Spontane Spaltung

Spontane Spaltung

Spontane Spaltung (spontane Kernspaltung, auch Spontanzerfall, Spontanteilung; engl.: spontaneous fission) ist eine Kernspaltung, die als radioaktiver Zerfall eintritt. Ein schwerer Atomkern (Ordnungszahl 90 oder höher) teilt sich dabei ohne äußere Einwirkung - also auch ohne Neutronenbestrahlung - in zwei (selten mehrere) meist mittelschwere Kerne.

Der Alphazerfall, also die Emission eines Helium-4-Kerns, zählt nicht zur Spontanspaltung.

Inhaltsverzeichnis

Beispiele

Bei allen in der Natur vorkommenden Thorium- und Uran-Isotopen, Th-232, U-234, U-235 und U-238, kann neben dem vorherrschenden Alphazerfall als weiterer Zerfallskanal auch die spontane Spaltung des betreffenden Atomkerns in zwei Kerne unter Emission von meist zwei oder drei Neutronen beobachtet werden, z. B. gemäß

{}^{238}_{\ 92} {\rm U} \xrightarrow {sf}
{} ^{140}_{\ 54} {\rm Xe} + {} ^{96}_{38} {\rm Sr} + 2 \ {} ^{1}_{0} {\rm n}

oder

{}^{238}_{\ 92} {\rm U} \xrightarrow {sf}
{} ^{133}_{\ 51} {\rm Sb} + {} ^{102}_{\ 41} {\rm Nb} + 3 \ {} ^{1}_{0} {\rm n}

sf = spontaneous fission

Auch bei sehr vielen der noch schwereren, nur künstlich herstellbaren Nuklide, den Transuranen, tritt neben Alpha- oder Beta-Zerfall spontane Spaltung auf.

Erklärung und Eigenschaften

Die Spontanspaltung wird wie der Alphazerfall und die induzierte Spaltung grundsätzlich durch den Tunneleffekt erklärt. Allerdings muss für Spaltfragmente im Vergleich zu Alphateilchen mit einer Coulombbarriere von komplizierterer Form gerechnet werden.[1]

Wie die induzierte Spaltung erfolgt auch die spontane Spaltung bevorzugt asymmetrisch, d.h. die beiden Spaltfragment-Kerne sind meist verschieden groß. Die Massenverteilung der entstehenden Nuklide ist daher eine Kurve mit zwei "Höckern" bei Massenzahlen um 90 und um 140, ähnlich wie bei der Spaltung durch thermische Neutronen. Auch das Energiespektrum der freigesetzten Neutronen ist demjenigen aus der induzierten Spaltung sehr ähnlich.

Die partielle Zerfallskonstante (Wahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit) für die spontane Spaltung ist meist kleiner als diejenige für den Alphazerfall desselben Nuklids. Will man sie durch die etwas anschaulichere, fiktive partielle Halbwertszeit ausdrücken, ist diese dementsprechend lang.

Entdeckungsgeschichte

Die Möglichkeit einer spontanen Spaltung von Uran wurde zum ersten Mal im Jahre 1939 von N.Bohr und A.Wheeler vermutet.[2]

Ein Jahr später gelang es Georgi Fljorow und Konstantin Petrschak, dieses Phänomen an natürlichem Uran nachzuweisen.[3] Sie wandten hierzu die von Otto Frisch entwickelte Ionisationskammermethode an (s. Entdeckung der Kernspaltung). Sie mussten allerdings das Kammervolumen erheblich vergrößern, um eine Probenmenge von ca. 15 g Uranoxid U3O8 darin unterzubringen. Mit dieser Probe wurden von der Apparatur etwa 6 Impulse pro Stunde registriert; war die Ionisationskammer leer (also ohne U3O8-Füllung), so wurde in 5 Stunden kein einziger Impuls gemessen. Aufgrund dieser Messung und zahlreicher Kontrollversuche kamen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die beobachteten Impulse nur von sehr energiereichen, von der U3O8-Oberfläche emittierten Bruchstücken des Urans stammen konnten. Da die Mitwirkung von Neutronen ausgeschlossen werden konnte, ließen die Versuchsergebnisse sich nur durch die Annahme einer Spontanspaltung erklären.

