hochkomplexe Gebilde sind und der Gegenstandsbereich der Organisationstheorie sehr breit ist. Allen Ansätzen ist ihr Objektbereich – die Organisationen und ihre Zielsetzung – gleich, während sie jeweils bestimmte Aspekte untersuchen.

Inhaltsverzeichnis

Klassische Ansätze

Bürokratieansatz

Als wesentlicher Ansatz kann der Bürokratieansatz des deutschen Soziologen Max Weber (1864–1920) genannt werden, welcher vor allem in den USA zur Erklärung formaler Organisationen herangezogen wurde. Weber versteht unter Bürokratie eine leistungsfähige Organisationsform, die durch Arbeitsteilung, Amtshierarchie, Regeln und Normen zur Aufgabenerfüllung und Aktenmäßigkeit der Verwaltung gekennzeichnet ist.

Bis zum heutigen Tag ist Max Webers Bürokratieansatz ein Höhepunkt der Organisationstheorie geblieben. In den sechziger Jahren fand dieser Ansatz Eingang in die betriebswirtschaftliche Organisationslehre.

Scientific Management und Taylorismus

Geprägt wurde dieser Ansatz vor allem durch den verstärkten Einsatz von Maschinen und standardisierten Massenproduktionen (industrielle Revolution). Vor diesem Hintergrund entstand ein Bedarf an Managementleitfäden zur Gestaltung der neuartigen Fabriken. Frederick Winslow Taylor (1856–1915) entwickelte den Ansatz des Scientific Management, in der Weiterentwicklung auch Taylorismus genannt. Ziel war es, sowohl die Produktivität der Arbeiter als auch der Effizienz des Managements zu steigern.

Taylors Managementprinzipien enthielten folgende fünf Komponenten: Trennung von Hand- und Kopfarbeit, Analyse der menschlichen Arbeit in Zeitstudien, Differential-Lohnsystem, Festlegung des täglichen Arbeitspensums und Funktionsmeistersystem.

Administrations- und Managementlehre

Die Administrations- und Managementlehre wurde in den USA und in Großbritannien entwickelt und lässt sich auf die Arbeiten von Henri Fayol (1841–1925) zurückführen.

In erster Linie stehen Fragen der Aufgaben- und Abteilungsbildung und der Koordination im Mittelpunkt. Fragen der Verwaltung und Probleme der Unternehmensführung standen daher im Vordergrund. Einen wichtigen Teil der Lehre stellte der Katalog von Managementfunktionen dar, welcher Vorausplanung, Organisation, Auftragserteilung, Koordination und Kontrolle beinhaltete.

Ein weiterer wichtiger Punkt seiner Lehre war der Grundsatz der Einheit der Auftragserteilung. Dieser besagt, dass eine in der Hierarchie nachgeordnete Stelle jeweils nur von einer übergeordneten Instanz Weisungen erhalten kann. Um aber den Nachteil langer Informationswege zu vermeiden, lässt Fayol den Kontakt zwischen gleichrangigen Positionen zu (Fayolsche Brücke).

Betriebswirtschaftliche Organisationslehre

Die betriebswirtschaftliche Organisationslehre, eine Teildisziplin der Betriebswirtschaftslehre, ist eine deutsche Thematik und entwickelte sich ab 1930. Ausgangsbasen waren vor allem die Arbeiten von Fritz Nordsieck um 1930, aus denen sich die Aufbau- und Ablauforganisation herausbildete. Ebenso wie Nordsieck stellt auch Erich Kosiol die Aufgabe in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff des Aufgabenträgers geprägt. Eine Weiterentwicklung und der Abschluss dieses Ansatzes erfolgte durch Erwin Grochla.

Organizational Behaviour

Organizational Behaviour (britisches engl. auch Organizational Behavior für organisatorisches Verhalten) gehört im anglo-amerikanischen Sprachraum zum Grundstock aller sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge auf akademischem Niveau. Im Kern geht es um den auf Wertschöpfung zielenden Umgang mit Formen der Gestaltung und Sicherung von sozialen Regeln, Prozessen, Funktionen und Strukturen. Hierbei werden unterschiedliche Kontexte (z. B. Erwartungen, Verhalten oder Sinn) auf ihre Wirkungen hin betrachtet.

Verhaltensorientierte Ansätze

Human-Relations-Ansatz

Der Ursprung der Human-Relations-Bewegung sind die Hawthorne-Experimente, in denen die Wirkungen der Arbeitsbedingungen auf die Arbeitsleistung untersucht wurden. Die Kernaussage dieses Ansatzes ist, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und nach eigenen Gesetzen funktioniert. Daraus folgt, dass eine positive Einstellung gegenüber der Arbeit bei den Mitgliedern der Organisation und den Vorgesetzten zu einer hohen Zufriedenheit führt. Diese Zufriedenheit bewirkt wiederum eine hohe Arbeitsleistung.

