Tabes dorsalis

Tabes dorsalis
Klassifikation nach ICD-10
A52.1 Floride Neurosyphilis
A52.2 Asymptomatische Neurosyphilis
A52.3 Neurosyphilis, nicht näher bezeichnet
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Als Neurolues (Synonym: Neurosyphilis) wird eine Reihe von charakteristischen psychiatrischen oder neurologischen Symptomen bezeichnet, die bei unbehandelter oder nicht ausgeheilter Syphilis-Erkrankung des Menschen mit einer Latenzzeit von Jahren bis Jahrzehnten auftreten können. Im Spätstadium der Neurolues erleiden 2-5% der Lues-Kranken eine progressive Paralyse (fortschreitende Lähmung), wobei Männer häufiger betroffen sind als Frauen. Die progressive Paralyse ist meist mit einer Tabes dorsalis (Ausfall von Funktionen des Rückenmarks) vergesellschaftet. Wichtig für die Diagnosestellung Neurolues ist die Untersuchung der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquordiagnostik).

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Die Neurolues ist keine eigenständige Erkrankung, sondern eine mögliche Ausprägung des so genannten Tertiärstadiums (Stadium III, auch als „Spätstadium“ bezeichnet) der Syphilis (Lues). In der neueren Literatur wird sie auch als eigenständiges Stadium IV bezeichnet.

Bei der Neurolues kommt es zu fortschreitenden Abbau von Nervengewebe (Degeneration, Atrophie) im Gehirn oder Rückenmark. Mögliche Folgen des Gewebsuntergangs im Gehirn sind Wesensveränderungen bis hin zur Demenz, Wahnideen (klassisch: „Größenwahn“, d. h. Größenideen), mitunter Raptus-artige Anfälle und häufig Halluzinationen. Eine syphilitische Schädigung des Rückenmarks bewirkt oft Gangstörungen (Ataxie) und einschießende (sogenannte lanzierende) Schmerzen.

Die Neurolues ist in den westlichen Industrienationen seit dem Aufkommen wirksamer Antibiotika selten geworden, da die meisten Syphilis-Erkrankungen bereits in früheren Stadien geheilt werden. In Entwicklungs- und Schwellenländern mit ungenügender Gesundheitsversorgung ist dieses Stadium häufiger anzutreffen.

Die Syphilis-Erkrankung selbst kann als Ursache der Neurolues-Symptome auch noch in diesem Spätstadium ausgeheilt werden. Limitierende Faktoren für den Erfolg einer solchen Therapie sind allerdings die Blut-Hirn-Schranke, die nur von wenigen Antibiotika ausreichend durchdrungen wird, und die Tatsache, dass bereits untergegangenes Nervengewebe vom menschlichen Organismus nicht mehr ersetzt werden kann.

Epidemiologie

Die Neurosyphilis war vor Einführung der Antibiotikatherapie eine sehr häufige Komplikation der Syphilis. Etwa 25 bis 30 Prozent der an einer Syphilis erkrankten Patienten entwickelten eine Neurosyphilis. Von diesen Patienten hatten jeweils etwa ein Drittel eine asymptomatische Neurosyphilis oder eine Tabes dorsalis und jeweils etwa 10 Prozent eine progressive Paralyse oder eine Lues cerebrospinalis. Der Rest verteilte sich auf seltenere Formen der Neurosyphilis. [1]

Progressive Paralyse

Die Progressive Paralyse (fortschreitende Lähmung, im Volksmund „Hirnerweichung“) ist aufgrund der heutzutage guten Behandlungsmöglichkeiten der Syphilis selten geworden.

Sie ist gekennzeichnet durch eine fortschreitende Demenz. Typisch sind psychotische Symptome wie Wahn, vor allem Größenwahn und Persönlichkeitsstörungen. Als wichtiges körperliches Symptom sei das Argyll-Robertson-Zeichen genannt, das sich als reflektorische Pupillenstarre mit oft überschießender Konvergenzreaktion darstellt.

Im Endstadium der progressiven Paralyse wird der Patient zu einem Pflegefall.

Die Symptome der progressiven Paralyse wurden 1822 von dem französischen Arzt Antoine Laurent Bayle beschrieben und mit spezifischen Veränderungen im Gehirn in einen Zusammenhang gebracht. Die Ursache der progressiven Paralyse wurde 1857 von Esmarch und Jessen erkannt. Der Erreger wurde jedoch erst 1905 identifiziert. [2]

Tabes dorsalis

Im weiteren Verlauf der Erkrankung kann es zur Entmarkung an den Rückenmarkshintersträngen kommen, dies wird als Tabes dorsalis bezeichnet (im Volksmund „Rückenmarkssschwindsucht“).

Quellen

  • C. Marra: Neurosyphilis. Review, UpToDate v15.3, 2007

Einzelnachweise

  1. Merritt, HH, Adams, RD, Solomon, HC. Neurosyphilis, Oxford, New York 1946
  2. Hans Bangen: Geschichte der medikamentösen Therapie der Schizophrenie. Berlin 1992. ISBN 3-927408-82-4 Seite 32
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