Der Versuch gab allerdings keinerlei Aufschluss darüber, bei welchem der drei natürlichen Uranisotope, U-238, U-235 und/oder U-234, die Spontanspaltungen stattgefunden hatten. Heute sind für alle drei Isotope ihre von Null verschiedenen partiellen Zerfallswahrscheinlichkeiten für Spontanspaltung bekannt. Diejenige von U-238 ist am größten.

Verzweigungsverhältnisse für Spontanspaltung

Die nachfolgende Tabelle gibt unter "Häufigkeit" die Verzweigungsverhältnisse, d.h. prozentualen Anteile der Zerfallskanäle für einige Nuklide der Ordnungszahlen 90 bis 106 an. Insgesamt sind etwa 100 Nuklide mit den beiden Zerfallskanälen Alphazerfall und Spontanspaltung bekannt.[4]

Der Spaltungsparameter

In der dritten Spalte der Tabelle ist für jedes Nuklid dessen "Spaltungsparameter" (auch Spaltparameter, Spaltbarkeitsparameter; engl.:fissionability parameter) Z2/A (Z = Ordnungszahl, A = Massenzahl) angegeben. Er nimmt mit steigender Ordnungszahl zu. Berechnungen auf der Grundlage des Tröpfchenmodells ergeben, dass Atomkerne mit einem Wert von

Z2/A > 49

nicht existenzfähig sind, weil sie unmittelbar nach ihrer Entstehung durch Spontanspaltung zerfallen müssten.[5] [6] [7] Bei den bisher experimentell dargestellten Transuranen (Elemente 93 bis 118) liegt Z2/A bei höchstens 47,4. Erst bei Z > 130 sollte der Grenzwert 49 erreicht werden. Nach neueren Erkenntnissen ist auch dann ungewiss, ob wirklich in jedem Fall die sofortige Spontanspaltung eintritt. [6]

Partielle Halbwertszeiten

Die Tabelle nennt auch die sogenannten partiellen Halbwertszeiten für die beiden Zerfallsarten. Diese fiktiven Größen (siehe Zerfallskanal), die sich aus den Messgrößen Halbwertszeit und Verzweigungsverhältnis ergeben, dienen nur der Veranschaulichung und sind nicht mit der wirklichen Halbwertszeit des Nuklids zu verwechseln.


Z Nuklid Z2/A Halbwertszeit
(1)
Häufigkeiten (%)
partielle Halbwertszeit
für
a-Zerfall
(3)
Spontanspaltung
(3)
a-Zerfall
Spontanspaltung
90 Th232 34,9 1,405 · 1010 a 100 < 1,8 · 10-9 1,405 · 1010 a > 1021 a
92 U234 36,2 2,45 · 105 a 100 1,64 · 10-9 2,45 · 105 a 1,6·1016 a
92 U235 36,0 7,038 · 108 a 100 7,0 · 10-9 7,038 · 108 a 3,5 · 1017 a
92 U238 35,6 4,468 · 109 a 100 5,45 · 10-5 4,468 · 109 a (2) (6) 9 · 1015 a
94 Pu239 37,0 2,411 · 104 a 100 3,0 · 10-10 2,411 · 104 a 5,5 · 1015 a
94 Pu240 36,8 6,56 · 103 a 100 5,75 · 10-6 6,56 · 103 a 1,4 · 1011 a
96 Cm242 38,1 162,8 d 100 6,37 · 10-6 162,8 d 6,5 · 106 a
96 Cm248 37,2 3,40 · 105 a 91,61 8,39 3,7 · 105 a 4,2 · 106 a
98 Cf252 38,1 2,64 a (4) 96,908 3,092 2,73 a (4) 85,5 a (4)
98 Cf254 37,8 60,5 d 0,31 99,69 53,5 a 60,7 d
100 Fm242 41,3 0,8 ms 0 100 - -
100 Fm254 39,4 3,240 h 99,9408 0,0592 3,242 h 246 d
100 Fm256 39,1 2,63 h 8,1 91,9 32,5 h 2,86 h
102 No252 41,3 2,3 s 73,1 26,9 3,1 s 8,5 s
105 Db263 41,9 27 s 43 57 62,8 s 47,4 s
106 Sg258 43,6 2,9 ms (5) 0 100 - -


