Bruderschaft der Vagabunden

Bruderschaft der Vagabunden

Die Bruderschaft der Vagabunden war eine internationale Bewegung von Landstreichern und Vagabunden von 1927 bis 1933, sie stand der anarchistischen Weltanschauung nahe und hatte Verbindungen zum Anarchosyndikalismus und der Freien Arbeiter-Union Deutschlands.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre waren circa 70.000 Obdachlose in Deutschland, bis 1933 stieg die Anzahl zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, auf rund 450.000 Menschen[1]. Die als „Landstreicher“ bezeichneten Erwerbslosen wurden nicht nur vom Bürgertum größtenteils verschmäht, bereits K. Marx und F. Engels schrieben über den „fünften Stand“ im Manifest der Kommunistischen Partei, „Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen[2].

Der zeitweise als Anarchist tätige Vagabund Gregor Gog, der nach 1930 eine kommunistische Ideologie vertrat, gründete 1927 die Bruderschaft der Vagabunden, deren Schutzpatron Till Eulenspiegel war. Zu Pfingsten 1929 kam es zu dem ersten internationalen Vagabundenkongress in Stuttgart, bei dem etwa 600 Teilnehmer waren. Unter den Rednern befanden sich Alfons Paquat, Willi Hammelrath, Gusto Gräser und Theodor Lessing. Lewis Sinclair und Knut Hamsun sanden Grußbotschaften. Auf diesem Kongress rief G. Gog zum „Generalstreik das Leben lang“ auf. „Die Gesellschaft, vertreten durch ihre Behörden, spricht von ihrer Fürsorge. Das Gesetz sorgt für mich, für die Gesellschaft, für die Satten, damit die Opfer ihrer Tyrannis ihnen nicht an den Leib rücken. Ihre „Fürsorge“ ist Polizistenhumanität! Ist „Vorsorge“! (....) Die tugendfreien Spießer sprechen von den Vagabunden als einem arbeitsscheuen Gesindel. Was weiß den diese Gesellschaft vom Weg und Ziel der Landstraße? (....) Generalstreik das Leben lang! Lebenslänglich Generalstreik![3]. Als treibende Kraft der internationalen Vagabundenbewegung setzte sich Gog, der „König der Vagabunden“ wie die Presse ihn bezeichnete, für die Rechte der Obdachlosen ein[4]. Die „Reservearmee des kämpfenden Proletariats“ von „Tippelbrüdern, Außenseitern“ und „Ausgestossenen“ hatten sich zum Schrecken der Behörden[5] zu einem „Weltkongress der Vagabunden“, von tatsächlich internationaler Beachtung und zu Hungermärschen organisiert[6].

Ziel der Bruderschaft war Gegenseitige Hilfe, Solidarität, das Bewusstwerden der eigenen Situation in der Gesellschaft, das Fördern des Selbstbewusstseins und Selbsthilfe. Kirchliche und staatliche Organisationen für soziale Fürsorge wurden abgelehnt. Um sich der Kontrolle durch den Staat und der „bürgerlichen Gesellschaft“ zu entziehen sollten von den Vagabunden die Initiative ausgehen, selbst Herbergen und andere Unterkünfte zu realisieren. Eine klassenlose, freie Gesellschaft wurde angestrebt im Sinne des Anarchismus und Anarchosyndikalismus. Organ der Bruderschaft war die von unter anderem Gustav Brügel 1927 herausgegebene Zeitschrift Der Kunde. Die erste Ausgabe wurde beschlagnahmt und die folgenden Hefte von Grog herausgegeben. Die Artikel enthielten sozialkritischen Protest „als auch eine utopische Überhöhung der Vagabunden-Existenz“. Über die Situation der Obdachlosen schrieb Gog unter anderem Artikel zu Zwei Millionen auf der Landstraße, Der Landstreicher Tombrock und Straßen ohne Ende[7]. Die Zeitschrift sollte den Vagabunden die Gelegenheit geben ihre Erfahrungen und Meinungen zu veröffentlichen. Darüber hinaus wurden auch in anderen anarchistischen und anarchosyndikalistischen Blättern veröffentlicht. Gerhard Siegismund publizierte in Besinnung und Aufbruch, G. Gog in Der Syndikalist. Gog und seine Ehefrau standen der FAUD nahe, ebenso Theodor Plivier und Helmut Klose. Durch Artur Streiter, Hermann Giesau, Karl Heinz Bodensieck und Helmut Klose kam die Verbindung zur Berliner FAUD und zur Gilde freiheitlicher Bücherfreunde zustande. Der Einfluss der Vagabundenbewegung auf den Anarchosyndikalismus und die FAUD war jedoch gering[8].

1933 wurde die Bruderschaft der Vagabunden von den Nationalsozialisten zerschlagen. Im April 1938 wurden auf Erlass von Heinrich Himmler wiederum mehr als 1.500 „Arbeitsscheue“, „Asoziale“ und Obdachlose in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht[9].