Organisationsentwicklung

Die Organisationsentwicklung (OE) gründet auf Erkenntnissen aus der gruppendynamischen Laboratoriumsmethode (NTL-Institut) und dem Survey-Feedback. "Die Betroffenen zu Beteiligten Machen" ist ein Kernkonzept der OE und hat auch in vielen anderen Methoden Eingang gefunden. Gemeinsame Lernprozesse werden initiiert und methodisch begleitet. Durch "geplanten sozialen Wandel" werden die Fähigkeiten aller Beteiligten und der Organisation als Ganzes für Entwicklung und Veränderung genutzt. Dabei werden die Gesetzmäßigkeiten sozialer Gemeinschaften genutzt und (wie beim Human-Relations-Ansatz) die Interessen der Mitarbeiter berücksichtigt. OE wird in großen Firmen, in Verwaltungen, Kirchen, sozialen Einrichtungen und der Armee eingesetzt.

Motivationstheoretische Ansätze

Im Anschluss an die Human-Relations-Bewegung entwickelte sich mit der Motivationstheorie eine Forschungsrichtung, die das menschliche Verhalten zum Gegenstand hat. Es wird hauptsächlich der Zusammenhang zwischen Motivation bzw. Frustration, Zufriedenheit und Leistung untersucht.

Als Vertreter sind vor allem Abraham Maslow, Douglas McGregor und Frederick Herzberg zu nennen. Maslow entwickelte die Bedürfnispyramide und klassifizierte die handlungsbestimmenden Motive des Menschen in ein Fünf-Stufen-Schema. Douglas McGregor ging mit seiner X-Y-Theorie davon aus, dass jede Führungsentscheidung durch ein bestimmtes Menschenbild geprägt wird. Die Kernaussage der Zweifaktoren-Theorie von Frederick Herzberg besagt hingegen, dass der Arbeitsinhalt, also die Hygienefaktoren und die Motivatoren, die Motivation maßgeblich bestimmen.

Der ästhetische Ansatz der Organisationsforschung

Hauptartikel: Wirtschaftsästhetik

Seit rund zwanzig Jahren verfolgen Forscher einen ästhetischen Ansatz der Organisationsforschung. So sprechen Linstead und Höpfl[1], Strati[2] und auch Carr und Hancock[3] von Organizational Aesthetics, im Deutschen wird der Begriff nicht wortwörtlich als Organisationsästhetik übersetzt, sondern es wird der Terminus "Wirtschaftsästhetik" verwendet[4]. Der Ansatz untersucht die ästhetische Wahrnehmung in und von Organisationen. Ästhetik wird hier nicht im Sinne von "Schönheit" oder wie in der Kunsttheorie zur Beurteilung von Kunstwerken verwendet, sondern gemäß der Grundbedeutung als "sinnliche Wahrnehmung", wie sie beispielsweise Baumgarten [5]als Begründer der modernen Ästhetik formuliert. Durch die Beschäftigung der "sinnlichen Wahrnehmung" erhofft sich die Organisationsforschung Erkenntnisse über die damit verbundene Bildung von Wissen, Erkenntnis und Einstellungen, die das Leben in Organisationen beeinflussen[6]. Organisationen werden gemäß der konstruktivistischen Perspektive als ein nicht ausschließlich kognitives Konstrukt gesehen. Stattdessen geht man davon aus, dass Organisationsteilnehmer nicht nur rein rational, sondern körperlich-ästhetisch auf Architektur, Arbeitsplatzgestaltung, Atmosphäre und vor allem Teams und Führung reagieren, und sich aufgrund des daraus generierten impliziten Wissens entsprechend verhalten - und auch beeinflussen lassen.[7]

Entscheidungsorientierte Ansätze

Entscheidungslogisch-orientierte Ansätze

Der Entscheidungslogisch-orientierte Ansatz versucht, organisatorische Gestaltungsprobleme mit Hilfe von mathematischen Algorithmen oder in Form von verbalen Entscheidungsmodellen zu lösen. Jedoch weisen mathematische Verfahren als große Schwäche auf, dass sie nur wenige Variablen mit bestimmten Nebenbedingungen berücksichtigen.

Entscheidungsprozess-orientierte Ansätze

Entscheidungsprozess-orientierte Ansätze sehen in Organisationen Systeme, in denen Entscheidungen getroffen und koordiniert werden müssen. Das Entscheidungsverhalten wird dabei wesentlich durch die Organisationsstruktur beeinflusst.

Situative Ansätze

Analytische Varianten und pragmatische Varianten

Die situativen Ansätze der Organisationstheorie entwickelten sich in den USA und in England Mitte der 60er Jahre. Ziel solcher Ansätze ist die Aufdeckung der Zusammenhänge zwischen der Organisationstheorie, dem Verhalten der Organisationsmitglieder, Effizienz der Organisation und der jeweiligen Situation.

