- Straßenzeitung
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Straßenzeitungen oder Straßenmagazine (manchmal auch als „Obdachlosenzeitungen“ bezeichnet) sind lokale Zeitungen oder Zeitschriften, die von Menschen in sozialer Not verkauft und in seltenen Fällen auch redaktionell mitgestaltet werden. Meist sind es Obdachlose, oft aber auch Asylbewerber oder Langzeitarbeitslose, die so einen niederschwelligen Zugang zu einer Arbeit bekommen, in Kontakt mit der Gesellschaft bleiben und ein kleines Einkommen erzielen.
Inhaltsverzeichnis
Prinzip
Ein grundlegendes Prinzip bei Straßenzeitungen ist, dass die Verkäufer mindestens 50 Prozent des Verkaufspreises als Einkommen erhalten. Oftmals kommen die Verkäufer mit den Käufern ins Gespräch, manche Verkäufer haben mittlerweile sogar schon so etwas wie eine „Stammkundschaft“. Zum Teil dient der Kauf mehr dem Zweck der Spende als dem Zeitungserwerb, sodass viele gekaufte Zeitungen ungelesen bleiben.
Alle Verkäufer sind mit einem so genannten Verkäuferausweis ausgestattet. Je nach Zeitung wird den Verkäufern ein Verkaufsplatz zugewiesen oder sie können den Verkaufsplatz selbst bestimmen.
Für die Verkäufer gelten einige verbindliche Regeln: Es ist untersagt, die Zeitung im angetrunkenen Zustand zu verkaufen oder während des Verkaufs Alkohol zu konsumieren. Auch sollen die Verkäufer nicht nebenbei betteln.
Geschichte
Als Vorläufer der Straßenzeitungen kann die 1927 gegründete Zeitschrift der Vagabunden gesehen werden. Gustav Brügel, Landstreicher und Schriftsteller aus Balingen bei Stuttgart gab die erste Nummer der Zeitschrift Der Kunde heraus. Gregor Gog übernahm ab der zweiten Nummer und gründete die „Bruderschaft der Vagabunden“. [1]
Die erste Straßenzeitung wurde 1989 in New York gegründet und hieß Streetnews. Zwei Jahre später gründete John Bird, inspiriert von der New Yorker Straßenzeitung, die erste Straßenzeitung Europas – The Big Issue. Unterstützt wurde er dabei von der Firma The Body Shop. The Big Issue wird seit 1991 in London verkauft und war Vorbild für viele weitere Straßenzeitungen in Europa. Das Konzept wurde auch in andere Kontinente exportiert. So etablierten sich die Straßenzeitungen The Big Issue Australia, The Big Issue South Africa, The Big Issue Namibia und The Big Issue Japan.
In den Jahren 1987 und 1988 erschienen die ersten von Hans Klunkelfuß herausgegebenen Berberbriefe, unregelmäßig erscheinend, etwa viermal im Jahr, 8–12 Seiten auf fotokopiertem Papier mit einer Auflage von 100 bis 500 Stück. Klunkelfuß und andere Wohnungslose nutzen den Verkauf der von ihnen selbst hergestellten Zeitung, um damit unabhängig von staatlicher Hilfe ihr Überleben auf der Straße zu sichern. Im Jahr 1992 erschien in Köln mit dem BankExpress, später BankExtra, heute Draussenseiter, die erste deutsche Straßenzeitung; im Oktober 1993 kamen Bürger In Sozialen Schwierigkeiten – BISS in München und 14 Tage später Hinz und Kunzt aus Hamburg dazu. Im Jahr 2006 gab es bereits ca. 30 Straßenzeitungen in Deutschland. 2010 betrug die monatliche Gesamtauflage in Deutschland 250.000 Exemplare.
Der Bekanntheitsgrad der Straßenzeitungen wurde weiter erhöht, als 2003 die Autorin Joanne K. Rowling den Straßenzeitungen erlaubte, das erste Kapitel des neuesten Harry-Potter-Bandes noch zwei Wochen vor dem offiziellen Erscheinungstermin kostenfrei abzudrucken, was auch insgesamt 18 deutschsprachige Straßenzeitungen taten.[2]
2004 würdigte der damalige UNO Generalsekretär Kofi Annan am Tag der Armut (17. Oktober) die Arbeit der Straßenzeitungen. Er schrieb einen exklusiven Artikel zum Thema Armut, der in den Straßenzeitungen abgedruckt wurde.
