Sprengstoffanschlag auf die JVA Weiterstadt

Sprengstoffanschlag auf die JVA Weiterstadt

Der Sprengstoffanschlag gegen die JVA Weiterstadt fand am 27. März 1993 statt und war die letzte weithin Aufsehen erregende Aktion der Rote Armee Fraktion vor ihrer Auflösung im Jahr 1998.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Die neue JVA Weiterstadt sollte die bisherigen Verhältnisse in der Untersuchungshaft verbessern. Vorbilder dafür waren Gefängnisse aus Schweden und den Niederlanden. Die bis dahin bestehenden Gefängnisse in Hessen waren überbelegt und in schlechtem Zustand.

Die RAF hatte am 10. April 1992 eine Erklärung zur Deeskalation abgegeben. [1] Danach gab es infolge der Aussagen der zeitweilig in der DDR lebenden RAF-Aussteiger weitere Prozesse gegen bereits Inhaftierte, was die RAF als einen der Gründe für die Aktion gegen die JVA heranzog:

Nachdem wir den Druck von unserer Seite aus weggenommen hatten, hat sich der Staat in Bezug auf die Gefangenen ein weiteres Mal für die Eskalation entschieden – das Urteil gegen Christian Klar und die neue Prozeßwelle überhaupt sollen bei vielen das Lebenslänglich zementieren; [2]

Die JVA Weiterstadt wurde als Ziel des Anschlags ausgewählt, weil sie nach Meinung der Täter ein Modell für Europa war:

Der Weiterstädter Knast steht exemplarisch dafür, wie der Staat mit dem aufbrechenden und sich zuspitzenden Widersprüchen umgeht: gegen immer mehr Menschen Knast, Knast, Knast – und er steht als Abschiebeknast für die rassistische staatliche Flüchtlingspolitik. In seiner technologischen Perfektion von Isolation und Differenzierung von gefangenen Menschen ist er Modell für Europa. (…) Der Bau von Knästen ist keine Lösung für die (Preungesheimer) Gefangenen. Ihre Forderungen müssen erfüllt werden – Knäste müssen abgerissen werden.[2]

Der Anschlag

Die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt war zum Zeitpunkt des Anschlags noch nicht offiziell eröffnet und mit Häftlingen belegt. Zehn Angehörige des Wachpersonals hielten sich dort auf.

In der Nacht vom 26. auf den 27. März 1993 kurz nach 01:00 Uhr kletterten mindestens drei Männer und eine Frau über die 6,50 m hohe Außenmauer. Alle waren maskiert und mit Maschinenpistolen bewaffnet. Sie drangen ins Wachhäuschen ein und überrumpelten die beiden Wachhabenden. Die anderen acht Anwesenden wurden im Schlaf überrascht und ebenfalls gefesselt. Anschließend sperrten die Angreifer das Personal in einen Lieferwagen und stellten das Fahrzeug etwa 600 m entfernt hinter einer Deponie ab.

Die Täter ließen sich anschließend mehrere Stunden Zeit, suchten das Gelände nach weiteren Personen ab und deponierten dann fünf Ladungen mit insgesamt 200 kg gewerblichem Sprengstoff.

Um 05:12 Uhr explodierten die Sprengladungen. Drei Unterkunftsgebäude und der Verwaltungstrakt wurden zerstört, der Rest der Anlage mehr oder weniger schwer beschädigt. Der materielle Schaden wurde zunächst auf 100 bis 120 Millionen DM, später auf 80 bis 90 Millionen DM geschätzt.

Nachfolgende Ereignisse

Die sofortige Fahndung blieb erfolglos. Drei Tage später, am 30. März 1993, veröffentlichte das »Kommando Katharina Hammerschmidt« eine Erklärung zum Anschlag auf den Knast Weiterstadt.[2]

Das »Kommando Katharina Hammerschmidt« 

Von den Tatbeteiligten konnten bis heute nur drei Personen, Daniela Klette, Ernst Volker Staub und Burkhard Garweg, identifiziert werden[3]. Gegen das noch nicht gefasste Trio wurde um das Jahr 2000 Haftbefehl erlassen.[4] Die Ermittlungsbehörden gehen darüber hinaus davon aus, dass Birgit Hogefeld und der am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen ums Leben gekommene Wolfgang Grams dabei waren. Das Verfahren gegen Birgit Hogefeld wurde jedoch nach der Revision zu diesem Anklagepunkt eingestellt.

Der Name des Kommandos geht auf Katharina Hammerschmidt zurück, die während ihrer Haft an Krebs erkrankte und nach Meinung unterstützender Kreise zu spät entlassen und behandelt wurde, um ihr Leben zu retten. Katharina Hammerschmidt ist in der Auflösungserklärung der RAF namentlich als Opfer des Kampfes aufgeführt.

Wiederaufbau

Der Wiederaufbau dauerte vier Jahre. Erst im Mai 1997 wurden die ersten Häftlinge aus der veralteten, verrufenen und völlig überfüllten Haftanstalt Preungesheim nach Weiterstadt verlegt.

Einzelnachweise

  1. rote armee fraktion 10. 4.1992: Erklärung zur Deeskalation der Gewalt
  2. a b c Kommando Katharina Hammerschmidt: Erklärung vom 30. März 1993
  3. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,513298,00.html
  4. http://www.fr-online.de/frankfurt_und_hessen/nachrichten/hessen/?sid=47683a03db3f5dd120dcc6128acee1ae&em_cnt=1231755

Weblinks und weitere Quellen

49.8939722222228.56341666666677Koordinaten: 49° 53′ 38″ N, 8° 33′ 48″ O


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