Künstlergruppe der Vagabunden

Die Brunderschaft der Vagabunden war zugleich auch eine Künstlerbewegung. Hans Tombrock (1895−1966) lernte Gog 1928 kennen[10], zusammen mit Hans Bönnighausen und Gerhart Bettermann gründeten sie die „Künstlergruppe der Bruderschaft der Vagabunden“ [11]. Tausende von Zeichnungen, Aquarellen, Holz- und Linolschnitte entstanden und wurden zum Teil abgedruckt. 1929 wurde die erste Kunstausstellung organisiert und im „Verlag der Vagabunden“ erschien eine „Vagabundenmappe“.

Filmdokumentation

Eine zweiteilige Filmdokumentation von Klaus Trappmann und Hagen Müller-Stahl, „Generalstreik das Leben lang“ und „Könner in Lumpen“ wurde in 2008 im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin gezeigt − ein Zeitzeugnis über die Künstler der Landstraße und die Bruderschaft der Vagabunden.[3]

Trivia

  • Die „Stiftung Geißstraße 7“ in Stuttgart hatte 2004 anlässlich des 75. Jahrestages des ersten Vagabundenkongresses (Pfingsten 1929) ein „Gregor-Gog-Gedenkblatt“ herausgegeben.
  • Die Berliner Straßenzeitung Motz betreibt neben ihrer Arbeit für Obdachlose ein „Antiquariat Gregor Gog“.

Weiterführende Literatur

  • Harry Wilde: Theodor Plievier. Nullpunkt der Freiheit. Kurt Desch Verlag. München u. a. 1965.
  • Walter Fähnders (Hsg.): Nomadische Existenzen. Vagabondage und Boheme in Literatur und Kultur des 20. Jahrhunderts. Schriften des Fritz-Hüser-Instituts 16. Klartext Verlag, Essen 2007. ISBN 978-3-89861-814-4
  • Walter Fähnders, Henning Zimpel (Hrsg.), Die Epoche der Vagabunden. Klartext Verlag (Schriften des Fritz-Hüser-Instituts). Essen 2009, ISBN 978-3-89861-655-3.
  • Klaus Trappmann (Hrsg): Landstrasse, Kunden, Vagabunden. Gregor Gogs Liga der Heimatlosen. Gerhardt Verlag, Berlin 1980.
  • Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus. Seite 294. Libertad Verlag, Potsdam 1994, ISBN 3-922226-21-3.
  • Rolf Jessewitsch, Gerhard Schneider (Hrsg.), Verfemt – Vergessen – Wiederentdeckt. Kunst expressiver Gegenständlichkeit aus der Sammlung Gerhard Schneider. Seite 481. Anlässlich der Ausstellung Verfemt, Vergessen, Wiederentdeckt. Kunstverein Südsauerland Olpe, 4. Juli bis 8. August 1999 und 23. Juli bis August 2000. Museum Baden, Solingen-Gräfrath. Wienand Verlag, Köln 1999, ISBN 3-87909-665-1.
  • Elvira Reith (Hrsg.), Katalog: Hans Bönnighausen - ein Malervagabund. Edition Karo Dame, Dortmund, ISBN 3-00-010141-1.

Einzelnachweise

  1. Angaben aus der Zeitschrift Graswurzelrevolution, Nr. 295 (2005)
  2. Zitiert nach Graswurzelrevolution nr. 295. Quelle: K. Marx, F. Engels, Ausgewählte Schriften in 2 Bänden. Band 1, Seite 33. Dietz Verlag, Berlin 1959. Abgerufen am 26. Mai 2010
  3. a b Filme: "Generalstreik das Leben lang" & "Könner in Lumpen". marginalisierte.de, 10. Juni 2008, abgerufen am 21. Mai 2010.
  4. Gregor Gog: Rebell und Revolutionär. Abgerufen am 23. Mai 2010
  5. Autor: Karsten Krampitz in Berliner Zeitung vom 7. Oktober 2005. Abgerufen am 23. Mai 2010
  6. Syndikalismusforschung. Einführung. Unter Abschnitt: „Die Vagabundenbewegung“ (4.3.3.2.). Abgerufen am 23. Mai 2010
  7. Ruhr Universität Bochum Über G. Gog. PDF, 71 kB. Abgerufen am 27. Mai 2010
  8. Die Vagabundenbewegung und die FAUD. Abgerufen am 27. Mai 2010
  9. Maßnahmen der Gestapo gegen Obdachlose. Abgerufen am 28. Mai 2010
  10. www.exil-archiv.de. Abgerufen am 26. Mai 2010
  11. „Wohnsitz nirgendwo“. Künstlergruppe der Vagabunden, abgerufen am 26. Mai 2010

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