Heute leben weltweit 200.000 Verkäufer vom Verkauf von Straßenzeitungen und erreichen sechs Millionen Leser.[3]
Dachverbände
Viele Straßenzeitungen haben sich zu Netzwerken wie International Network of Street Newspapers (INSP) oder The North American Street Newspaper Association (NASNA) zusammengeschlossen. Auf diesen Websites findet man auch eine umfangreiche Liste von Straßenzeitungen aus aller Welt. INSP gehören 112 Straßenzeitungen aus 40 Ländern an (Stand 2011).[3] Seit 2003 findet unter der Schirmherrschaft des INSP der Homeless World Cup statt, bei dem Obdachlose aus aller Welt in einem Fußball-Turnier gegeneinander antreten.
Am 1. April 2000 wurde in Deutschland der Bundesverband soziale Straßenzeitungen als Dachverband der deutschen Straßenzeitungen gegründet. Dieser Dachverband löste sich jedoch im Frühjahr 2008 wieder auf. Viele deutschsprachige Straßenzeitungen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland sind heute Teil von INSP.
Auszeichnung
2010 wurden die Straßenmagazine BISS (München), Donaustrudl (Regensburg), Riss (Augsburg) und Straßenkreuzer (Nürnberg) von der bayerischen SPD-Landtagsfraktion mit dem "Wilhelm-Hoegner-Preis" ausgezeichnet. „Die Straßenzeitungen haben sich dem Ziel verschrieben, Menschen in Not, in sozialen Schwierigkeiten, Menschen, die auf der Straße leben, zu unterstützen,“ erklärte SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher beim Festakt im Bayerischen Landtag zur Preisverleihung. [4]
Beispiele
Deutschland
- Abseits!?: Osnabrück, zweimonatlich, Auflage 7.000 (Weihnachtszeit 9.000), auch Abonnement, erste Ausgabe am 29. Juli 1995[5]
- Asphalt-Magazin: Hannover, monatlich, Auflage 25.000, auch Abonnement für das Wartezimmer, Gründung 1994[6]
- BISS: München, monatlich (außer August), Auflage 35.000, auch Abonnement[7], Gründung Oktober 1993
- Bodo - Das Straßenmagazin: Bochum und Dortmund[8]
- Brücke: Erfurt Auflage 4000-4500, auch Abonnement möglich
- Die Jerusalemmer: Neumünster
- Die Ruhrstadt Zeitung (DRZ, früher: Wohnungsloser): Essen, zweimonatlich, Auflage 9.000
- Die Stütze: Berlin, Auflage 12.000
- Die Straße: Wuppertal - Solingen - Remscheid, monatlich
- Donaustrudl: Regensburg, monatlich, Auflage 5.000, erste Ausgabe April 1998[9]
- draußen! (auch:„draußen!“ [10] ): Münster, monatlich, Auflage 8.000 - 10.000, auch Abonnement, Gründung 1994, viertälteste Straßenzeitung Deutschlands
- Draussenseiter (früher Bank-Extra): Köln, monatlich, Auflage 3.000 (Stand Mai 2011), auch Abonnement, Gründung im Juni 1992 als Bank-Express, Deutschlands älteste Obdachlosenzeitung[11]
- drobs: Dresden, monatlich, erste Ausgabe Januar 1998
- fiftyfifty: Düsseldorf (39.000 Exemplare); auch in Bonn, Duisburg, Essen, Frankfurt/Main, Mönchengladbach, monatlich, Auflage insgesamt 60.000[12]
- Frei(e)Bürger (Eigenschreibung: FREIeBÜRGER): Freiburg, monatlich (außer September), Auflage 7.000,[13] auch als PDF-Dateien ladbar, erste Ausgabe Juni 1998[14]
- Guddzje: Saarbrücken
- Hempels (Eigenschreibung: HEMPELS): Kiel und Schleswig-Holstein, monatlich, Auflage 13.000
- Hinz und Kunzt: Hamburg, monatlich, Auflage 57.000, auch Abonnement außerhalb von Hamburg,[15] Gründung November 1993
- KiPPE: Leipzig,[16] monatlich, Auflage 10.000
- motz: Berlin, vierzehntäglich, Auflage 12.000, auch Abonnement, Gründung 1995
- Notausgang Jena: Jena
- Parkbank Zeitung: Braunschweig, monatlich, Auflage mind. 3.000[17]
- Pflaster: Halle an der Saale
- Querkopf: Berlin, Köln, monatlich
- Riss: Augsburg, alle 2 Monate, Auflage 4.000
- Soziale Welt: Frankfurt/Main
- Straße ohne Ausweg?: Gifhorn, alle 2 Monate, Auflage 1.000
- Straßen Forum: Karlsruhe
