- Straßenbahn Landsberg an der Warthe
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Die Straßenbahn Landsberg an der Warthe bedient seit 1899 den innerstädtischen Verkehr in der polnischen Stadt Gorzów Wielkopolski (deutsch: Gorzow in Großpolen - ehem. Landsberg an der Warthe).
Inhaltsverzeichnis
Entstehung der Straßenbahn
Gorzów Wielkopolski gehörte einst zur preußischen Neumark und ist heute die größte Stadt der Woiwodschaft Lebus und Sitz des von der polnischen Zentralregierung für Lebus eingesetzten Wojwoden. Sie liegt im westlichen Teil Polens am Fluss Warthe, rund 80 km nordöstlich von Frankfurt (Oder) und 130 km nordwestlich von Posen.
Als die Stadt am Ende des 19. Jahrhunderts etwa 35.000 Einwohner hatte, bemühte man sich um ein modernes Verkehrsmittel. Die Helios Elektricitäts-AG aus Köln am Rhein gründete am 16. Juni 1900 die Elektrizitäts-Werk und Straßenbahn AG Landsberg (Warthe). Diese übernahm die bereits am 29. Juli 1899 durch die Stadt Landsberg eröffnete elektrische Straßenbahn.
Die erste, in Normalspur gebaute Strecke führte vom Staatsbahnhof über den Marktplatz zu den Kasernen im Norden der Stadt mit einer kurzen Abzweigung zu den Zanziner Anlagen. Die zweite Strecke verband ab 7. Juli 1904 den Marktplatz mit dem Hopfenbruch im Osten.
Im Jahr 1914 war das Schienennetz 6,6 Kilometer lang und wurde von zwölf Triebwagen und zwei Beiwagen befahren.
Die Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg zwang die Gesellschaft, die bereits seit 1912 nicht mehr zur Helios-Gruppe gehörte, den Betrieb 1921 einzustellen; erst im Jahr 1924 konnte er wieder aufgenommen werden. Es kam sogar zu zwei kleineren Streckenneubauten, einmal vom Marktplatz zur Kanalbrücke im Süden und zum andern von der Ecke Bahnhofstraße zur Friedrichstadt im Westen. Damit besaß das kreuzförmige Streckennetz 8,1 Kilometer Länge.
In den 1930er Jahren wurden zwei Linien bedient:
- Friedrichstadt – Marktplatz – Hopfenbruch
- Kanalbrücke – Marktplatz – Kasernen / Zwanziner Anlagen
Vom Bahnhof gab es nur noch im Anschluss an ankommende Reichsbahnzüge einzelne Fahrten zum Marktplatz. Die Statistik für 1939 weist 15 Triebwagen und drei Beiwagen aus. Ferner waren drei Omnibusse vorhanden, die auf zwei Linien mit einer Gesamtlänge von sechs Kilometern verkehrten. Der Omnibusbetrieb war am 23. Januar 1937 eröffnet worden.
Kurzlebiger Obusbetrieb
Weil die Stadt weiterhin ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrsmittel benötigte, jedoch die Erneuerung der Straßenbahn unter den damaligen Umständen unmöglich erschien, entschloss sich die Gesellschaft 1941, elektrische Omnibuslinien einzurichten. Der Umbau der Oberleitungsanlagen begann 1942 und war im Juni 1943 vollendet. Jedoch ließ die zögerliche Anlieferung der bestellten Fahrzeuge nur eine allmähliche Aufnahme des Obusverkehrs zu. Dieser begann im Juli 1943 mit der acht Kilometer langen Linie 2 von der Friedrichstadt über Marktplatz – Paradeplatz – IG-Farben zur Landesanstalt.
Ab Februar 1944 ersetzte die Linie 1 die Straßenbahn zwischen Bahnhof und Hohenzollernplatz über Marktplatz und Paradeplatz (4,5 km). Obwohl auch eine dritte Strecke vom Marktplatz über Kanalbrücke zum Kurzen Weg betriebsbereit war, konnten hier wegen des Wagenmangels nur vereinzelt Obusse eingesetzt werden. Deshalb fuhr die seit Juli 1943 „offiziell“ stillgelegte Straßenbahn weiterhin bis zur Kanalbrücke.
Das Kapital der E-Werk- und Straßenbahn-Gesellschaft verteilte sich zuletzt auf die
- Elektrische Licht- und Kraftanlagen AG, Berlin mit 75% und die
- Gesellschaft für Elektrizitäts-Anlagen mbH, Berlin mit 25%.
Als sich die Rote Armee am 30. Januar 1945 der Stadt näherte, wurde der gesamte Obus- und Straßenbahnbetrieb eingestellt.
Reaktivierung der Straßenbahn
Die neue polnische Stadtverwaltung nahm den fast völlig eingestellten Straßenbahnbetrieb nach und nach wieder in Betrieb, zumal das Schienennetz weitgehend noch vorhanden war. Die Obus-Fahrzeuge wurden nicht mehr eingesetzt und an die Stadt Posen abgegeben; die Fahrleitung wurde wieder für den Straßenbahnbetrieb hergerichtet.
Im Laufe der Zeit wurde das frühere Schienennetz um folgende Abschnitte erweitert:
- von der Kaserne nach der Dzierzynskiego (Hohenzollernplatz),
- von der Zechower Straße zur Elektrownia (Landesanstalt) und zur Silwana.
Dabei wurden fast alle Strecken zweigleisig ausgebaut und zum Teil auf eine neue Trasse verlegt. Außerdem wurde das Depot am Bahnhof, wo eine Schleife angelegt wurde, aufgegeben und am Ende der um zwei Kilometer nach Westen bis Wieprzyce verlängerten Strecke neu errichtet.
Andererseits wurden die Zweigstrecken zum Hopfenbruch und zu den Zanziner Anlagen stillgelegt; schließlich unterblieb auch die bereits begonnene Erneuerung der Strecke vom Marktplatz über die Kanalbrücke zur Kobylogorska (Kurzer Weg). (Laut Pharus-Stadtplan aus den 1920er Jahren hieß diese Straße "Kuburger Straße".)
Im Jahr 1985 waren sogar fünf Straßenbahnlinien vorhanden:
- 1 Wieprzyce – Marktplatz – Silwana (im Nordosten)
- 2 Wieprzyce – Marktplatz – Osidle Piaski (im Norden)
- 3 Osiedle Piaski – Marktplatz – Silwana
- 4 Dworze Glowny (Bahnhof) – Marktplatz – Silwana
- 5 Dworze Glowny (Bahnhof) – Osiedle Piaski
Die Linien 4 und 5 verkehrten allerdings nicht zur gleichen Tageszeit. In den letzten Jahren wurde die Zahl der Linien reduziert; 1995 waren es nur noch zwei Hauptlinien und eine Verstärkungslinie:
- 1 Wieprzyce – Piaski
- 2 Wieprzyce – Silwana
- 3 Silwana – Piaski (Nur HVZ)
„Güterobus“
Ein Kuriosum stellte eine elektrische Zugmaschine dar, die ihren Strom aus der Obusfahrleitung bezog. Damit sie Kohlen vom Hafen an der Warthe zum E-Werk, zum Gaswerk und zur Landesanstalt befördern konnte, wurde sogar noch eine über einen Kilometer lange Zweigleitung angelegt. Auch dieser Güterverkehr bestand nur von 1943 bis 1945.
Literatur
- Werner Stock: Obus-Anlagen in Deutschland, Bielefeld 1987, ISBN 3-926882-00-X
- ferner Beiträge in Fachzeitschriften und Handbüchern
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