Z = Ordnungszahl des Nuklids; A = Atommasse des Nuklids; Z2/A = Spalt(ungs)parameter
Angabe der Halbwertszeit in Jahren (a), Tagen (d), Stunden (h), Sekunden (s) oder Millisekunden (ms)
Herkunft der Tabellenwerte (genauere Literaturangaben in den Einzelnachweisen):
(1) Lieser, Einführung in die Kernchemie (1991) S. 688-693
(2) Lieser, Einführung in die Kernchemie (1991) S. 204
(3) Wikipedia, Liste der Isotope
(4) Stolz, Radioaktivität (2003) S.86
(5) Karlsruher Nuklidkarte (2006)
(6) Stolz, Radioaktivität (2003) S. 46

Wie man sieht, ist bei den Elementen mit Ordnungszahlen bis etwa 95 der Anteil der Spontanspaltung an den gesamten Zerfällen sehr klein. Das Gleiche gilt bei Ordnungszahlen von 107 und höher (vgl. Liste der Isotope).

Datensammlungen

Die Angabe, ob bei einem Nuklid Spontanspaltung beobachtet worden ist, findet man z. B. in der Karlsruher Nuklidkarte. Genaue Verzweigungsverhältnisse kann man Datensammlungen wie z. B. der Table of Isotopes[8] entnehmen.

Anwendung als Neutronenquellen

Da bei der Spontanspaltung eines Atomkerns etwa zwei bis vier Neutronen freigesetzt werden, können spontanspaltende Nuklide als Neutronenquellen dienen. Sie werden beispielsweise zur Neutronenaktivierungsanalyse von unzugänglichem Material (Gesteinsbrocken auf dem Mars, Manganknollen auf dem Meeresboden[6]) verwendet. Da das Neutronenspektrum dem der induzierten Kernspaltung sehr ähnlich ist, spielen sie auch bei experimentellen Untersuchungen zur Reaktorphysik und als "Anfahrquelle" in Kernreaktoren eine Rolle. Am meisten verwendet wird Californium-252.

Einzelnachweise

  1. Bernard L. Cohen: Concepts of Nuclear Physics, McGraw-Hill 1971, S. 265-267
  2. N.Bohr, A.Wheeler, Phys. Rev., Bd. 56, S. 426 (1939)
  3. G.N.Flerov, K.A.Petrzhak, Journal of Physics (USSR) Bd. III, S. 275-280 (1940)
  4. J.Magill, G.Pfennig, J.Galy, Karlsruher Nuklidkarte (2006); ISBN 92-79-02175-3
  5. E. B. Paul,Nuclear and Particle Physics, North-Holland 1969, S. 247 f.
  6. a b c K.H.Lieser, Einführung in die Kernchemie (1991) S. 204, 235, 570, 688 ff; ISBN 3-527-28329-3
  7. W.Stolz, Radioaktivität (2003) S. 46-47, 86; ISBN 3-519-53022-8
  8. Richard B. Firestone, Coral M. Baglin, ed.: Table of isotopes. 8th ed., 1999 update. New York: Wiley, 1999. VI, 218 S.; ISBN 0-471-35633-6-

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