- strassenfeger: Berlin, vierzehntäglich , Auflage 21.000
- Straßenkreuzer: Nürnberg-Erlangen-Fürth, monatlich (Doppelnummer im August), Auflage 12-18.000, auch als PDFs ladbar[18], Gründung 1994
- Streetjournal.de: Berlin, alle 1 bis 2 Monate, Erste Ausgabe Januar 2011, Auflage 10.000
- Strohhalm: 6-wöchentlich, Rostock, Auflage 7.000
- Tagessatz (Eigenschreibung: TagesSatz): monatlich, außer Januar und August. Im Januar und August gibt es jeweils eine Verkäuferausgabe, Kassel (seit 1994), Göttingen (seit 1996), Auflage 3000–3500 (Stand: Sept. 2004),[19] auch als PDFs ladbar, erste Ausgabe am 23. September 1994[20]
- Trott-war: Stuttgart, monatlich, Auflage 27.000, erste Ausgabe am 17. November 1994[21]
- Wohnungs-Looser: Michelstadt
- Zeitschrift der Straße: Bremen und Bremerhaven, alle ein bis zwei Monate, Startauflage 14.000, spätere Folgeauflage 22.000, erste Ausgabe am 2. Februar 2011[22]
Österreich
- 20er: Innsbruck, monatlich (Juli/August und Dezember/Jänner jeweils eine Doppelnummer), Auflage 15.000
- Apropos: Salzburg, monatlich, Auflage 10.000
- Augustin: Wien, 14-täglich, Auflage 45.000
- The Global Player (ehemals Die Bunte Zeitung): Wien, Salzburg, Graz, Linz, Klagenfurt, alle 4 bis 8 Wochen
- Eibischzuckerl: Wiener Neustadt, 2-monatlich, Auflage 6.000
- Kupfermuckn: Linz, Wels, Steyr, monatlich, Auflage zwischen 16.000 und 26.000
- Megaphon: Graz, monatlich, Auflage 15.000
- Uhudla: Wien, 3 bis 4 mal jährlich, Auflage 10.000
Schweiz
- Surprise: Zürich, Basel, Bern, St. Gallen, Auflage 23.000
- GasseZiitig Lozärn, Luzern, Auflage 8.000 - 14.000
International
The Big Issue ist eine international bekannte und erfolgreiche Londoner Straßenzeitung, die von professionellen Journalisten geschrieben und meist von obdachlosen Menschen verkauft wird. Fünf verschiedene lokale Ausgaben werden in Großbritannien verkauft, weiters wurden Zeitungsprojekte in vier weiteren Ländern initiiert: Australien (vier verschiedene Ausgaben), Südafrika, Namibia und Japan.
In Europa sind Straßenzeitungen weit verbreitet, man findet sie in fast allen großen Städten. Bekannte Straßenzeitungen sind u.a. The Big Issue (Großbritannien), Fedél Nélkül (Budapest), Terre Di Mezzo (Mailand), Z Magazine (Amsterdam), Situation STHLM (Stockholm).
Literatur
- Maria Laura Bono : Straßenzeitungen. Lambertus Verlag, Freiburg in Breisgau 1999, ISBN 978-3-7841-1159-9
Weblinks
- International Network of Street Papers - INSP - internat. Dachverband der S. P.
- The North American Street Newspaper Association - NASNA
Einzelnachweise
- ↑ Geschichte der Globetrotter
- ↑ ORF Meldung „Straßenzeitungen drucken erstes Kapitel“ (archive.org, abgerufen am 21. Mai 2008)
- ↑ a b derStandard.at: Cover der Straßenzeitung "Kupfermuckn" ausgezeichnet, 25. Juli 2011
- ↑ Preisverleihung der SPD-Landtagsfraktion im November 2011
- ↑ Abseits Online: Die Straßenzeitung
- ↑ Asphalt – Das Straßenmagazin
- ↑ Homepage von BISS - Bürger in sozialen Schwierigkeiten
- ↑ Straßenmagazin: Stimme der Obdachlosen
- ↑ Donaustrudl Online: Über uns – Die Donaustrudl-Story
- ↑ http://www.muenster.org/draussen/
- ↑ Oase Köln über Bank extra
- ↑ Mediadaten fiftyfifty
- ↑ Mediadaten auf frei-e-buerger.de
- ↑ Chronik auf frei-e-buerger.de
- ↑ Homepage von Hinz&Kunzt: Das Magazin
- ↑ Homepage von KiPPE - Die Leipziger Straßenzeitung
- ↑ Parkbank Braunschweig
- ↑ Straßenkreuzer: Mediendaten
- ↑ Esther Loose:Lieber die Zeitung in der Hand als ganz ohne Dach am 26. September 2004
- ↑ Tagessatz: Die Geschichte des TagesSatzes
- ↑ Trott-war: Wir über uns
- ↑ http://www.zeitschrift-der-strasse.de
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