Der situative Ansatz formuliert seine Aussagen in Bedingtheitsaussagen. Es gibt daher keine optimale Form der Organisation. Unterschieden wird in analytische Varianten, wo es um die Verfolgung eines theoretischen Wissensziel geht und pragmatische Varianten, wo im Mittelpunkt die Formulierung von Gestaltungsmöglichkeiten und Gestaltungsempfehlungen steht.

Siehe auch: Situativer Ansatz.

Systemorientierte Ansätze

Systemtheoretisch-kybernetischer Ansatz

Die Systemtheorie geht auf den österreichischen Biologen Ludwig von Bertalanffy (1901–1972) zurück. Diese Theorie dient zur Erklärung von Prozessen des Wachstums, der Anpassung und der Selbstregulation. Die Kybernetik als Wissenschaft von der Steuerung und Regelung von Systemen hingegen, wurde vom Amerikaner Norbert Wiener (1894–1964) begründet.

Beiden übergreifenden Wissenschaften liegen Denkweisen zugrunde, die oft als ganzheitliches Denken bzw. Lenkung von Systemen charakterisiert werden. Kernaussage ist, dass soziale Systeme über die Fähigkeit zur Selbstorganisation verfügen und hierbei Verhaltensregeln weiterentwickeln. Demnach entstehen nach der Systemtheorie und Kybernetik Strukturen von selbst.

Soziologie

Ein soziologischer Systembegriff wurde erstmals von Talcott Parsons formuliert. Eine darauf aufbauende soziologische Systemtheorie wurde dann in den 1980er Jahren von Niklas Luhmann formuliert und etwa von seinem Schüler Dirk Baecker mit Blick auf Wirtschaft und Unternehmen weiter entwickelt.

Ebenfalls die soziologische Perspektive auf Organisationen verfolgt grundsätzlich die Organisationssoziologie.

Soziotechnischer Ansatz

Das Konzept soziotechnischer Systeme wurde Anfang der 50er durch Eric Trist begründet. Sein Anliegen war es, die Arbeit menschlicher zu gestalten und gleichzeitig die Leistung zu steigern. Der soziotechnische Ansatz betrachtet Organisationen als offene Systeme, deren Hauptaufgabe die Transformation von Input in Output darstellt. Mensch, Arbeit, Organisation und Technik werden dabei grundsätzlich als gleichwertig angesehen.

Soziosystemischer Ansatz

Das Soziosystemischer Modell wurde durch Russell Ackoff entwickelt. Es betrachtet die Organisation als ein soziales System, dessen Teile ihre eigenen Zwecke verfolgen. Auch das System als Ganzes hat das Ziel, sich selbst, seine Teile und oft auch das übergeordnete System weiterzuentwickeln. Ackoff nennt fünf Eigenschaften, die eine soziosystemische Organisation erfüllen muss:

  1. sie muss demokratisch sein
  2. sie muss ein Mechanismus zum internen Austausch von Dienstleistungen implementieren (interner Markt)
  3. sie braucht eine mehrdimensionale Struktur
  4. sie muss einen Prozess der Interaktiven Planung implementieren um sich selbst kontinuierlich zu gestalten
  5. sie benötigt ein Entscheidungsfindungssystem, das diese kontinuierliche Gestaltung unterstützt

Anwendung in der Führung

In der Praxis (Unternehmensführung, Geschäftsführung, Teamführung) werden verschiedene Führungsstile angewendet, denen teils theoretische Ansätze zugrunde liegen. Auf den situativen Ansatz folgt etwa die Kontingenztheorie. Weiter können nach den motivationstheoretischen Ansätze z. B. die Führungsstile nach Lewin verwendet werden, bei denen zum Beispiel zwischen autoritärer und demokratischer Führung unterschieden wird. Weitere Theorien sind die Prinzipal-Agent-Theorie oder die Transaktionskostentheorie.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Linstead und Höpfl (2000) "The Aesthetics of Organization"
  2. Strati (1999) "Organization and Aesthetics"
  3. Carr und Hancock (2003) "Art and Aesthetics at Work"
  4. Biehl-Missal, Brigitte: Wirtschaftsästhetik. Wie Unternehmen die Kunst als Inspiration und Werkzeug nutzen, Gabler, Wiesbaden 2011, S. 10 f.
  5. [18] Baumgarten, A. (1750/1759 [2007]) Ästhetik, hg. v. Dagmar Mirbach, 2 Bde. Lateinisch-Deutsch. Hamburg: Felix Meiner, Philosophische Bibliothek
  6. Taylor, S. & Hansen, H. (2005) ‘Finding form: looking at the field of organizational aesthetics’ Journal of Management Studies 42 (6): 1216
  7. Warren, S. & Rehn, A. (2006) ‘special issue on oppression, art and aesthetics’ Consumption Markets & Culture 9 (2): 81–85

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